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V.I.P. MITSCHNITTE

■ „Reporters“ von Raymond Depardon

Er schaut ein wenig lausbubenhaft drein, gerade noch, daß nicht das unvermeidliche Alter über diesen eingefrorenen Zustand der Entwicklung herfällt und ihn in die Nähe der Rente rückt. Viele Tage verbringt er damit zu warten: auf eine Frau zu warten. Wenn er in die laufende Kamera hinein von ihr spricht, dann nennt er sie beim Vornamen: Tina. Ihr voller Name ist Tina Onassis, und was er von ihr will, ist nicht, sie persönlich kennenzulernen, sondern: daß sie erscheint auf dem Balkon, vor dem Haus, damit er ein Foto von ihr machen kann, das er dann an Zeitungen weiterverkauft.

Er ist kein Verehrer, er ist Fotograf, der Prominente ablichtet in Situationen, in denen diese nicht abgelichtet werden wollen. Das Warten gehört zu seinem Job: als „paparazzi“ - so werden Fotografen genannt, die mit ihren Teleojektiven in das Privatleben prominenter Persönlichkeiten eindringen - ist er der Vertreter einer indiskreten Leser- und Gesellschaft, der verlängerte Schlüssellochblick von Millionen von Neugierigen, die das Leben ihrer langweiligen Nachbarn statt haben und es gegen das noch langweiligere Leben der Berühmtheiten eintauschen wollen.

Zusammen mit Kollegen paßt er den amerikanischen Filmstar Richard Gere an dessen Hotel ab. Doch noch bevor sie Gere ablichten können, springt der in ein Taxi, und es beginnt eine Verfolgungsjagd durch Paris. Vorneweg das Taxi mit Gere drin, dahinter, auf dem Motorrad und im Auto, die Fotografen. Irgendwann gibt Gere auf, steigt aus dem Auto und stellt sich für ein Foto. Doch die Fotografen wollen jetzt mehr: Er soll seine Sonnenbrille abnehmen, die er schon in Cannes getragen habe oder doch zumindest vor einem typisch Pariser Bauwerk posieren. Als Gere nicht einwilligt, beginnt die Verfolgungsjagd von neuem. Der Fotograf regt sich auf über den eingebildeten Star. Wollte er ein Privatleben, hätte er kein Star zu werden brauchen. So aber hat die Öffentlichkeit ein Recht an ihm: in allen Lebenslagen.

Der Fotograf, der hier dem einträglichen Geschäft mit dem Prominentenfoto nachgeht, ist Mitarbeiter der Pariser Fotoagentur Gamma. Ihn und seine Kollegen hat der Dokumentarfilmer Raymond Depardon einen Monat lang beobachtet. Depardon war selbst einmal ein Pressefotograf und hat sich davon noch soviel Erinnerung bewahrt, daß ihm sein Film „Reporters“ nicht zur Stabilisierung des Klischees dieser Zunft gerät, wie es oft - hauptsächlich in Spielfilmen - der Fall ist. Hier stehen einmal nicht die fixen und schnellen Reporter im Mittelpunkt, die, während der Trenchcoat im Wind flattert, hart an der vierten Gewalt arbeiten.

Sicher, fix, schnell und wirbelwindisch rotierend geht es zwar auch in den Räumen der Fotoagentur zu. Doch es ist das rotierende Geschäft, nicht die Personen, die an einem Thema kleben oder ausgefüllt wären vom Ethos ihrer Arbeit. Die Fotografen, die Depardon zeigt, sind nicht einmal mehr Handwerker, sondern Fließbandproduzenten. Sie bekommen einen Auftrag, fahren los, lichten hurtig ab und verschwinden wieder. Manchmal passiert es, daß sie nicht genau wissen, wer oder was es ist, daß sie da fotografieren müssen. Dann wird schnell der Protokollchef auf einem Empfang gefragt, wer hier die Perösnlichkeit sei, die so wichtig ist, daß man dafür einen Auftrag bekommen hat. Der Protokollchef zeigt auf einen Mann, der Reporter geht dem ausgestreckten Zeigefinger mit seiner Kamera hinterher, betätigt den Motorwinder und hat seine Aufgabe getan: Eins der vielen Bilder wird gelungen sein.

Wie die Fotoreporter Fließbandarbeiter sind, ähnelt die Agentur eher einer auf Hochtouren laufenden Fabrik, die Bilder in die Warenzirkulation wirft. Einer Spinne im Netz ähnlich, hockt in der Mitte dieser Fabrik eine Art Aufgabenvermittler. Auch er ist von einer hinterhältigen Jungenhaftigkeit, ein angedicktes Babygesicht, dessen Apfelbacken schon angefangen haben, ins Weiße abzugären. Sein Arbeitsgebiet liegt zwischen Ticker und Telefon gierig und mit glänzenden Augen hängt er über dem Ticker, reißt die vermeldeten Katastrophen vom Apparat, jubelt über viele Tote und jagt dann zum Telefon, Reporter auskundschaften, die ihm diese als Bild beibringen. In seinem hochtourigen Aktionismus wirkt er wie ein leerlaufender Diaprojektor, der im Inneren eines Luftballons Standardbilder vom Schrecken an die Außenhülle werfen will.

Manchmal verläßt Depardon die beobachtende Position, um die der Fotografen einzunehmen. Wie diese verfolgt er Jacques Chirac auf dem Wahlkampfweg durch kleine Läden. Dort läuft das immer gleiche Ritual ab: Chirac stößt die Tür auf, streckt den Arm vor, hält die Hand auf zum Schütteln, wechselt wenige Worte, gibt das Versprechen auf Abhilfe eines Unbills. In der Aneinanderreihung im Film wirken diese Szenen so grotesk und lächerlich, wie Wahlkampf nun einmal ist. Aber jedes einzelne Bild auf dem Film gibt ein seriöses Bild her für die Lokalzeitung.

„Reporters“ ist ein Film aus den Montagehallen des Journalismus. Es kommentiert und wertet nicht, beobachtet nur das Fließband, an dem Fotos hergestellt werden, die dem Konsumenten das Weltdorf zusammenbauen.

In der letzten Szene des Filmes ist wiederum Jacques Chirac zu sehen, diesmal verleiht er einem Gamma-Fotografen einen Preis. Man muß sich nicht mögen, aber soviel ist sicher: Man braucht sich gegenseitig in diesem Metier.

Höttges

„Reporters“, 1980/81, OmU, von Raymond Depardon mit Alain Delon, Jacques Chirac, Richard Gere u.a. ab Dienstag, 21 und 23 Uhr im Eiszeit Kino.

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