Wie geht „Freiheit statt Gefängnis“?

■ Bremer Straffälligenhilfe forderte auf ihrer Tagung mehr Geld und Stellen, mehr Erkenntnisse in Richterköpfen und praktische Programme

„Der Senator könnte durchaus mutiger sein und von den Richtern und Staatsanwälten mehr fordern“, fand am Samstag einer, der es doppelt wissen muß: der ehemalige Staatsanwalt und jetzige Knastleiter in Oslebshausen, Hans-Henning Hoff, aus dem Publikum heraus. Auf der dreitägigen Tagung unter dem verheißungsvollen Titel „Freiheit statt Gefängnis“, veranstaltet von der Landesarbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe (LAG) der freien Wohlfahrtsverbände Bremens, diskutierten ReferentInnen und rund 60 TeilnehmerInnen, ob und wie durch verbesserte Straffälligenbetreuung Knast verkürzt oder am besten ganz vermieden werden könnte.

Was, fragte Richter Bernd Asbrock, nützt die ganze Palette an jetzt schon verfügbaren gesetzlichen Möglichkeiten, wenn die Richter-und StaatsanwältInnen sie nicht nutzen: Verfahren einstellen, gemeinnützige Arbeit statt Haftstrafen, Arrestvermeidung für Jugendliche, Bewährung statt Knast, Abkürzung von Haftstrafen. „Das gibt es schon alles, aber es wird nicht umgesetzt“, kritisierte Asbrock. Wie zur Illustration der Hindernisse bestellt, bewies auf dem Podium der frühere Richter und CDU-Abgeordnete Peter -Michael Pawlik, immerhin stellvertretender Deputationssprecher für Justiz,

daß in den Köpfen von Richter-und Staatsanwältinnen noch ganz andere Dinge vorkommen als Haftvermeidung. Der nämlich sprach von der „freien Entscheidung“, Straftaten zu begehen, und erinnerte daran, daß es im Strafrecht „nicht darum geht, neue Straftaten zu vermeiden: Es ist und bleibt ein Schuldstrafrecht!“ Eckpfeiler seien, „auch wenn viele das nicht hören wollen, Abschreckung, Sühne und Verteidigung der Rechtsordnung“. Das war zuviel für die grüne Abgeordnete Carola Schumann auf dem Podium. „Mich graust es bei Ihrem Menschenbild des 19. Jahrhunderts“, empörte sie sich, „man müßte Richter wie Ärzte und Ingenieure zwingen können, die Erkenntnisse der modernen Sanktionsforschung zur Kenntnis zu nehmen!“ Auch der Referent der Justizbehörde, Hartmut Krieg, fand gegenüber der Presse: „Richter dürfen sich nicht hinter ihrer Unabhängigkeit verschanzen und von kriminologischen und sozialpädagogischen Forschungen abkoppeln.“

Aber auch bei solchen RichterInnen, die durchaus lieber ambulante Maßnahmen statt Wegsperren praktizieren wollen, scheitert der gute Wille oft an der schlechten Wirklichkeit: Nur mit „positiver Sozialprognose“ darf und soll ein Gefangener nach 2/3 seiner Knastzeit entlassen werden. „Po

sitiv“ beurteilt wird, wer Wohnung, Arbeit, Therapieplatz oder Ideen vorzuweisen hat, seine Schulden zu regulieren. „Ich will entlassen, kann aber nicht“, beschrieb Richter Asbrock sein Dilemma, wenn Gefangene bei der 2/3-Überprüfung dem Richter eben keine Wohnung und keinen Job präsentieren können. Und die Vertreter der Straffälligenhilfe hieben in dieselbe Kerbe: „All unsere Bemühungen sind zum Scheitern verurteilt, wenn nicht ganz unbürokratisch und schnell die Prognose-Kriterien für die Gefangenen mit Inhalt erfüllt werden“, erklärte Uli Pelz von der LAG. Die Forderungen aus den Diskussionsergebnissen der

Arbeitsgruppen und des Podiums waren nicht gerade neu, aber dringlicher denn je: „Programme für Wohnung und Arbeit für Knackis müssen her.“ Das konnte Albrecht Lampe, Geschäftsführer des Dachverbandes DPWV, nur bestätigen: „Die kleinen Vereine müssen sich inzwischen verschulden, um selbst Häuser anzukaufen, oftmals riskieren ehrenamtliche Vorstände ihr Privatvermögen. Seit Jahren werden Hilferufe des Vereins Wohnungshilfe ignoriert; und die augenblickliche Wohnungsbau-Euphorie zielt auf Aus-und Übersiedler, nicht auf Haftentlassene.“

Nach zahlreichen Untersuchungen sei es ein verbreiteter

Irrtum zu glauben, die Bevölkerung wolle „um jeden Preis die Täter einsperren“, erklärte Uli Pelz, „die Geschädigten wollen vor allem Schadensausgleich.“ Auch weil die Rückfallquote bei Eingesperrten fast doppelt so hoch ist wie bei Bewährungs-Verurteilten und weil auch die schwersten Jungs im Rechtsstaat irgendwann entlassen werden, plädierte die Straffälligenhilfe für Konfliktregelung statt Strafregelung und Täter-Opfer-Ausgleich, Verbesserung der Lebenslage statt Therapie.

Großen „Handlungsbedarf, also Finanzierungsbedarf“ sehen die freien Träger der Straffälligenbetreuung. Deren Sozialar

beit müsse professionalisiert sein statt nebenbei und ehrenamtlich, stellengesichert statt ABM-überbrückt. Wo, wie in Bremen-Nord, ambulante Alternativen sind, kriegen Jugendliche viel seltener Knast - und das schafft neuen Bedarf und Ausbau von Alternativen. Probleme macht auch die gemischte Zuständigkeit der Ressorts. Lampe: „Es ist ungünstig, wenn der Sozialsenator die Lockerungsübungen des Justizsenators bezahlen und dann seinen hohen Etat verteidigen muß!“ Justiz, ergänzte Uli Pelz, sei „im Moment sehr offensiv“ und bemühe sich erfolgreich um eigene Töpfe für ambulante Maßnahmen. Susanne Paa