Fälschung als Kunst

■ Ein Gespräch mit Alan Rudolph über „The Moderns“ und das Paris der zwanziger Jahre

Gerhard Midding / Robert Müller

taz: Mr.Rudolph, stimmt es, daß Sie „The Moderns“ schon seit 15 Jahren verfilmen wollten? Weshalb hat es so lange gedauert?

Alan Rudolph: Es waren zwölf Jahre, nicht 15 Jahre. Weshalb es so lange gedauert hat? Bob Altman und ich unterhielten uns einmal und wir stellten fest, daß man niemals den Film machen kann, den man machen will, immer nur den, den man machen darf. The Moderns war ein Film, den ich machen wollte. Ich dachte eigentlich, es würde mein zweiter Film, gleich nach Welcome to L.A. werden.

Das Thema interessierte mich, ich denke, es ist unmöglich, nicht an diesem Thema interessiert zu sein oder sich nicht bewußt zu sein, daß es ein interessantes Thema ist. Das Paris der zwanziger Jahre war in erster Linie eine Erfahrung von Amerikanern, eine, die die Amerikaner geprägt hat. Bisher hatte ich aber noch nie einen Film über Amerikaner in Paris gesehen, der irgendetwas erhellt oder aufgeklärt hätte, das waren immer nur Filme mit Tyrone Power oder Errol Flynn, die in Hollywood gedreht worden waren.

Das Thema ließ mich nicht mehr los, und irgendwie war The Moderns immer der nächste Film, den ich drehen wollte. 1978 war ich schon einmal sehr nahe dran: Ich war mit Keith Carradine, für den ich das Buch geschrieben hatte, in Paris, und wir hatten schon Mick Jagger für die Rolle des Stone gewonnen. Dann wurde doch nichts daraus. Jon Bradshaw, der ein sehr guter Romanautor und auch ein guter Freund von mir war, fand, daß meinem Drehbuch zwei Dinge fehlten: eine richtige Struktur und... Leichtigkeit. Wir beide fingen ganz neu an, behielten aber das Thema der Fälschung und die Dreiecksgeschichte bei. Der Film besaß wirklich diese Leichtigkeit, von der Jon gesprochen hatte, und das war mir sehr recht: Mir kam es auf den Geist dieser Epoche an, nicht auf historische Genauigkeit. Und das ist auch eines der Merkmale dieser Zeit: Es gibt keine Fakten, alles ist ein Mythos. Das historische Bild, das wir uns gemacht haben, besteht ja aus lauter subjektiven „Geschichten“, die eine ganze Anzahl Individuen in ihren Memoiren aufgeschrieben haben.

Was sind für Sie die entscheidenden Mythen, die mit dieser Epoche verknüpft werden?

Die zwanziger Jahre waren wie eine große Party, bei der sich das 20.Jahrhundert zum ersten Mal selbst feierte. Das ist die Ursache eines großen Mißverständnisses: Wenn Sie in ein beliebiges modernes Museum gehen, werden Sie feststellen, daß alle Durchbrüche in der modernen Kunst nicht in den zwanziger Jahren, sondern lange davor stattgefunden haben. Die zwanziger Jahre waren nur die Feier dieser Durchbrüche. Für mich besteht die Kunst der späten zwanziger Jahre nicht in der Malerei, sondern in der Kunst des Kaufens und Verkaufens. Geschäft und Kunst sind in dieser Epoche eine Liäson eingegangen und haben seither lauter illegitime Kinder gezeugt.

Ist der Schluß - die Protagonisten fahren nach Hollywood nicht ein etwas zu klischeeträchtiges Bild für den Ausverkauf der Kunst?

Hollywood - der Film ganz allgemein - scheint für mich die perfekteste Verbindung von Geld und Kreativität zu verkörpern. Wenn plötzlich das Kaufen von Kunstwerken illegal würde, würde ein wirklicher Künstler dennoch weitermachen.

Ein wirklicher Künstler - und ich selbst halte mich nicht für einen - ist ein Getriebener, der seine eigenen und auch unbekannte Wahrheiten suchen muß. Ich denke wirklich, daß die Heirat von Geschäft und Kunst das wirkliche, das greifbare Ende der zwanziger Jahre ist. Zuvor haben beide schon miteinander geflirtet, aber plötzlich hatten sie eine handfeste Liebesgeschichte. Wenn Sie heute lesen, daß ein Bild verkauft wurde, kommt es nicht mehr darauf an, was auf der Leinwand zu sehen ist. Es kommt darauf an, wer es gekauft hat, wie berühmt der Maler ist und wieviel es gekostet hat. Die Kunst ist zu einem Gebrauchsartikel der Gesellschaft geworden.

Dennoch haben die Pariser Jahre kreative Spuren bei den unterschiedlichsten Künstlern hinterlassen: Hemingway, Fitzgerald, Cole Porter u.v.a. Die Pariser Jahre sind zu einem Teil der amerikanischen Kultur geworden.

Ja, das Erbe ist vielleicht wichtiger als die damalige Zeit. Denn damals gab es keine Zusammenhänge, es gab keine Bewegung, zu der man sich zusammenschloß. Es gab nur lauter Individuen, die nach Paris gingen. Auf jeden Ernest Hemingway kamen vielleicht 20.000 Fred Hemingways, die auch dort waren und über die niemand mehr spricht. Die Zeit hat sich ihre Legenden geschaffen. Ich denke, daß mein Film ein liebevolles, nicht ganz ehrerbietiges und ein rechtmäßig humorvolles Bild der Epoche zeichnet. Aber viele konservative Kritiker, denen der Sinn für Humor fehlt, schrieben: „So war es in Wirklichkeit natürlich nicht!“ Sie zogen es vor, an die Legenden zu glauben. Fitzgerald blieb weniger als ein Jahr in Paris, er kam nicht klar dort und reiste zurück. Hemingway ist natürlich die legendäre, überragende Figur dieser Zeit. Aber mit dieser Legende wollten wir uns einen Spaß erlauben, wir wollten die Hemingway-Statue zeigen, bevor der Zement getrocknet ist. Er wandelt wie ein Geist durch den Film, an dieser Figur ist nichts Wahres: Alle Personen um ihn herum geraten ihm zu Ausgeburten seiner Phantasie.

Man nannte Paris damals „the great old place“, der Ort, an dem man gewesen sein mußte. Das „Kommunistische Manifest“ wurde in Paris geschrieben, und sehr viele Arbeiten von Hemingway, Fitzgerald und Henry Miller, die zu Manifesten der amerikanischen Kultur geworden sind, entstanden dort und wurden von der Zeit inspiriert. Die wichtigste Erfahrung für die Amerikaner war jedoch, daß Leute, die völlig unbekannt waren, herüberkamen, ein, zwei Jahre in Paris als Künstler lebten und dann in die USA zurückfuhren. Nick Hart (Keith Carradine) ist in meinem Film die perfekte Verkörperung dieses Prinzips, des Hemingway-Prinzips.

Ich denke, ohne diesen historischen Moment würde die amerikanische Kultur, wie wir sie heute kennen, tatsächlich nicht existieren. Es war für Tausende und Abertausende von Amerikanern die Gelegenheit, wirkliche Kunst kennenzulernen. Damals waren die USA doch noch ein kulturelles Grenzgebiet, sind es in gewisser Hinsicht auch heute noch.

Ihr Film vermittelt den Eindruck, daß alle wichtigen Figuren sich in einer Übergangssituation befinden.

Ja, aber ich denke, das ist auch eine allgemein amerikanische Erfahrung, die sich nicht nur auf die zwanziger Jahre bezieht. Aber für die meisten Figuren des Films gilt sicher, daß sie die entscheidenden Lernprozesse durchlaufen, bevor ihr Leben - wie bei Hemingway - zum Mythos wird.

Keith (Carradine) und ich sprachen darüber. Er gehört zu den Schauspielern, die für ihre Rolle eine backstory entwerfen, einen Lebenslauf, auf den im Film vielleicht niemals Bezug genommen wird, der aber für den Schauspieler dennoch wichtig wird, weil er der Rolle eine Dimension der Vollständigkeit gibt. Die Figur, die Keith spielt, wurde geboren, als es noch keine Elektrizität gab, vielleicht in einem kleinen Ort in Ohio, und 25 Jahre später nimmt er an einem Krieg teil, in dem Flugzeuge Bomben abwerfen! Das scheint mir das Entscheidende an dieser Epoche zu sein: Diese Generation wurde als erste mit dem 20.Jahrhundert konfrontiert. Die einzigen bahnbrechenden Dinge, die danach noch entwickelt wurden, sind das Fernsehen und die Atombombe.

Die Rastlosigkeit und Ziellosigkeit der Kamerabewegungen entspricht ein wenig diesen Lebenssituation der Figuren. Dieses Prinzip hat mich an Altmans Chandler-Verfilmung The Long Goodbye erinnert.

Der Film hat keinen richtigen Plot, irgendetwas muß sich doch bewegen! (lacht) Die Kamerabewegungen folgen keinem bewußten Prinzip. Es ist aber interessant, daß Sie an The Long Goodbye denken mußten. Mir war diese Parallele bis zu diesem Augenblick nicht bewußt. Aber Sie haben recht: Ich habe bei The Long Goodbye as Regieassistent mitgearbeitet.

Haben Sie die Dreiecksgeschichte im Film bewußt so angelegt, daß sie ein Problem darstellt, das in Amerika nicht gelöst und mit nach Frankreich transferiert wurde?

Schauen Sie, die Symbolik des Films ist sehr billig und sehr einfach. Stone (John Lone) repräsentiert die Zukunft, also unsere Gegenwart, in der die materiellen Werte die Werte der Kreativität überwiegen. Rachel (Linda Fiorentino) ist die moderne Frau, die zunächst von einem Mann ausgehalten wird und am Ende völlige Freiheit besitzt. Nick Hart (Keith Carradine) ist ein Künstler (oder besser: ein sogenannter Künstler), der von seinen Visionen und Sehnsüchten getrieben wird, der aber - wie alle zeitgenössischen Künstler - die Verführungen des Kommerzes kennenlernt: Er muß den Faust spielen. Wirklichen Sinn ergibt für mich das Dreieck erst, wenn man sieht, daß Rachel zwischen Kunst und Kommerz hin- und hergerissen ist. So betrachtet, bin ich mir nicht sicher, ob das Filmende tatsächlich ein Happy-End ist: Die beiden gehen nach Hollywood, aber wer weiß, ob Rachel Nick nicht schon am Bahnhof wieder verläßt?

Dem Moment der Übergangssituation, auch einer kunstgeschichtlichen Übergangssituation, entspricht auch der Stil des Films, etwa im Übergang von Schwarzweiß in Farbe. Dennoch nehme ich nicht an, daß für Sie bei „The Moderns“ das Verhältnis von Kino zu den anderen Künsten ein mimetisches ist?

Der Übergang von Schwarzweiß zu Farbe löst natürlich viele Probleme, auch erzählerische Probleme. Er hat auch etwas zu tun mit Vergangenheit und Gegenwart, vielleicht sogar mit der Fotografie und dem Kino. Die Farbe muß selbstverständlich in einem Film über Malerei eine große Rolle spielen. Und die Farbe hat eine um so stärkere Wirkung, wenn der Film zuerst schwarzweiß ist. Für mich hat es aber auch etwas mit dem Übergang zur Moderne zu tun. Und das Kino reflektiert in idealer Weise unser modernes Leben: Es ist ein bißchen korrupt, nicht ganz wahrheitsgetreu. Die Malerei ist schon per Definition eine viel reinere Kunstform.

Sie haben Paris als einen mythischen Ort in Montreal nachbauen lassen, als eine in sich abgeschlossene Welt. Ist der Verzicht auf den Realitätsanspruch auch ein Reflex auf die damals zeitgenössischen Kunstentwicklungen?

Paris in den zwanziger Jahren war eine Welt, wie sie in sich abgeschlossener nicht hätte sein können. Eine der wichtigsten Bewegungen der Epoche, der Surrealismus, behauptete, daß es keine Realität gibt, daß alles nur ein Traum ist. Diesem Geist wollte ich treu bleiben.

Für mich ist allerdings der Kubismus der entscheidende Durchbruch in der Kunst des 20.Jahrhunderts. Mein erster Impuls war: „Wie gern würde ich daraus einen kubistischen Film machen!“ Aber das kann man nicht, oder zumindest ich kann es nicht. Vielleicht hätte ich es zu einem bestimmten Zeitpunkt wirklich versucht, aber ich wollte schließlich auch einen unterhaltsamen Film machen! Meiner Ansicht nach ist der Stil des Films sehr konservativ, vor allem verglichen damit, wie ich ihn früher gedreht hätte.

Ich würde aber gern noch einmal auf Ihre Frage nach dem Realitätsanspruch zurückkommen. Mir gefielen die Dokumentaraufnahmen von Paris am Anfang sehr gut: Sie laufen im Zeitraffer ab, jeder Zuschauer weiß sofort, das ist nicht real. Charlelie Couture, der wunderbare Pianist im Film, stammt aus Paris und er sagte zu mir: „Du wirst eine Menge Ärger mit den Parisern bekommen, denn die werden wissen, daß die Straßen und Schauplätze nicht wirklich so aussehen.“ Ich antwortete nur: „Warten wir ab.“

Natürlich ist das Paris des Films ein imaginäres Paris. Heute hat die Stadt auch eine ganz andere Fassade. Die Stadt, die wir suchten, existiert gar nicht mehr. Wir drehten den Film in der Altstadt von Montreal, in nur zwei oder drei Straßen (ich fürchte, das sieht man dem Film auch an!). Das alte Montreal ist in vieler Hinsicht eine Kopie von Paris. Als ich Charlelie dann den fertigen Film zeigte, sagte er: „Mein Gott, den Film zu sehen weckte in mir ein Heimweh nach einem Paris, das ich nie erlebt habe!“

Das Motiv des „trompe l'oeil“ zieht sich durch den gesamten Film: Allein schon die typisch französischen Wandspiegel sind für Sie in den Cafeszenen ständiger Anlaß für visuelle Irritationen. Entspringt dies einer bloßen Lust am Spiel?

Diese Möglichkeit der Täuschung gilt doch nicht nur für das Kino, auch für die Malerei! Die Malerei hält einen Moment fest, überträgt ihn, wird aber nie einen Moment der Realität widerspiegeln können. Auch die Fotografie ist nicht mit der Realität identisch, sie hält nur ein kurzes Aufblitzen im Vergehen der Zeit fest. Sie ist wie eine Erinnerung. Und Erinnerungen verändern sich, wie man sich selbst auch verändert. Die Erinnerungen haben ihren eigenen Schnitt, sie schneiden die Realität so um, wie sie es wollen.

In The Moderns wollte ich dem Geist der Epoche gerecht werden. Damals lebte ich zwar noch nicht, aber nach allem, was ich gelesen habe, hatte die Zeit die Qualität eines Traums.

Kommen wir noch einmal zurück zum Thema der Täuschung und vor allem dem der Imitation: Worin besteht für Sie die enge Beziehung zwischen diesen Themen und dem Paris der zwanziger Jahre?

Die Gesellschaft, in der wir leben, ist seit den zwanziger Jahren nicht mehr unschuldig. Es ist eine Gesellschaft der Imitation und Fälschung geworden. Das ist das wahre Erbe dieser Epoche. Was den Stil angeht, verdanken wir der Zeit ungeheuer viel: Wenn Sie ein Schwarzweißfoto von mir machen würden, vielleicht vor einem etwas veränderten Hintergrund, dann könnte man glauben, daß es in Paris in den zwanziger Jahren entstanden ist. Wenn ich von „wir“ spreche, denke ich natürlich in erster Linie an die amerikanische und die französische Kultur. Ich glaube, für Deutschland war das Berlin der frühen Dreißiger viel entscheidender.

Unsere heutige Kultur wird doch von der Imitation bestimmt. Unsere Generation muß die Überreste einer Generation aufsammeln, die aufgehört hat, zu produzieren. Wir re -interpretieren Dinge, die ohnehin schon sehr wenig Substanz haben. Ein Durchbruch, eine bahnbrechende Veränderung kann nur geschehen, wenn man etwas Originelles macht. Aber wir alle sind Gefangene einer Kultur, in der es nichts Neues mehr gibt.

Der bedeutendste moderne Künstler ist für mich Marcel Duchamp: Er hat alles nur einmal gemacht, hat dann aufgehört und nur noch Schach gespielt. Man sagt, daß Andy Warhol bedeutend ist. Sein Beitrag war, daß er den Abfall in den Ausstellungsraum gebracht hat. Duchamp hat das alles schon vor 50 Jahren gemacht. Wie Oiseau (Wallace Shawn) am Ende meines Films sagt: „Von nun an gibt es nur noch Imitatoren von Imitatoren.“ In dieser Hinsicht sagt der Film vielleicht mehr über heute als über die Zwanziger Jahre.

Das macht der Schwenk in der letzten Cafeszene deutlich: Auf einmal sieht man an der Bar ein paar Punks.

Das Schönste, was ich dazu bisher gehört habe, war eine Frage, die mir gestern ein Journalist stellte: „Haben mich da meine Augen nicht getäuscht? Habe ich das wirklich gesehen?“ Ich sagte: „Ich weiß nicht, aber ich glaube, ich habe das gleiche gesehen wie Sie. Aber sicher bin ich mir nicht!“