HEIMLICHE HIV-TESTS IM KNAST

■ Gefangener wollte Löschung der Akteneintragung und löste juristische Lawine aus

Im Knast gehen alle Uhren anders. Kaum biste drin, will jeder was von dir. Der Kerl auf der Geschäftsstelle: „Name, Anschrift, Geburtsdatum?“ Der Kammerbulle schaut dir in die Kimme: „Keine versteckten Gegenstände?“ Der Stockschließer, einer von der mürrischen Sorte, mault: „Zelle 14“. Kaum liegste in der Falle, will der Sani dich beäugen: „Gesund?“

-„Nee“. „Egal, muß nur Blut zappen, Blutgruppenbestimmung und Blutsenkung“, brummt er routinemäßig. „Na“, denkste, „wenn der sonst keine Sorgen hat“, und spendierst ihm nichtsahnend 'nen Fingerhut voll vom kostbaren Saft. Der Sani aber grinst so seltsam, so, als wenn er sagen wollte: „Schon wieder einen angeschissen.“

Monate später, die Chose mit dem Sani ist schon längst vergessen, flattert einem ein Zeitungsbericht über Aids, Gefangene, Blutuntersuchungen auf den Tisch. „Sieh einer an“, denkste da, „die Brüder testen deinen Saft auf Aids. Gefragt hat dich natürlich keiner, der Sani schon gar nicht.“

Zuerst eine Anfrage ans Lazarett, ob man einen Aids-Test bei denen machen kann. Na, Volltreffer! „Ein Aids-Test ist bei Ihnen nicht notwendig, da dieser bereits zu einem früheren Zeitpunkt gemacht wurde; Ergebnis negativ.“ Eine schöne Schweinerei, haben sie einen doch geleimt, die eigene Vertrauensseligkeit schamlos ausgenutzt. Was nun? Eine Anfrage an den leitenden Kerkermeister, einen leibhaftigen Leitenden Regierungsdirektor. Tenor: Ihr habt mich geleimt mit eurem Aids-Test, macht, daß der Vermerk wieder aus der Akte verschwindet.

Drei Monate brütet der große Zampano über diesem Antrag. Da muß man wohl „Methode Stalinorgel“ anwenden, um die Brüder zum Handeln zu bewegen. Ein „109er“ an die Strafvollstreckungskammer. Peng! Eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Zampano und seinen stellvertretenden Gehilfen, einen Oberregierungsrat. Peng! Einen Strafantrag bei dem zuständigen Staatsanwalt. Peng! Das alles klappt vorzüglich, denn nun fangen die juristischen Hühner zu Gackern an, daß es eine wahre Freude ist.

Der „109er“ wird, was sonst, für dich entschieden, die andere Seite hat, wie erwartet, mit juristischen Zitronen gehandelt. Wer nun aber meint, die geben auf, entschuldigen sich und löschen den Eintrag in der Akte und backen hinfort kleine Semmeln, der irrt gewaltig. „Wir gehen in Rechtsbeschwerde!“ Na, dann geht mal schön, denkste grinsend, denn dann werdet ihr allmächtigen Volljuristen gleich nochmal rasiert, diesmal vor dem OLG.

Die Rechtsbeschwerde formuliert der zweite Boß, ebenfalls Jurist. Nun aber sind auch die hohen Ministerialen bei dieser „heißen“ Sache auf den Plan gerufen, die, um alles nachträglich zu rechtfertigen, auch aus der 'Frankfurter Allgemeinen‘ zitieren. Was dort steht, ist - scheinbar Recht und Gesetz. „Hol's der Deubel“, denkste nun, „laß dir einen Anwalt beiordnen, die drücken dich sonst an die Wand.“ Als armer Hund biste bei denen sowieso immer der Angeschmierte. Die Strafvollstreckungskammer meint dazu „okay“. Gott sei Dank. Denn jetzt geht der Rummel erst richtig los, die Schriftsätze werden ellenlang.

Auf die Dienstaufsichtsbeschwerde kommt sechs Wochen später ein „Zwischenbericht“, Tenor: „Sie haben keinen Anspruch auf Löschung der (widerrechtlich) zustandegekommenen Daten in der Krankenakte.“ Auf den Endbescheid wartet man heute noch! Eineinhalb Jahre später.

Jetzt kriegt der Stellvertreter vom Zampano, nachdem dir der Kragen wegen der Langweiligkeit geplatzt ist, einen kleinen Brief: “... hoffe, daß Sie mittlerweile aus dem Winterschlaf erwacht sind...“

Der ermittelnde Staatsanwalt, ein leibhaftiger Oberstaatsanwalt, gibt sich Mühe, den Zampano aus der Schußlinie zu bekommen, er stellt das Verfahren (wie üblich) ein. Wegen „unvermeidbarem Verbotsirrtum“, ein Gag, den sie bei armen Hunden niemals anwenden. Daß er aber, bewußt oder nicht, neue „Munition“ geliefert hatte, konnte er nicht wissen. Seine Akten zeigten, daß die Aids-Untersuchungen an Gefangenen „auch ohne ihr Wissen und auch gegen ihren Willen“ durch einen „Geheimerlaß“, der an die Wannsee -Konferenz in Sachen Euthanasie erinnerte, von höchster ministerieller Stelle sanktioniert waren. Die Konferenz hatte am 22.6.85 stattgefunden, der „Runderlaß“ erging am 9.9.85. So hatte der Strafantrag diese Katze aus dem Sack gelassen, von der nun keiner mehr etwas wissen wollte.

Der stellvertretende Zampano meinte nun aber, die Löschung aus den Akten immer noch verhindern zu müssen nach dem Prinzip: „Die Äpfel habe ich zwar geklaut, aber ich geb‘ sie jetzt nicht mehr her.“ Was schrieb er da? „Ihr Antrag auf Tilgung des Untersuchungsergebnisses des Aids-Tests aus Ihrer Gesundheitsakte wird abgelehnt. Sie können keinen berechtigten Anspruch auf Entfernung des Untersuchungsergebnisses geltend machen; die Eintragungen in Ihrer Gesundheitsakte sind zutreffend und entsprechen den festgestellten medizinischen Erkenntnissen. Die Frage der rechtlichen Zulässigkeit der Untersuchung berührt den Akteninhalt nicht. Im übrigen handelt es sich bei der Gesundheitsakte um einen behördeninternen Aktenbestand, auf dessen Führung dem Gefangenen kein Mitwirkungsrecht zusteht.“

Das OLG klopfte ihm (und allen anderen Beteiligten) dafür allerdings gehörig auf die Finger. Unter dem Strich hatten sich (anstatt den Antrag auf Löschung stillschweigend zu billigen) ganze Justizvölkerstämme in Brot und Arbeit gebracht und so dafür gesorgt, daß denen vor lauter Müdigkeit nicht die Birnen auf die Schreibtischplatten knallten. Beteiligt waren zum guten Schluß: ein Leitender Regierungsdirektor, Volljurist, Chef der JVA - ein Regierungsdirektor der JVA, ein Ober-Regierungsrat der JVA, ein Gefängnisarzt, zwei hohe Ministeriale, ein Rechtsanwalt, eine komplette Strafvollstreckungskammer, ein komplettes Oberlandesgericht in Kammerbesetzung, Schreibkräfte, Berater, Aktenträger, Hausmeister sowie ein Oberstaatsanwalt mit seiner ganzen „Macht“ (und Dienststelle) und ein wahrhaftiger Leitender Oberstaatsanwalt, der die Kastanien aus dem Feuer holte.

Neben einem Sack voll verschiedener Aktenzeichen hatten sich mehr als 175 Blatt Papier angesammelt, auf denen lauter schlaue Sachen standen.

Fünfeinhalb Monate nach Abschluß der Aktion kommt als Antwort auf eine Anfrage nach der eigenen Blutgruppe der Bescheid: „Das Lazarett der JVA macht keine Blutgruppenuntersuchungen, ebenso ist Ihre Blutgruppe nicht bekannt.“ Nun hatten sie auch noch den ermittelnden Staatsanwalt beschissen. Namens des Volkes, versteht sich.

Bernd Berger, JVA Diez