„Feministische Unterrichtsmaterialien helfen wenig“

Eva Rühmkorf, schleswig-holsteinische Bildungsministerin, zu partiell getrenntem Unterricht für Jungen und Mädchen  ■ I N T E R V I E W

taz: Frau Rühmkorf, als vor 20 Jahren die Koedukation eingeführt wurde, galt das als großer Fortschritt. Inzwischen ist sie besonders aus feministischer Sicht in Kritik geraten. Und nun denken auch Sie als Bildungsministerin darüber nach, ob sie nicht teilweise wieder abgeschafft werden soll.

Eva Rühmkorf: Nein, soweit gehe ich nicht. Sicherlich war die Einführung der Koedukation auch für Mädchen ein Fortschritt. Andererseits hat es durch die neue Frauenbewegung und -forschung Erkenntnisse darüber gegeben, daß Jungen von ihr tatsächlich mehr profitiert haben als Mädchen. Ich möchte die Möglichkeiten schaffen, daß in den Bereichen, wo Mädchen sichtbar benachteiligt sind, partiell getrennter Unterricht stattfinden kann, um die Mädchen zu stärken für die spätere Konkurrenz mit Männern.

Welche Bereiche sind das?

Physik, Technik, Informatik. Es gibt da eindrucksvolle Modellversuche bei Computerkursen, aus denen hervorgeht wie gut Mädchen abschneiden, wenn sie getrennt Unterricht haben.

Besteht bei einer erneuten Trennung gerade in den naturwissenschaftlichen und technischen Fächern nicht die Gefahr, daß die Lehrkräfte bei den Mädchen - wie früher an den reinen Mädchenschulen oft erlebt - das Niveau von vornherein niedriger ansetzen.

Ich will dieses Risiko nicht ausschließen. Deswegen werden wir das ja auch nicht mit einem Donnerschlag von oben verkünden. Es ist sehr wichtig, daß die Anforderungen an die Mädchen hoch sind und bei partiell getrenntem Unterricht in den Mädchenklassen etwa die Chemie nicht vom Kochen abgeleitet wird.

Sie bereiten in Schleswig-Holstein ein neues Schulgesetz vor. Wie setzen sich diese Überlegungen darin konkret um?

Unter grundsätzlicher Bejahung und Beibehaltung der Koedukation wird das Gesetz die Möglichkeit eröffnen, da wo es sinnvoll ist, im Interesse der Mädchen und der Jungen, getrennten Unterricht zu machen. Im Interesse der Jungen betone ich deshalb, weil im Moment die Diskussion leider immer so läuft, als sei nur die Mädchenerziehung defizitär.

Wir können das aber nicht anordnen, solange wir nicht Schuleitungen und Lehrer und Lehrerinnen haben, die genügend Bewußtsein und Können haben, um den Unterricht anders zu gestalten. Wir suchen nach denjenigen Lehrerinnen, nach „Komplizinnen“ im Lande, die sich schon mit diesem Thema beschäftigen, um so Multiplikatorinnen zu schaffen.

Feministische Schulforscherinnen verlangen schon seit Jahren feministische Unterrichtsmaterialien und feministische Supervision bei der LehrerInnenaus- und -weiterbildung.

Für mich ist das, was wir jetzt diskutieren, nicht nur eine feministische, sondern eine humane Fragestellung im Interesse wirklicher Chancengleichheit für Mädchen und Jungen. Es ist nicht nur eine Frage der Materialien, sondern des persönlichen Engagements der Lehrerinnen und Lehrer. Ich glaube nicht, daß feministische Loseblattsammlungen die Arbeitsbedingungen wirklich verbessern. Die Hamburger Gleichstellungsstelle hat eine Studie Lernziel Gleichberechtigung herausgegeben. Und wir haben damals lange mit Lehrerinnen diskutiert, was feministische Lehrbücher bringen würden. Wir sind - wie die Schweden vor vielen Jahren - zu dem Ergebnis gekommen: Handeln, nicht das Umschreiben von Schulbüchern, verändert das Bewußtsein. Weiterhelfen wird uns nur, daß die Lehrerinnen und Lehrer selber merken: Wir wollten eigentlich zur Gleichberechtigung erziehen. Warum gelingt es uns nicht?

Interview: Ulrike Helwerth