Neues aus der Friedrichstraße

■ "Herzlich willkommen" - eine gesamtdeutsche Familientragödie in 476 Folgen, vom Leben abgeschrieben von Lutz Ehrlich und Suse Riedel. 6.Teil

Wenn ein Mann rot sieht, dann bleibt auch die Erfurter Rauhfaser nicht verschont: Wolfgang Schultze - sonst eher der gemütliche Typ vom Schlag BfA-Sesselpuper hatte sein Ziel verfehlt. Der kroßgegrillte Goldbroiler aus dem „Wienerwald“ traf nicht Schwager Herbert, sondern die gerahmte feurige Zigeunerin über dem Sofa und hinterließ eine häßliche Fettspur. Die TV-Fernbedienung war zerschmettert im Gummibaum gelandet, um den sich Oma Schultze vor ihrem Schocktod doch so rührend gekümmert hatte. Uschi Schultze verstand ihren Mann nicht mehr: „Erst hat er immer geschrien: Wir sind umzingelt, umzingelt - und dann ist er nachts aufs Gleisdreieck und hat alle Signale auf Rot gestellt. Und wenn diese Holzköpfe im Politbüro drüben so weitermachen, sagt er, dann haben wir bald die nächste Blockade hier. Und glaub nicht, daß die Amis dann noch mal Rosinen werfen. Neeneenee - dann müßten uns doch die Polen versorgen, aber jeden Tag Wodka aus Bleikristallschalen, das halte ich nicht lange durch...“

Herbert hatte sich erst mal vorsorglich aus dem Staub gemacht und war bei einem Kollegen aus der BVG -Kontrolleursfortbildung in Neukölln untergekommen. Der hatte Herbert zugesetzt, gerade für ihn als Exostler werde es jetzt höchste Zeit, sich zu politisieren. Herbert Schultze: „Menschmenschmensch, das ist ja hier noch schlimmer als im Osten: Wenn Deutsche Deutsche prügeln, dann ist mir doch egal, ob das Wolfgang oder der Stasi macht. Und dieser Horst, mein neuer Kumpel, hat auch gesagt, früher hätte es das nicht gegeben. Wir waren dann noch so gemütlich einen heben in der Rixdorfer Eiche, da war so eine Art Parteiversammlung. Alles feine Kerle, bloß, daß die auch Königsberg wieder deutsch machen wollen, das geht dann doch zu weit. Wer soll denn das bezahlen...?“

Aber seine Helga, so erfuhr Herbert, die könnten sie ihm auch nicht zurückholen. Helga selbst war ja fest entschlossen, ihre unmündige Tochter Heike wieder zu sich zu nehmen, aber sie hatte vorerst mit drängenderen Problemen zu tun. Als in Winfrieds WeGe nämlich ein Ost-Homo Unterschlupf suchte, der zeitgleich mit dem ersten Schritt auf Westberliner Boden sein definitives Coming-out hatte, platzte Helga Schultze der Kragen und es aus ihr raus in den Telefonhörer: „Uschi, stell dir vor, da ist jetzt so ein Detlef aus Treptow rübergemacht. Also nicht, daß ich etwas dagegen hätte - bei uns hat man die ja nicht so gesehen aber der guckt meinen Winfried immer so an, wenn du weißt, was ich meine. Nur gut, daß euer Ingo gerade verschollen ist. Und meine Meike kann ich in dieses Sodom und Gomorrha schon gar nicht mitnehmen. Weißt du, Winfried und ich sind jetzt erst mal in dieser Turnhalle untergekommen vorübergehend. Da haben wir wenigstens ein praktisches Campingtischchen ganz für uns, sauber ist es auch, und das alles für nur zehn Mark pro Nacht, das hat doch Niveau...“

Dank der Extrabananen im Urban war Meikes Autounfall bald vergessen. Wieder auf freiem Fuß, war sie kräftig genug, um sich den erhöhten Anforderungen des kapitalistischen Warensystems zu stellen. Den Kudamm kannte sie bald besser als die Marx-Engels-Allee - es gab ja auch mehr zu gucken da und vor allem so nette Leute: „Der eine heißt Pra Yoga und ist ein echt dufter Typ. Und die Ma Prem kocht immer so ein Zeug mit ganz viel Yin drin und noch mehr Yang, das soll auch gegen meine Pickel helfen. Und die haben gesagt, sie nehmen mich mit zu Meister Osho, der hieß früher mal Baghwan und hat's jetzt mit den Zähnen. Also, nächste Woche fahren wir zusammen nach Poona. Ich hab‘ schon mal in Onkel Wolfgangs Shell-Atlas geguckt, aber da ist es nicht drin. Muß so ein kleines Nest sein, irgendwo bei Bamberg, aber dazu sagen die hier ja Bombay...“