: Querbeet gelesen
■ von Mathias Bröckers
Zu ihrem 60jährigen Jubiläum hat die 'International Business Week‘ das „Neue Amerika“ demographisch untersuchen lassen was hat sich in den vergangenen 60 Jahren nachhaltig verändert und wie wird die Zukunft der „rastlosen Nation“ aussehen? Wenn die Trends, die die Statistiker ausgelotet haben, anhalten, nicht allzu gut. Ein paar Zahlen: Die Produktivität, die seit 1900 im Schnitt jährlich um 2% wuchs, stagniert seit 1973, in der 20er Jahren lebten noch 49 Prozent der Amerikaner in ländlichen Gebieten (und von der Landwirtschaft), 1988 ist der Anteil der Farm -Bewohner auf 2 Prozent der Bevölkerung geschrumpft, allein im Bundesstaat Kansas gibt es mittlerweile 2.000 Geisterstädte. Von 1950 an stieg das mittlere Familieneinkommen 20 Jahre lang regelmäßig an, Anfang der 70er Jahre stoppte der Aufschwung, die Anzahl der unter der Armutsgrenze Lebenden steigt seitdem kontinuierlich, die Schere zwischen arm und reich geht weiter auseinander - ein Trend, den die Demoskopen auch für die 90er Jahre voraussagen, denn die Mittelklasse schrumpft. Der Bevölkerungsanteil mit mittlerem Einkommen (zwischen 15.000 und 50.000 Dollar im Jahr) hat zwischen 1973 und 1987 um fast 10 Prozent abgenommen, die Anzahl der Armen und der Superreichen ist entsprechend geklettert. Doch die Durchschnittsamerikaner scheinen sich darüber keine Sorgen zu machen: 84% glauben, daß ihre Kinder eine mindestens ebensogute oder gar bessere Zukunft haben werden als sie selbst. Der Kommunismus hat als besorgniserregendes Problem ausgedient: 86% fürchten sich vor dem Drogenmißbrauch, 82% vor steigender Kriminalität, 75% vor der Ausbreitung von Aids, 65% vor Umweltgefahren und 42% vor einem Nuklearkrieg. Der Ausverkauf Amerikas scheint beschlossene Sache zu sein: 64% der US-Bürger sind der Überzeugung, daß ihre Volkswirtschaft in zehn Jahren von ausländischen Unternehmen dominiert wird.
Der (Schief-)Lage Amerikas und der dadurch vorangetriebenen Zerstörung des Planeten nimmt sich auch die Septemberausgabe von 'Omni‘ an. Die Autoren der 16seitigen Titelgeschichte machen für die Vergiftung des Grundwassers, chemische und radioaktive Verseuchung, Abholzung der Wälder, für das ganze real-apokalyptische Szenario also vor allem eine Ursache aus: fehlende „mindpower“. Nach neuesten Erhebungen sind 61% aller 17jährigen High-School-Besucher unfähig, ihre Schulbücher auch nur korrekt zu lesen, sie können biespielsweise nicht unterscheiden, ob es sich um historische oder biologische Texte handelt. 50% von ihnen haben die Grundrechenarten nicht verstanden, an Fortbildung sind die wenigsten interessiert: Nur 20% wollen noch studieren, die Zahl der Doktor-Abschlüsse an den Universitäten ist seit den 60er Jahren um 50 Prozent gefallen.
Dem stagnierenden Geist in „Gods own country“ korrespondieren kranke Körper: Gesundheit wird zwar immer teurer, die Versorgung aber immer schlechter: 37 Millionen Amerikaner sind nicht krankenversichert, ein Drittel aller Frauen bleibt während der ersten Monate der Schwangerschaft medizinisch unversorgt, die Säuglingssterblichkeit ist 25% höher als im benachbarten Kanada, das über ein staatliches Gesundheitssystem verfügt. „Kein Land außer Südafrika würde es dulden, daß der Gesundheitszustand einer Familie von ihrem Reichtum abhängt“, wird Senator Edward Kennedy zitiert.
Zahlreiche andere Länder hingegen bekämpfen das derzeitige US-Schreckgespenst Nummer eins - den Drogenmißbrauch - so, wie es Präsident George Bush betreibt: repressiv. Nach Meinung von 'Omni‘ der vekehrte Weg: „Den Drogenmißbrauch durch Verbot zu bekämpfen ist dasselbe, wie gegen Aids durch ein Verbot der Sexualität vorzugehen.“ Als eine mögliche Lösung schlägt der Psychopharmakologe Ronald Siegel vor, die Forschung nach „sicheren Drogen, die die Sinne ohne Gesundheitsschädigung intensivieren“, zu verstärken, als Beispiel nennt er das Psychedelikum „2-CB“. Daß vor allem Amerika um derlei Forschung nicht herumkommen wird, mag eine Zahl belegen: die USA stellen nur 5% der Weltbevölkerung, aber konsumieren 50% aller produzierten Drogen.
Nach so vielen harten Zahlen aus Amerika noch etwas Haltloses, für das das 'Omni'-Magazin ja auch immer gut ist. Zitiert wird der Flugkapitän John Lear, der behauptet, daß die US-Regierung seit 1947 in geheimer Mission 30 gestrandete Flugobjekte fremder Zivilisationen beschlagnahmt und auch Testflüge damit veranstaltet hat. Und nicht nur das: Im CIA-Hauptquartier in Langley (Virgina) und in zwei Air-Force-Stützpunkten sollen mindestens 30 Außerirdische verschiedener Zivilisationen eingefroren sein. Mit einigen Überlebenden E.T.s hätte man indessen verhandelt: „Die US -Regierung ist seit 20 Jahren im Geschäft mit kleinen grauen Außerirdischen, im Tausch gegen Technologie wurde ihnen versprochen, über die Entführung von Menschen und die Zertsückelung von Vieh hinwegzusehen.“ So weit, so verrückt
-ob an diesem Aberwitz etwas dran ist, wird vielleicht der große internationale UFO-Kongreß klären können, den das 'Magazin 2000‘ Ende Oktober in Frankfurt veranstaltet.
Abgehoben geht es auch in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift 'Esotera‘ zu, die dem wohl spektakulärsten PSI -Phänomen auf der Spur ist: der Levitation, dem „physikalisch unerklärbaren freien Schweben einer Person oder eines Objekts“. Dokumentiert wird der Fall des 26jährigen Peter Sugleris aus dem US-Bundesstaat New Jersey, der aus eigener Kraft eine dreiviertel Minute etwa 40 Zentimeter in die Luft gehen kann. Zeugenaussagen u.a. seines Psychiaters Berthold Schwarz, der sich, seit Sugleris ihn wegen dieses Phänomens vor vier Jahren aufsuchte, mit dem „In-die-Luft-gehen“ beschäftigt, bestätigen das auf Videofilmen festgehaltene freie Schweben des Mannes - auch wenn bei zwei halböffentlichen Demonstrationsversuchen die Newtonsche Schwerkraft den Flieger fest am Boden hielt. Notorischen Skeptikern mag dies schon Beweis genug sein, daß es sich hier nur um Hokuspokus handeln kann. Historisch allerdings ist diese merkwürdige Leichtigkeit nichts Unbekanntes, meistens waren es Heilige, die im Zustand religiöser Verzückung abgehoben sein sollen, in seiner „Christlichen Mystik“ untersucht der Goethe-Zeitgenosse Joseph von Görres allein 72 Levitationsfälle.
Was die Vermutungen über die Ursachen betrifft, tappte er freilich ebenso im dunkeln wie die modernen Wissenschaftler. Zwei amerikanische Physiker, Jack Sarfatti und Fred Wolf, haben unlängst eine neue Theorie aufgestellt, nach der Levitation und andere PSI-Phänomene auf bewußtseinsgesteuerte „Biogravitationsfelder“ zurückzuführen sind, die sich durch mentale Einwirkung mit den Elementarteilchen des normalen Schwerkraftfeldes vermischen und dadurch die Gravitationskraft verringern. Der Einstein -Schüler und „New Age„-Philosoph David Bohm glaubt, Zusammenhänge zwischen quantenmechanischen Kräften und solchen Biogravitationsfeldern entdeckt zu haben labormäßig nachgewiesen ist ein derart direkter Einfluß des Geists auf die Materie allerdings noch nicht. Vorerst also bleibt die sogenannte exakte Wissenschaft mit beiden Füßen auf dem Boden.
Doch auch da gibt es einiges zu entdecken, z.B. diverse Kräuter, Pflanzen und Pilze, die eine Ahnung davon verschaffen, wie so etwas wie Biogravitation aussehen könnte. In der 1985 gegründeten Stiftung „Botanical Dimensions“ auf Hawaii bewahrt und erforscht der Anthropologe Terence McKenna in Vergessenheit geratene psychoaktive Pflanzen, die von Medizinmännern alter Kulturen gezielt zur Bewußtseinserweiterung eingesetzt wurden. Nach seiner Meinung wurde die Evolution der frühen Primaten entscheidend von diesen Pflanzen, namentlich von dem auf dem Dung von Rindern wachsenden Psilocybin-Pilz geprägt wurde: „Was meine Theorie vorschlägt ist, daß das fehlende Glied zwischen Primaten und Menschen, als sich dieses explosionsartige Wachstum des Gehirns ereignete, (...) kein Fossil ist, sondern ein Faktor, den wir übersehen haben: das synergistische Wirken von halluzinogenen Alkaloiden in der Nahrung dieser Primaten.“ Ein Buch von McKenna (Wahre Halluzinationen) ist dieses Frühjahr auf deutsch erschienen, weiteres dazu wird auf einer Vortragstournee im kommenden Oktober zu erfahren sein.
Was immer an dieser spannenden Evolutionsthese dran sein mag, auch auf Fossilien wird man zur Erklärung der Urgeschichte nicht verzichten können - dem wohl berühmtesten „missing link“ ist ein Aufsatz im 'Spektrum der Wissenschaft‘ (September 1989) gewidmet: dem Archäopteryx, der als Zwischenglied zwischen Saurier und Vogel gilt und von dem bis heute sechs Skelettreste entdeckt wurden. Die von dem englischen Astronomen Fred Hoyle aufgestellte These, daß es sich bei diesen Fossilien um Fälschungen handelt, darf mittlerweile als obsolet betrachtet werden: Die Federn auf den Abdrücken sind echt, Archäopteryx war kein einfacher Kleinsaurier, sondern konnte sehr wohl fliegen. Wie sich seine Flugfähigkeit entwickelte, darüber gibt es zwei Theorien. Die eine geht von einem rennenden Zweifüßler aus, der bei der Jagd nach Beute kleine Sprünge machte und mit den Vorderarmen zu schlagen begann, die andere von einem baumkletternden Tier, das mit ausgestreckten Armen im Gleitflug auf seine Beute stürzte, dabei flatterte und allmählich den Schlagflug erlernte.
Ebenfalls an Fälschung denken könnte man bei den Abbildungen zu dem Aufsatz von Hartmut Jürgens, Heinz-Otto Peitgen und Dietmar Saupe „Fraktale - eine neue Sprache für komplexe Strukturen“ - daß diese schillernden, farbigen, bizarren Landschaften, Verästelungen und Gebilde mathematisch exakte Objekte sein sollen, scheint absurd, ist doch Mathematik für unsereinen eher von der Diktatur des Rechtecks oder im Höchstfall von der sanften Rundung der Sinuskurve geprägt. Doch seit der IBM-Mathematiker Benoit Mandelbrot in den 70er Jahren die fraktale Geometrie entdeckt hat, ist alles anders.
Die Autoren zitieren Michael Barnsley, einen der führenden Köpfe auf diesem Gebiet: „Die fraktale Geometrie wird Ihre Sicht der Dinge grundlegend ändern. Sie werden es riskieren, Ihre kindliche Auffassung von Wolken, Wäldern, Galaxien, Blättern, Federn, Blumen, Felsen, Gebirgen, Teppichen und vielen anderen Dingen zu verlieren. Niemals werden Sie zu den Ihnen vertrauten Interpretationen dieser Dinge zurückkönnen.“ Mandelbrot selbst beschreibt die Bedeutung seiner Entdeckung so: „Die Naturwissenschaftler werden (sicherlich) überrascht und erfreut sein, daß sie zukünftig solche Formen qualitativ streng untersuchen können, die sie bisher faltig, gewunden, körnig, picklig, pockennarbig, polypenförmig, schlängelnd, seltsam, tangartig, verzweigt, wirr, wuschelig genannt haben.“ Diese wuscheligen, verhuschten Wirrheiten, die, sofern sie irgendwo bei naturwissenschaftlichen Experimenten auftauchten, als Störung, Sonderfall, Ausnahme beiseite geschoben wurden, müssen nach Mandelbrot nicht als Störfall, sondern als Regel unserer gesamten Natur angesehen werden - eine Regel, die nicht aus komplizierten Formeln, sondern aus einfachen Algorithmen (Verfahrensanweisungen) besteht. So kann zum Beispiel ein komplex verästeltes Farnblatt mit einem Algorithmus von nur 24 Zahlen beschrieben und mittels Computertechnik täuschend echt visualisiert werden.
Die Entdeckung der geheimen Ordnung des Bizarren durch Mandelbrot (zu der dieser Aufsatz eine gute Einführung bietet) korrespondiert mit einer ebenfalls hochaktuellen wissenschaftlichen Neuerung: der Chaos-Theorie. Diese hat Naturwissenschaftler und Mathematiker mit dem Problem konfrontiert, daß zahlreiche Phänomene, die eigentlich einem strengen Determinismus gehorchen (wie z.B. ein einfaches Pendel) prinzipiell nicht berechenbar sind.
Zwar berechenbar, aber deswegen immer noch ziemlich unglaublich ist ein Gerät, das die Zeitschrift 'Raum & Zeit‘ (Nr. 41) vorstellt: der Müller-Motor, der uns, sofern sein Erfinder Bill Müller ihn denn zur Serienreife bringt, Energie fast zum Nulltarif bescheren könnte. Schon die (von einem Ingenieur-Büro begutachteten) Testläufe offenbarten Erstaunliches: Bei 325 Watt Energie-Input produziert der Motor 1.800 Watt Output. Das Geheimnis dieses Prototyps des Perpetuum mobile besteht in einem erst kürzlich entwickelten Super-Neodynium-Magneten, der ein Hundertfaches seines Eigengewichts tragen kann. Diese Magneten läßt Müller - so simpel, daß nur ein Laie darauf kommen kann - in einem Rotor -Flug-Rad rotieren. Ohne Arbeit aufzuwenden, ziehen die Magnetfelder sich an und fallen wieder ab, und dabei entsteht freie Energie.
Nach den klassischen Gesetzen Newtons dürfte so etwas nicht funktionieren, aber es funktioniert - jedenfalls wenn man dem Gutachten des kanadischen Ingenieur-Büros „Research Electronics“ glauben darf. Für orthodoxe Fachleute, die beim Stichwort „Perpetuum mobile“ natürlich den Kopf schütteln, sei ein Satz daraus zitiert: „Das Perpetuum mobile existiert, beispielsweise kann eine Ladung sich in dem gleichen Potentialfeld ohne jede Energie bewegen, erforderlich wird Energie nur dann, wenn die Ladung ihr Potentialniveau ändert.“ Außer den technischen Details, deren eventuelle Fehlerhaftigkeit ich nicht beurteilen kann, spricht für diesen Motor seine Entstehungsgeschichte, denn Müller kam sozusagen am eigenen Leibe auf den Magneten: 1950 wanderte der in Bremen geborene Elektrotechniker nach Kanada aus, wo er seine Gesundheit in einer Uranmine ruinierte und nach einer radioaktiven Dauerbestrahlung schwer erkrankte. Entgiftet wurde er durch eine medizinische Behandlung mit Magneten, und seitdem beschäftigte er sich mit dieser Energie. „Er erkannte etwas sehr Einfaches: Ein Magnet ist ein Motor. Viele Magneten, sinnvoll angeordnet, sind ein Karftwerk.“
In der Bundesrepublik hat Bill Müller jetzt einen Finanzier für seine Forschung gefunden und eine Firma gegründet. Damit die taz-Telefone nicht heißlaufen wie ein antiker Benzinmotor, hier die Adresse: Energy 21, Technikzentrum Lübeck, Seelandstraße 15, 2400 Lübeck 14, Telefon 0451/3999132.
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