Die Revolution im Saal

■ „Lieder zur Französischen Revolution“ in der Oberen Rathaushalle

Irgendwie paßt alles so richtig zusammen bei diesem „Musikfest“. Vor dem Rathaus stehen immer noch Studenten und überreichen dem eintretenden Konzertpublikum mit frierenden Fingern ihre Handzettel.

Nur wenige nehmen Kenntnis davon. Der Protest wird ignoriert, oder vielmehr: Er gehört dazu, steigert behaglich die elitäre Befindlichkeit. Die Situation erlaubt, „unsere“ bürgerliche, ja was sage ich, die Revolution schlechthin zu feiern. Im Saal, versteht sich.

Unbekümmert wird der Schauer der Begeisterung genossen, der mit dem euphorischen Vortrag einer üppigen Fassung der Marseillaise für Chor und Orchester durch „Les Arts Florissants“ langsam den Rücken entlang rieselt.

Zwar zwinkert das Publikum so wie die Chorsolisten dem nahestehenden oder -sitzenden „Bürger“ wissend entgegen, Schmunzeln umspielt die Mundwinkel; und doch wird alles getragen von einem zarten Hauch melancholischer Verzückung für

eine große Idee.

Mitten in Gossecs „Hymne a l'Etre Supreme“ wagen zwei Zuspätkommende ungeniert, die Andacht trampelnd zu stören. Der Dirigent (William Christie) unterbricht, dreht sich gestreng nach den beiden um und straft sie mit empörtem Gesichtsausdruck. Der weitere Ablauf bis zur Pause gelingt ohne Störungen, aber mit wachsendem Enthusiasmus der Versammlung.

Die eigentliche „Sensation“ folgt auf etwas Sekt, Orangensaft oder Mineralwasser: eine konzertante Aufführung der Oper „Le Triomphe de la Republique“ (1793) von Francois -Joseph Gossec. Sechs Tage nachdem Ludwig XVI mit Guillotins scharfschneidigem Produkt eine tödliche Bekanntschaft gemacht hatte, war das Werk erstmals gegeben worden.

Das Libretto spielt zu Beginn des ersten Koalitionskrieges, die Ardennenoffensive und Einnahme Verduns durch den Oberbefehlshaber Herzog von Braunschweig, sowie den ersten Sieg der Revolutionsarmeen gegen die

europäischen Verbündeten in Valmy im September 1792.

Ein roh zusammengestückelter Text aus überschwenglichem Revolutionsgeträller, in den Freiheitskrieg ziehenden jungen Männern, jammernden Frauen, heulenden Kindern, väterlich ratgebenden alten Männern, Kampfgetöse, Siegestaumel und einer herabschwebenden „Göttin der Freiheit“.

Den Text der Kampfesschilderung („und Blut strömt überall wo wir gehen und stehen“) holte die Wirklichkeit auch im Zivilleben rasch ein: Nur wenige Monate später proklamierten Wohlfahrtsausschuß und Nationalkonvent den Terror als legitimes Regierungsinstrument.

Die Musik ist keinen Grad besser. Einfach und tumb, billigen Pomp nicht scheuend, begleitet sie das vorwiegende Unisono des Chores. All das lebt im Grunde nur von einem Traum, der großen Idee eben. Eine andere Melancholie erhebt sich; die nach dem „goldenen Feudalzeitalter“ eines Händel oder Bach, eines Vivaldi oder Scarlatti.

H. Schmidt