: Der letzte Sargnagel
■ Die USA wollen in jedem Fall chemische Rüstung fortsetzen
Überrascht von der jüngsten Chemiewaffen-meldung aus Washington kann eigentlich nur sein, wer seit geraumer Zeit gewisse Fakten verdrängt und sich von Bushs Rede vor der UNO Ende September hatte blenden lassen. Typen und Produktionsumfang des binären C-Waffen-Programms der USA sind in Bonn und bei den Regierungen anderer Bündnisstaaten Washingtons seit langem bekannt. Ebenso, daß der US-Kongreß bislang alle Haushaltsgelder für das Programm bewilligt hat. Auch der seit Monaten innerhalb der Washingtoner Administration ausgetragene Kampf zwischen Befürwortern der C-Waffen (Pentagon) und Unterstützern eines baldigen Genfer Verbotsabkommens (State Departement) war kein Geheimnis. Die Falken haben sich vorerst durchgesetzt.
Schon die in Bushs vielfach als Fortschritt gefeierter C -Waffen-„Initiative“ enthaltenen Zahlen über Umfang und Zeiträume einer C-Waffen-Reduktion hätten stutzig machen müssen. Zu gut paßten sie mit den Daten für das Binärwaffenprogramm zusammen. Spätestens jedoch Bushs umgehende und brüske Ablehnung von Schewardnadses weitergehendem Vorschlag für einen Produktionsstopp und die vollständige Vernichtung der C-Waffen-Arsenale beider Großmächte noch vor Abschluß eines Genfer Verbotsvertrages deutete klar darauf hin, was auch für die Administration von Reagans Nachfolger vorrangig ist: die Produktion aller von den Pentagonstrategen für notwendig befundenen Typen binärer C-Waffen im ursprünglich geplanten Umfang. Das Ziel eines weltweiten Verbots hat Washington entgegen bisheriger offizieller Bekundungen aufgegeben. Statt dessen heißt die Richtung: Schaffung eines eigenen, flexibel einsetzbaren und allen anderen Staaten überlegenen C-Waffen-Arsenals, verbunden mit einem striktem Regime gegen die Weiterverbreitung chemischer Waffen beziehungsweise Produktionssubstanzen. So soll verhindert werden, daß andere Staaten sich ein Potential zulegen, das in den Augen der USA gefährlich werden könnte.
Ein Genfer Abkommen ist für Washington zweitrangig, bereits vereinbarte Bestimmungen sollen geändert und so den eigenen Produktionsbedürfnissen angepaßt werden. Legt die Bush -Administration einen entsprechenden Vorschlag auf den Genfer Tisch, entwertete sie selbst völlig ihre ohnehin fragwürdigen Forderungen nach Druck auf (potentielle) C -Waffen-Staaten in der Dritten Welt. Der Produktion chemischer Waffen wären dann keinerlei vertragliche und geographische Grenzen mehr gesetzt. Setzte sich Washington bei den anderen 39 Verhandlungspartnern in der UNO -Abrüstungskonferennz mit dem Vorschlag durch - womit in Genf derzeit nicht gerechnet wird -, wäre dies tatsächlich der letzte Sargnagel für ein weltweites C-Waffen-Verbot.
Andreas Zumach
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