1 Faschist 10 sex x 100 crime

■ „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“: Premiere am Schauspielhaus und deja vu / Schauspielerische Schrebergärten statt Konzept

So einfach ist das nicht mit diesem Ui. Brechts 1941 im finnischen Exil verfaßte Parabel sollte den Mythos Hitler entmythologisieren. Es sollte sein Charisma als Schmierentheater lächerlich machen, sein Zur-Machtkommen erklären als Sieg der nackten mafiosen Gewalt, derer sich der Karfiol-Trust alias Monopolkapital genauso bedient wie die bei der Korruption erwischte Ehrbarkeit des alten Dogsborough alias Hindenburg. Das Problem ist, daß diese Faschismuserklärung überholt ist, weil sie außer den faschistischen Gangstern nur das Kapital als geschichtsmächtig ansieht. Und außerdem gibt es durch das Schiffbauerdammtheater Brecht

Inszenierungen, die den Ui als leichtes, kabarettistisches, groteskes Marionettentheater schon vor 20 Jahren gezeigt haben. Bringt man den Ui 1989, braucht's ein Konzept.

Zwei Überlegungen waren der Inszenierung anzusehen, die unter der Leitung der Schauspieler Wolfgang Pauls, Andreas Grothgar und Ilja Richter am Bremer Theater Premiere hatte. Die eine: Ui und seine Spießgesellen sollten weniger Nazis als Mafiosi sein. Die andere: Aus den Charaktermasken des Stücks, sollten Individuen werden.

Die Lösung vom Nazi-Erscheinungsbild hat eher gut getan. Die Freude am verzerrenden Nachäffen zeigt ja oft mehr Fixierung auf die Nachgeäfften als Distanz. So wurde gegen die naturale Ähnlichkeit besetzt und geschminkt, der lange Ilja Richter, der leicht zum feisten Giri-Göring aufzupolstern gewesen wäre, spielte den in natura kleinen Givola-Göbbels, und Helmut Rühl spielte Ui ohne das unvermeidliche Schnäuzchen. Spielte ihn auch so wenig wie möglich als die allseits

beliebte Hitler-Karikatur. Er pendelte zwischen Demütigung, Drohung und Gewaltausüben, zwischen Ich-Berauschung und Zynismus eher understatend und dicht am Text. Sehr O.K.

Bei den Figuren, die der Text nicht charakterisiert, erfanden sich die Spieler Scheusale eigenen Pläsirs, Andreas Grothgar einen Giri als schiefmäulige Ausgeburt der demonstrativen Vulga

rität, Ilja Richter als Givola einen Richard III. im Gewand des versponnenen Ästheten.

Sehr fein im einzelnen, aber die Ansammlung solcher schauspielerisch gehegter Schrebergärten ersetzt kein Konzept. Der Ansager kündigt reißerisch eine „große historische Gangsterschau“ an, wunderbar break-dance -stotternd-tanzend Christian Wittmann! So, als historisches

Kabarett, leicht und bissig hätte es gehen können. Vielleicht. Die absurden Angststöhnereien des jungen Dogsborogh, (die die Jungs hinten so „voll geil“ fanden) oder der genußvolle Klamauk mit Uis Schauspieluntericht bei dem göttlichen Wolfgang Pauls als heruntergekommenem Genie, diese voll-albernen Nummern zwischendurch wiesen in die gleiche Richtung.

Aber das Stück insgesamt ging in eine durchaus andere. Da wurde ellenlang und durch alle Windungen ausgespielt, was gestrichen gehört hätte, wenn sich nur ein spektakulärer Auftritt draus schneidern ließ. Oder eben viele. Da kippten Szenen wie der Speicherbrandprozeß um in peinliche Klamotte beim Versuch, Erschütterung über soviel gemeine und zum 45. mal gezeigte Gewalt durch große Pose zu erzielen. Und da gab es Szenen wie die Vergewaltigung der Witwe Dullfeet, von hinten und von vorne und nochmal verdoppelt durch Giri -Göring, der im Bühnenhintergrund irgendein zweites Weib zusammenstößt, die waren schlicht und verselbständigt „sex and crime“. Immer in der guten Absicht, nehme ich an, zu demonstrieren, daß faschistische Gewalt auch eine sexuelle ist, wie auch schon in „Liebe und Anarchie“ zu erfahren war. Eine These, die ich vor diesen opulenten Holzham

merrealisierungen überzeugender fand als hinterher.

Daß der Faschist in der Regel ein Mann und brutal ist und mit dem Browning fickt, ist kein hinreichendes Konzept. Und aus der Versammlung schauspielerischer Kabinettstückchen ergab sich ein überstopfter, überlanger Beweis von irgendwas, was man schon lange weiß und/oder so für eh zu billig hält.

Uta Stolle