Schaufenster gen Osten

■ 255 Minuten „Sowjetischer Abend“ im ZDF

Als „Brücke zwischen den Völkern und Baustein zu einem zukünftigen gemeinsamen europäischen Haus der Nationen“ widmet das ZDF den heutigen Abend ganz der Sowjetunion. Die fünf Beiträge, beginnend mit einem Reisefeature über Leningrad und Moskau - die Hauptstädte Rußlands, 19.30 Uhr, sollen die heutige Programmgestaltung der staatlichen sowjetischen Rundfunkanstalt Gosteleradio präsentieren. Denn auch in der Sowjetunion hat man begonnen, den immergleichen Eintopf von Volkstänzen, Militärchören, Kriegsfilmen und Verlautbarungen durch ein oppulentes Büffet zu ersetzen.

Wie sich die Bilder ändern, 21.05 Uhr, zeigt, daß Fernsehen für ein Land, das ein Sechstel der Erdoberfläche einnimmt und 287 Millionen Menschen verschiedener Kulturen in zehn Zeitzonen beherbergt, ein kompliziertes Unternehmen ist. Während in den Zeitungen bereits kontroverse Meinungen diskutiert wurden, und Politik, Wirtschaft und Geschichte in die offene Kritik gerieten, ging der Wandel bei Gosteleradio nur sehr zaghaft vonstatten. Das Fernsehen änderte ein paar Vorspannbilder oder richtete einen Kummerkasten für die Alltagssorgen der Genossen ein. Zu den ersten, die dafür sorgten, daß Glasnost auch bei Gosteleradio Einzug hielt, gehörten die baltischen Sender.

Bereits 1986 produzierte das estnische Fernsehen den Film Ein Flamingo bringt Glück, 19.55 Uhr, der im Milieu der intellektuellen Oberschicht Estlands spielt. Mit erstaunlicher Offenheit behandelt dieser Film die sozialen Schwachpunkte der gehobenen Klasse einer scheinbar klassenlosen Gesellschaft und geht der Frage nach, warum auch im sozialistischen System Konsumdenken, Egoismus und Brutälität entstehen.

Was auf dem Arbat, dem Moskauer Stadtviertel, in dem einst Puschkin, Gogol oder Turgenjew lebten, mittlerweile alles möglich ist, hat der Regisseur Igor Beljaew in seiner Dokumentation Vernissage, 22.10 Uhr, festgehalten. Die verrücktesten Dinge werden zur Schau gestellt: Straßenkünstler und Flaneure, Schaschlikverkäufer und Fotografen mit ihren Modellen von ausgestopften Tigern, Besitzer seltener Hunde oder ein Gemälde, das Stalin über einem Berg von Totenschädeln zeigt.

Mit der Ära des Stalinismus rechnet auch der Spielfilm Der kalte Sommer von '53, 22.30 Uhr, aus dem Jahre 1987 ab: Im Sommer 1953, der großen politischen Umwälzung nach Stalins Tod, erläßt der Minister für Staatssicherheit eine Amnestie für Strafgefangene. Die politischen Gefangenen werden davon allerdings nicht erfaßt. Das hat zur Folge, daß Banditengruppen durch das ganze Land streifen, während die „Politischen“, ofmals willkürlich und mit erfundenen Anschuldigungen inhaftiert, weiter in den Straflagern und der Verban nung bleiben müssen. Dieser Film gilt als ein herausragendes Bei- spiel des neuen sowjetischen Kinos der Glasnost- und Perestroika-Periode.

Und damit diese Fernsehbrücke keine Einbahnstraße ist, können sich die sowjetischen Zuschauer an einem „Deutschen Abend“ erfreuen. Neben einer zweistündigen Hitparade, Jakob und Adele, einem Interview mit Beckenbauer oder Beobachtungen vom Gorbatschow-Besuch in der Bundesrepublik zeigt das Erste Programm von Gosteleradio den Polit-Thriller Die Bombe.

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