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13 Jahr Haft für Frank Sch.

■ Gestern endete der Mordprozeß gegen einen 29jährigen Mann, der im Dezember letzten Jahres einen 9jährigen Jungen in Spandau getötet hat / Urteil ohne Geständnis

Mit einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren und sechs Monaten wegen versuchten sexuellen Mißbrauchs und Mordes an dem neunjährigen Polen Dawid P. ging gestern der Prozeß gegen den 29jährigen Angeklagten Frank Sch. vor dem Landgericht zu Ende. Das Gericht stand dem Angeklagten eine verminderte Schuldfähigkeit zu.

Dawid hatte sich am 14. Dezember '88 von seinem Wohnort in Lichtenrade nach Spandau verirrt. Kurz nach Mitternacht war er mit erheblichen Kopfverletzungen tot aus dem Mühlengraben nahe der Havelmündung geborgen worden. Die Polizei war von dem Übersiedler Frank S. gerufen worden, der sich bei seiner Vernehmung jedoch in Widersprüche verstrickte und deshalb festgenommen wurde. Frank S. behauptete, daß der Junge von einem unbekannten Mann mißhandelt und getötet worden sei.

Das Gericht war gestern jedoch davon überzeugt, daß Frank. S. mit Dawid allein am Mühlengraben war und dort in „in absolutem Vernichtungswillen auf den Kopf des am Boden liegenden Kindes trampelte“, nachdem er zuvor versuchte hatte, sich an ihm sexuell zu vergehen. Das Gericht vermutete, daß Dawid aus Abenteuerlust zum Weihnachtsmarkt nach Spandau gefahren war. Der Angeklagte hatte den Jungen am späten Abend in einem Bus kennengelernt.

Professor Wilfried Rasch vom Institut für forensische Psychatrie und sein Assistent Doktor Kollmann waren in ihren Gutachten zunächst ausführlich auf den Lebenslauf des Angeklagten eingegangen. So war der in Ost-Berlin geborene Frank S. hauptsächlich in Heimen und Krankenhäusern aufgewachsen, im Herbst 1974 nach West-Berlin geflohen und hatte hier ein Jahr in einem Heim gelebt, bis er aufgrund eines Antrages seiner Eltern wieder nach Ost-Berlin zurückkehrte. Nach mehreren erneuten Fluchtversuchen wurde er in der DDR zu sechs Jahren Haft verurteilt und im Sommer 1988 - diesmal gegen seinen Willen - nach West-Berlin abgeschoben. Der Angeklagte lebte hier ohne Freunde und verfiel immer mehr dem Alkohol, bis er laut Gutachten „nicht mehr wußte, was mit ihm los war“. Zweimal versuchte er zurück über die Mauer zu klettern, wurde aber jedesmal erwischt und in den Westen abgeschoben. „Er fühlte sich nirgends zu Hause, weder diesseits noch jenseits der Mauer“, sagte Professor Rasch.

Die Gutachter vermuteten, daß die angespannte „psychische Situation“ des minderbegabten Angeklagten - „97 Prozent seiner Alterklasse sind gescheiter als er“ - für das Tatgeschehen von Bedeutung waren. So sei Frank Sch. völlig überfordert gewesen, als er mit dem übermüdeten, kleinen Polenjungen mitten in der Nacht durch die Gegend gezogen sei. Rasch wollte sich nicht auf eine der vielen Tatversionen festlegen, hielt es jedoch für „plausibler“, daß der Angeklagte mit dem Jungen am Mühlengraben allein war. Es sei denkbar, daß er Dawid dort aufgefordert habe, sich ausziehen, dann aber „entsetzt“ über sich selbst gewesen sei und „exposionsartig“ auf ihn eingeschlagen habe. Während der Staatsanwalt auf schuldig plädierte, forderte der Verteidiger Freispruch. Frank S. erklärte in seinem Schlußwort: „Ich kann nur sagen, ich habe das Kind nicht umgebracht.“

plu

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