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Liebe steht nicht auf dem Plan

■ Buchmesse '89: Am Ende Vermischtes

Zum Schluß der diesjährigen Buchmesse noch ein paar Meldungen, die bisher immer unter den Tisch fielen. Seriöses und Kuriosa, Premieren etwa wie die der Lexico-Disc - 15 umfangreiche Lexikonbände, gespeichert auf einer CD - oder die der Zeitschrift von und für die Frau um 40. Oder 'dpa'-Stimmungsmache wie die zur Buchmessenhalbzeit, die zu schön ist, als daß sie einfach dem Papierkorb überantwortet werden dürfte. Eine Kostprobe: „Bei mildem Herbstwetter herrschte auf dem weitläufigen Gelände reges Treiben. Viele ließen sich fußmüde auf Bänken nieder, picknickten oder legten eine Schlafpause ein. Ordensschwestern sangen Lieder zur Laute. Missionarisch betätigte sich ein Texter, der per Fahrrad zum 'positiven Denken‘ aufrief. Andere 'Außenseiter‘ offerierten moderne Küchenprosa samt ofenwarmer Kostproben, französische Mode, Naturparfums oder esoterische Anleitungen für Jung und Alt.“

Schlechte Nachrichten aus der Sowjetunion. Während die DDR -Neuigkeiten (ein Beuys-Buch und, erstmals, die Dialektik der Aufklärung erscheinen bei Reclam) aufhorchen lassen, mußte die sowjetische Journalistin und Autorin Tatjana Suworowa zu Hause bleiben. Sie bekam kein Visum für die Buchmesse, auf der sie zusammen mit ihrem bundesdeutschen Co -Autor ihre Dokumentation „Liebe steht nicht auf dem Plan“ vorstellen wollte. Es ist der erste Report über Sexualität in der Sowjetunion, gemeinsam vom Wolfgang Krüger Verlag und vom Moskauer Progreß Verlag herausgegeben. Die Begründung für die Verweigerung des Visums von seiten der Behörden lautete übrigens, Sexualität sei nicht das wichtigste Thema der Perestroika.

Am Rande der Messe ist am Samstag ein Förderverein gegründet worden, der verbotene Autoren in der Tschechoslowakei unterstützen will. Dem Kreis gehören tschechoslowakische Exilautoren wie Pavel Kohout, Milan Kundera und der Lyriker Jiri Grusa ebenso an wie bundesdeutsche und österreichische Kulturexperten. Hauptaufgabe des neuen Vereins soll es sein, den Genossenschaftsverlag Atlantis für unabhängige tschecholowakische Schriftsteller in Brünn mit Technik und Papier zu versorgen, teilte der Vorsitzende Tomas Kosta mit.

Der Brünner Verlag, der bisher von den Behörden noch nicht zugelassen ist, war im Februar von jungen Untergrundautoren gegründet worden. Ihm gehört inzwischen auch der diesjährige Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, Vaclav Havel, an. Havel hat, wie berichtet, die Preissumme in Höhe von 25.000 Mark für den Förderverein gespendet. Auch die 20.000 DM des ihm vor zwei Wochen zuerkannten Olaf-Palme-Preises will er zur Verfügung stellen. Im Atlantis-Verlag sollen tschechoslowakische Untergrundautoren und auch die Schriftsteller im Exil ihre Werke veröffentlichen können. Eigene Zeitschriften und zwei Atlantis-Buchläden sind geplant.

dpa/taz

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