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Kein Wort zu Salman Rushdie

Das eigentliche Ereignis des Buchjahres 1989 ist keines: Der „Fall Rushdie“ findet auf der Frankfurter Buchmesse nicht statt. Man muß sich das vorstellen: über 8.000 Verlage, Literaturinstitutionen und Buchfirmen präsentieren ihre Novitäten, Hunderte von Diskussionen, Streitgesprächen, Pressekonferenzen zum Thema Buch - doch zum Buchskandal des Jahres kein Satz, keine Zeile. Die Festredner lassen die Ideale der Französischen Revolution und der Heroen des französischen Geistes hochleben, kaum einer vergißt, dabei auf die freiheitliche Aufbruchstimmung in Osteuropa zu verweisen - daß ein Voltaire angesichts der Chomeinisierung des Bücherwelt im Grabe rotieren müßte, ist den beflissenen Preisrednern offenbar entgangen.

Bundesdeutsche Verlage haben sich aus Angst vor terroristischer Bedrohung zu einer konspirativen Vereinigung zusammengeschlossen - „Artikel 19“ wird ab Mitte Oktober die deutsche Version der Satanischen Verse in die Buchhandlungen bringen. In großformatigen Anzeigen sollte das Buch des Jahres beworben werden, doch auch dieses Ereignis findet vorläufig nicht statt. Die Zeitungen 'Welt‘, 'FAZ‘ und 'Frankfurter Rundschau‘ sowie die 'Süddeutsche‘ haben es aus Sicherheitsgründen abgelehnt, Annoncen für das inkriminierte Buch abzudrucken. Der taz-Anzeigenabteilung wurde eine solche Anzeige erst gar nicht angeboten, hier hätte mit Sicherheit die Gefahr bestanden, daß sie anstandslos abgedruckt worden wäre.

Mut hingegen zeigen die Medien und Verlage weiterhin in Sachen Osteuropa. Wie gestern schon gemeldet, gründet sich am heutigen Samstag ein „Freundeskreis“, der dem von Vaclav Havel eben gegründeten Verlag Atlantis unter die Arme greifen will. Zweck des neuen Vereins ist „die materielle und ideelle Unterstützung eines freien Verlagswesens in Osteuropa“. Daß auch das Verlagswesen in Westeuropa derartige Unterstützung gebrauchen kann, macht der Rusdie -Entzug auf der Buchmesse deutlich. Zur Verleihung des Friedenspreises des Buchhandels - dessen 25.000 D-Mark das Startgeld für Atlantis sind - darf der tschechische Dramatiker nicht erscheinen: Seine Dankesrede wird der Schauspieler Maximilian Schell in der Paulskirche verlesen.

Wo die Sensation zum Nullereignis wird, da erhält das scheinbar Belanglose den Charakter des Sensationellen. Leider nach Redaktionsschluß wird eine Veranstaltung stattfinden, die ebenfalls einem Aufbruch in Osteuropa gewidmet ist, einem der „dritten Art“: Der Ufoexperte J.V. Butlar wird zu den jüngst in der sowjetischen Stadt Woronesch niedergegangenen Außerirdischen Stellung nehmen. Eine mögliche Erklärung des Phänomens haben die Osteuropa und Ufoexperten der taz allerdings schon vorab recherchiert: In der ostjüdischen Literatur ist ein Rabbi zur „geflügelten Figur“ geworden, einer, der immer die allerphantastischsten Geschichten erzählt - der Rabbi von Woronesch. Aber wer weiß, ob er nicht diesmal recht hat - auch ein anderes sowjetisches Medium hat ja in letzter Zeit einen erstaunlichen Wandel vollzogen: Radio Eriwan.

Mathias Bröckers

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