ÜbersiedlerInnen an Alma Maters Pforte

■ Die Situation von DDR-ÜbersiedlerInnen an der FU / Freiheit in der Selbstverwirklichung? / Schwierigkeiten bei der Eingewöhnung

Weil Fred nur den Grundwehrdienst von 18 Monaten geleistet und nicht drei Jahre lang der Nationalen Volksarmee gedient hat, durfte er drüben nicht Veterinärmedizin studieren. Er beschloß, der Republik den Rücken zu kehren. Fünf Jahre hat es gedauert, bis die DDR-Behörden seinen Ausreiseantrag bewilligt hatten. Seit dem 6.Oktober lebt der 26jährige Fred aus Ost-Berlin nun in West-Berlin und pocht wie viele seiner Landsleute an die Pforten der Freien Universität, allerdings mit verändertem Studienfachwunsch: Germanistik, Psychologie und Theaterwissenschaften - die Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung verlocken eben. Zusammen mit anderen Studierwilligen sitzt Fred deshalb im Wartezimmer der Brümmerstraße50. Dort bietet Gerd Höhler von der Zentralen Studienberatung der FU eine Beratung speziell für Aus- und ÜbersiedlerInnen vor allem aus der DDR, aber auch aus Polen oder Rumänien an.

Studierwillige Ex-DDRlerInnen sind für die Universitäten nichts Neues. Allerdings habe der Zustrom mit der jüngsten Ausreisewelle beträchtlich zugenommen, berichtet Gerd Höhler. Das Wartezimmer der Studienberatung ist immer gut gefüllt, die Warteliste für die sechsstündigen Uni -Einführungskurse, die Gerd Höhler jeweils 15 Leuten an Wochenenden anbietet, ist lang. Doch Zahlenangaben, wie viele ehemalige DDR-BürgerInnen an den Berliner Unis studieren oder es beabsichtigen zu tun, können weder Gerd Höhler noch das Immatrikulationsbüro der FU geben. Die ÜbersiedlerInnen werden als Gruppe statistisch nicht gesondert erfaßt.

Die Probleme bei der Umstellung vom Studium Ost zum Studium West sind vielfältig. Die größten Schwierigkeiten haben die ehemaligen DDR-BürgerInnen damit, daß sie ihr Studium selbst organisieren müssen. „Wenn man in der DDR studiert, dann ist man morgens um acht an der Uni und geht nachmittags um vier nach Hause, das Studium ist dort völlig verschult“, sagt Gerd Höhler, der selbst vor 15 Jahren aus der DDR gekommen ist. Die angehende BWL-Studentin Katrin, 26, verheiratet mit einem Fahrlehrer und im vorigen Monat übergesiedelt, sieht jedoch nicht nur Nachteiliges im DDR-Studium: „Ich finde, daß es teilweise gar nicht mal so schlecht ist, daß die Studiendauer und alle Prüfungstermine in der DDR genau festgelegt sind. Ich kann mir schon vorstellen, daß hier die Leute dazu verleitet werden, endlos lange zu studieren.“ Völlig neu ist für die Studierenden aus der DDR auch, mehrere Fächer parallel studieren zu können. Und: sie hoffen, hier endlich die Fragen an die Profs stellen zu können, die sie in der DDR nicht stellen durften.

Große finanzielle Probleme sehen weder Fred noch Katrin auf sich zukommen. Als DDR-ÜbersiedlerInnen erhalten sie auf Antrag automatisch den BAFöG-Höchstsatz, sofern ihre Eltern nicht im Westen leben oder sie verheiratet sind und der Ehepartner Geld verdient. Zusätzlich gibt's drei Jahre 100 Mark monatlich von der Otto-Benecke-Stiftung. Insgesamt kommen so knapp 1.000 Mark zusammen. „Das ist kein Grund für einen hiesigen Studenten, neidisch zu werden“, bemerkt Gerd Höhler dazu. „Man muß bedenken, die fangen mit Null an, haben weder eine Tante oder Oma, die ihnen mal was zusteckt.“

Im Westen studieren können grundsätzlich alle ehemaligen DDRlerInnen mit Abitur. Die Senatsschulverwaltung erkennt es an, obwohl DDR-PennälerInnen nur zwölf Jahre die Schulbank drücken und ihre Abschlußzeugnisse zumeist eine Eins vor dem Komma als Notendurchschnitt ziert. Lediglich Leistungen aus dem sogenannten wahlweise obligatorischen Bereich - hier handelt es sich um praktische Arbeiten - klammert die Senatsschulverwaltung aus. Mitunter erhöht sich dadurch der Notendurchschnitt um ein oder zwei Zehntel.

Doch nicht nur Studienanfänger drängen an die Unis - die meisten der bei Gerd Höhler Ratsuchenden haben schon in der DDR studiert. Vergleichsweise gut geht es den MedizinstudentInnen, die ihr Physikum bereits in der DDR hinter sich gebracht haben. Das wird ihnen hier anerkannt. Sie können mit dem Anschlußsemester das Studium fortsetzen. Medizin-Erstsemester müssen sich bei der ZVS bewerben und können eine spezielle Härtefallregelung geltend machen, die zwei Prozent der Studienplätze ÜbersiedlerInnen vorbehält. Probleme bei der Anerkennung ihrer Ausbildung haben Lehrer und Juristen. Selbst, wenn sie in der DDR schon viele Jahre im Beruf gestanden haben, müssen sie hier das Referendariat und das zweite Staatsexamen nachmachen. Und bei DDR-Ökonomen werden gar nur Einzelleistungen angerechnet; sie müssen von Grund auf neu studieren. Gerd Höhler: „Das ist ja auch gerechtfertigt, denn die haben von Smith oder Keynes noch nie etwas gehört.“

Thomas Werres