Orchideen und ein Finale alla italiana

■ Der 41. Prix Italia in Perugia

Warum sollten Radio und Fernsehen nicht Orchideenblüten treiben? Benutzt werden diese Medien tagtäglich zur Genüge. Gerade die Dauerkunden schätzen gelegentlich die überschießende Phantasie - und für Innovationen sind Spielräume unabdingbar. Beim „Prix Italia“, dem größten internationalen Rundfunk- und Fernsehwettbewerb, waren in diesem Jahr die Arbeiten der „Außenseiter“ allerdings eher Mangelware. Allein 26 Hörspiele wurden ins Rennen geschickt

-fast alles gediegene Radio-Stunden, gute Qualität aus allen Ecken Europas und aus Übersee. Kühne Experimente freilich, laszive Sprachunternehmen, literarische Tollheit all das meldete sich nicht (mehr) zu Wort. Ökonomischer und politischer Druck auf die und in den zuliefernden Anstalten mag da ohnedies weniger entstehen lassen als in früheren Jahren - und in der Selbstdarstellung der Institutionen scheint (derzeit) das Avantgardistische so gut wie keine Rolle mehr zu spielen.

Vor einem Jahr beschäftigte sich der mediale Wanderzirkus „Prix Italia“ noch mit der amerikanischen Herausforderung; in diesem Jahr wurde die Südschiene ausgefahren: Etliche afrikanische Länder präsentierten typische Produktionen, und man erörtete (mit mäßigem Interesse und Engagement), ob die

-ohnedies nur sehr partiell entfaltete - Zusammenarbeit mehr zum Nutzen oder zum Schaden der Entwicklungsländer ausfällt. Da waren dann die Proklamationen des guten Willens nicht zu überhören. Die fortdauernde Praxis aber wird alles andere als edel, hilfreich und gut sein.

Dokumentation ist so etwas wie Schwarzbrot gegenüber den reichhaltigen Speisen von Hör- und Fernsehspiel. In die engere Wahl kamen beim Radio wengistens fünfzehn Stücke. Preisgekrönt wurden am Ende eine Reportage über das australische Hochland und eine dänische Nostalgie-Geschichte - wehmütig-weinerliche Erinnerungen an einen Pianisten und Behomien in Kopenhagen, vor- und nachgetragen von dessen Freunden. Da schwingt Musik mit. Überhaupt sind die Gattungen des Radiomachens oft nicht säuberlich zu trennen. Es gibt Dokumentationen, die ganz von der Musik leben - wie die von der BBC belauschte Orchesterprobe zu Ravels Bolero, die auch alle Facetten der Musiker-Freuden und -Leiden kolportiert.

Radio-Kompositionen können sich als veritable Hörspiele erweisen - wie die französische Produktion über einen Theater-Dandy, gestützt auf neun Klaviere und raffiniert im Raumklang. Die vom Hörspiel herkommende Verarbeitung knapper O-Töne kann originellste Kompositionen hervorbringen - so geschehen bei Ulrich Bassenges Fusion (ein ARD-Beitrag). Aber auch das elegante Hörstück über die Geräuschkulisse Wackersdorf ging bei der Preisverleihung leer aus. Würdig erachtet wurden recht dilettantische australische Improvisationsübungen und Kinderstimmen aus Finnland. Die Juroren wollten ihre professionellen Ohren abschalten und mal ganz aus der Perspektive der naiven Endverbraucher urteilen.

Bei den TV-Musik-Produktionen kam vor allem Kitsch in die Endrunde (und eine recht biedere BBC-Verfilmung von Bartoks Blaubart zum Sieg). Der einzig rühmenswerte Film: ein Portrait des Geigers Immanuel Wessberg, dieses rein imaginären und gesellschaftsverachtenden Virtuosen; ein Film, der die üblichen Kulturmagazine und den Ton (wie die Dummheit der Bilder) in den gängigen TV-Künstlerportraits durch den Kakao zog. In der Sparte Ökologie hatte es die Aufbereitung von schmutzigem Wasser in sich: Mit Ruhm und Preisgeld bedacht wurde eine Radio-Dokumentation aus den USA über Plastiktüten am Strand und ein schwedischer Film über den Kollaps der Barents-See.

Die Schlußzeremonie geriet zu einem Finale der Italianita von heute. Im Teatro Morlacci, einem dieser klassischen mittelitalienischen Opernhäuser, erhob sich eine Eurovisionstunde überm ovalen Parkett. In den Logen und auf den vier Rängen hörte man die schauderhafte Kopie einer Operndiva das Schönste aus West Side Story und Cats schmettern. Der Hl. Franz schmolz in Belacanto dahin, und kesse Franziskanerinnen tanzten in Ekstase daher.

Der Groll bei den Rundfunktionären, die es nicht für Allotria erachten, über Kultur im Medium und die Kultur desselben nachzudenken, war am Ende erheblich; einige Anstalten könnten erwägen, die Überweisungen nach Italien zu stornieren, wenn sich die Linie der buntscheckigen Dummheiten fortsetzt. Vielleicht aber turnen auf ihr die heutigen „Avantgardisten“ des Mediums.

Frieder Reininghaus