Mühlräder des Systems

■ Peter Jürgen Boocks neues Buch „Wilhelmsburger Schattenspiel“ ist das Thema seines Gesprächs mit Manfred Dworschak

Manfred Dworschak: Du hast Dir viel vorgenommen: den internationalen Waffenschmuggel, dessen Verflechtungen mit Polizei- und Politapparat bis hin zur rechtsradikalen Szene; auf der anderen Seite ein Häuflein jugendzentrumsbewegter Fabrikbesetzer - und die zufällige Kollision beider Milieus in einem Hamburger Industrievorort. Wie entsteht in der JVA Fuhlsbüttel, in der Abgeschlossenheit von ein paar tausend Quadratmetern, ein Krimi über soviel Welt?

Peter-Jürgen Boock: Zunächst einmal: auf der Basis umfangreichen Materials. Vor zwei, drei Jahren berichtete die taz über einen Vorfall im Hafen. Eine Kiste war beim Verladen entzweigegangen, eine Kiste mit Ostblockwaffen, für Südafrika bestimmt, wie sich herausstellte. Kein Einzelfall. Mein Anwalt verschaffte mir unter anderem mehrere 'Spiegel' -Jahrgänge, in denen sich Parallelfälle noch und noch finden. Im Ergebnis sämtlicher Recherchen läßt sich ziemlich schlüssig der BND als Drahtzieher der Schiebereien einkreisen. Wer beispielsweise die Contra in Nicaragua ausrüsten will, tut das am besten mit Ostblockwaffen - und behauptet hinterher, es könne sich nur um den Regierungstruppen abgejagte Beute handeln. Die Logistik ist dabei immer die gleiche: Scheinspeditionsfirmen, die über Nacht wieder verschwinden, unter anderem Cover neu erscheinen, und dergleichen mehr. Das funktioniert systematisch. Ich war in meiner RAF-Zeit viel in der Dritten Welt. Du findest dort keinen Kriegsschauplatz ohne solche Waffen, auch deutsche, fabrikneu, originalverpackt - und meist auf beiden Seiten.

Ist das nicht hinreichend bekannt?

Wenn es das wäre! Aber man schreibt ja ohnehin kaum, um aufzuklären. Ich meine, ich muß auch irgendwo mit meinen Emotionen hin, die Herren weiterhin belangen. Es ist immer eine gewisse Form des Angriffs. Und wenn ich dem einen oder anderen Kopf damit ein Würmchen implantieren kann, ist das schon viel.

Jedes Buch ist zwangsläufig auch eines über den Ort, an dem es entsteht. Deines rankt sich, wiewohl spannend, um die Trostlosigkeit mechanischer Abläufe. Hast Du über die Bedingungen Deines Schreibens nachgedacht?

Warum sollte ich das müssen? Ich bin nun mal überzeugt, ein Krimi habe heutzutage schwarz zu sein, rabenschwarz, wenns geht. Andererseits steht mir auch hier die Welt einschließlich ihres Personals zur Verfügung: vom smarten Wirtschaftsverbrecher über den sturen Beamten bis zum cleveren Trickbetrüger alles, was sie zu bieten hat. Meine Abgeschiedenheit, wenn Du es so willst, beeinträchtigt mich eigentlich nicht. Ich denke sogar, wenn ich in einer Geschichte so richtig drin bin, dann, es klingt womöglich pervers, dann ist die Mönchssituation gar nicht so verkehrt.

Wann kommst Du zum Schreiben?

Nun ja, ich bin in der Insassenvertretung, mache darüberhinaus Kulturarbeit, und dann kommt noch dieser und jener und will etwas formuliert haben. Ich schreibe fast nur nachts, auf einem PC.

Deine Figuren scheinen mir etwas überdeterminiert, als hättest Du sie konstruiert nach Maßgabe ihrer objektiven Interessen: profitgierig, karrieregeil und andererseits vom elementaren Bedürfnis nach einem Jugendzentrum getrieben.

Es mag sein, daß ich Charaktere manchmal nur grob schraffieren konnte. Zum einen waren mir 140 Seiten als Obergrenze vorgegeben. Das wirkt, vor der leeren Seite Eins, wie die Wüste Gobi. Dann aber merkt man schnell, was da alles nicht geht. Zum anderen, wenn Du von objektiven Interessen sprichst, ist das auch ungefähr meine Sicht dessen, was Menschen ticken läßt. Dein Handeln verläuft ja nach komplexen, aber, das ist meine Erfahrung, im Grunde simplen Mustern von Aktion und Reaktion. Gerade das Wesentliche des Krimis, wie ich ihn verstehe, ist, daß er zufällige Störungen im Ablauf dieser reduzierten, schematischen Lebensprozesse schildert, Rückkoppelungen, neue Konstellationen, die sich daraus ergeben. Was sich daran ablesen läßt, ist tatsächlich das Schema eines sehr großen, sehr weitläufigen Billardspiels. Eine Kugel gerät, wie auch immer, in Bewegung, löst Kettenreaktionen aus, und am Ende kann der nackte Irrsinn herauskommen. Wenn es sich lohnt, etwas, auch spannend, zu beschreiben, dann das.

Was Du beschreibst, ist ein Weltausschnitt als Funktionsmodell. Man könnte es nennen: staatsmonopolistischer Kapitalismus mit integrierten Verbrechersyndikaten. Der Arbeitslose Küppers, altbackene und integre Vaterfigur der Jugendzentrumsgruppe, erhält ungewollt Einblick in einen Waffendeal. Der Zeuge wird von einem professionellen Killer abgeschossen; um den Mord zu vertuschen, wird ein weiterer inszeniert. Der Tarnspedition Imexco setzt dafür den Polizeiapparat, einen Innensenator und einen Faschoführer in Bewegung, beschleunigt kurzfristig die Mühlräder des Systems. Die Recherchen einer taz -Reporterin verlaufen im Leeren. Dieses Funktionsmodell könnte sich derart überall realisieren. Ich habe den Eindruck, mit Deinen präzisen, detailreichen Schilderungen der verschiedensten Milieus versiehst Du dieses Schema sozusagen mit einem Anstrich von Wirklichkeit. Anders gesagt: Du verankerst Dein Modell in einer Kulisse, beschreibst sie aber so eingehend, daß Du von der Zufälligkeit des Ortes auch gleich wieder ablenkst.

Der Eindruck ist ganz verkehrt. Was geschieht, das geschieht sehr wohl überall, aber eben immer an bestimmten Orten, besonders, wo man's am wenigsten vermutet, wo Normalität herrscht. Vielleicht habe ich ein wenig zu dick aufgetragen. Aber der Leser soll diese ihm vertrauten Orte wiedererkennen, und dann kann es gut sein, daß ihn ein Gruseln überkommt...

...wenn er liest, wie ein Killer sinnend durch die Mönckebergstraße spaziert...

... ja. Ich will das Verbrechen den Leuten vor die Nase pflanzen, dorthin, wo es sich tatsächlich abspielt.

Was haben sie davon außer dem Gruseln? Du bietest den Blick auf ein geschlossenes System und dessen mörderische Selbstreparationskräfte im Falle vorübergehender Irritation. Wir bekommen den ganzen Krimi lang zu wissen, daß und wie das funktioniert, aber ich frage mich, was wir erfahren, außer, daß es eben so ist.

Du spielst auf den traditionellen Krimi an. Das Erfahrungsangebot an den Leser, einen Rechercheur zu begleiten, kann es nicht mehr geben, weil es den Rechercheur nicht mehr gibt. Marlowes Zeiten sind vorbei. Es geht in der Tat um ein System, das einfach funktioniert. Um es zu rekflektieren, brauchst Du moralische Werte als Ausgangsbasis. Das ist nicht die Regel, die wären erst mal zu konstruieren. Warum sollte ich? Wer mit diesen Verhältnissen unmittelbar zu tun kriegt, der ist, wie die Figuren in meinem Buch, vollauf damit beschäftigt, den Kopf oben zu behalten. Das ist auch meine Erfahrung mit extremen Situationen. Du hast von einem Stamokap-Modell gesprochen. Wenn's das wäre, könnte man noch erleichtert sein. Ich seh's wesentlich chaotiscer, auch wenn es sich, wie jedes Chaos, im Ganzen regulär verhält. Aber doch wuchernd, krebsartig, kaum zu erfassen, und wo die Geschwulst platzt, das weiß vorher beim besten Willen keiner. Gestalten wie Küppers, aus der Tradition der Arbeiterbewegung, so solidarisch wie schwerfällig und unbeweglich, sind darin nicht mehr überlebensfähig. Es gibt noch viele Küppers in der Linken. Die, die ich kenne, sind allesamt gescheitert.

Dein Buch, habe ich mir vorgestellt, könnte am Computer entstanden sein. Wie, dachte ich mir, wenn der Boock ein Simulationsprogramm für sein streng funktionales Modell, meinetwegen des gesellschaftlichen Chaos‘, entwickelt hätte? Ein Programm, das sich selbst instandsetzen kann. Und dann zufrieden betrachtet hätte, wie perfekt es mit einer Störfalleingabe fertig wird. Hast Du gespielt?

Vielleicht. Aber ist es nicht so? Es ist nicht zuletzt das Ergebnis meiner Recherchen. Es gibt immer ein bißchen Wind, und das wars dann. Der Lauf des Spiels hat in den letzten zwanzig Jahren nicht geändert, geschweige denn abgebrochen werden können. Die Maschine läuft, und selbstverständlich mechanisch. Ich frage mich eher, warum das in der sogenannten künstlerischen Realität niemand vermißt. Die Linke hat große Defizite, was ihren Realismus betrifft. Man empfindet sich zwar als verzahnten Teil eines Spiels, aber verliert sich dann im Beklagen der Sinnkrise, anstatt zu sehen, was ist. Da bietet mir mein Abseits vielleicht Vorteile. Das Problem bleibt, die Rädchen zu finden, an denen sich die Willkür des Prozesses unterbrechen ließe. Aber vergiß nicht: es gibt ein Gegenspiel, an dessen Ende immerhin ein neues Jugendzentrum steht.

Ja. Zwei gesellschaftliche Fraktionen, und weltenweit auseinander, höchst ungleich stark. Was haben die einen mit den anderen zu tun, außer daß sie zufällig aneinanderknallen?

Wenig. Aber die Reibung, die sich an solchen Berührungspunkten ergibt, ist das, was mich eigentlich interessiert, die Aggressivität der Konflikte, der Tod, der dort ein bißchen zu Hause ist.

Wer in die Maschine gerät, wird zermalmt...

...exakt. Eine kunterbunte vollelektronische Vollplastik -Selbstmordmaschine.

Du verwendest viel Raum auf die Logistik des Verbrechens: Waffenkauf, Geländesondierung, Operationsplanung usw.

Das ist die technizistische Seite des Apparats, die Darstellung des Perfektionismus, der zugleich seine größte Schwäche ist. Er kann an der Bananenschale scheitern, auf die jemand im falschen Moment tritt.

Steckt dahinter nicht auch ein wenig ungewollte Faszination angesichts des perfekten, rationalen Kalküls? Sunders, der Chef der Imexco, ein Konzentrat des Bösen und der kalten Souveränität der Macht - er ist unter allen Blassen die imposante Figur.

Da mag mein Alltag ein Rolle spielen, in dem ich mit Sunders‘ aller Sorten, sehr unfreiwillig, zu tun habe. In diesem Sinn war ich, nebenbei, oft der Küppers. Ich habe sie nicht gesucht, aber sie haben mich gefunden. Aber eine Maschine fasziniert nur im Moment des Irrglaubens, daß, wer ihre Funktion erkennt, sie damit auch beherrscht. Dieser Faszination ist die RAF wie einem Rauschgift erlgen. Das war der letzte Versuch, eine idealistische Utopie, ein Kopfmodell gegen die Maschine mit den Mitteln der Maschine antreten zu lassen. Darüber ist die RAF selber eine geworden, und sie hat eben deshalb eine zeitlang auch diese Faszination ausstrahlen können. Auswege liegen ganz woanders.

Nun nennst Du Dein Buch „Schattenspiel“. Dem assoziiert sich die Vorstellung, in der Wahrnehmung von Abbildern, von Projektionen verfangen zu sein. Schatten aber werden geworfen. Ist wirklich unbegreiflich, wovon?

Nicht ganz. Aber der Eindruck, den ich im Sinn habe, ist tatsächlich der, sagen wir, eines Feuers, wo dem Schein nach unglaublich viel los ist, man sieht die wirrsten Schatten an der Wand, aber letztlich tut sich nichts.

Wie in Platons Höhlengleichnis, wo sich „nichts tut“, weil die Menschen, die die Schatten auf der Höhlenwand wahrnehmen, mit dem Rücken zum Ausgang gefesselt am Boden liegen. Demnach wäre Dein Zentralmotiv bewußt das der prinzipiellen Gefangenschaft?

Ja. Eingeschränkt. Es bestimmt einen, sehr überwölbend, sehr totdeckelnd. Wenn da nicht oft die Wut wäre, zurückzuschlagen, wohl wissend, daß das einkalkuliert ist, eine gewisse Spielwiese für Aggressionen, umgeben von dem Abseits, in das ich wandere, wenn ich die Regeln überschreite. Das ist verdammt kalt.

Im Buch bleibt das Jugendzentrum, in dem Küppers‘ Tochter eine ABM-Stelle kriegt, übrig als pars pro toto für die Zukunft. Wars das?

Unterschätze das nicht. Es ist viel, es ist, im Gegensatz zu allen Kopfmodellen, unverfälscht durchsetzbar. Wenn ich in freier Wildbahn wäre, dann wär ich am liebsten die Tochter und würde mich bescheiden mit diesem kleinen Projekt. Ich verwahre mich gegen das große Rennen. Das eröffnet Freiräume für ein sozialeres Dagegen. Ich hoffe sehr, daß weiterhin viele, tausende, dieses Rennen aufnehmen. Aber ich bin, mit einem schwerem Rucksack auf den Schultern, über tausend Umwege an diesen Punkt gelangt, wo die erste Frage lautet: was ist zu bewältigen? Das hat etwas Mönchisches, etwas Asketisches, diese Reduktion, aber es hat nicht das geringste mit Privatisieren zu tun. Im Gegenteil. Es ist ein Herausforderung. Ich behaupte mich und sage: meine Zeit läuft anders als eure.

Peter-Jürgen Boock, Wilhelmsburger Schattenspiel, Kellner Verlag, 158 Seiten, 15 DM