Das ewig lachende Gebiß

■ Wolf Biermann über den Führungswechsel an der SED-Spitze

18. Oktober 89. Ein sonniger herbstlicher Mittwoch in Hamburg. Vor zehn Minuten rief mich ein alter Freund aus Kopenhagen an. Nun weiß ich, was alle wissen. Das 'Bild' -Gerücht hat sich in eine Tatsache verwandelt. Honecker ist zurückgetreten worden.

Als ich den Hörer wieder aufgelegt hatte, überlegte ich allen Ernstes, ob ich mit dieser Neuigkeit meine hochschwangere Frau aus dem Mittagsschlaf reißen sollte. Nein, lieber nicht, dachte ich. Nicht wegen solch einer welterschütternden Nichtigkeit. Es gibt eine Rangordnung der Wichtigkeiten. Und da klingelt schon wieder das Telefon. Mein Freund von der taz will wissen, was ich vom Nachfolger halte. Ja, wer ist es denn? - Krenz - Ach du armes Deutschland, dachte ich, es geht also erst mal mächtig vorwärts nach hinten.

Nicht „Michael“ Modrow aus Dresden, sondern der blöde Krenz, der mieseste aller möglichen Kandidaten. Krenz, der versoffene FDJ-Veteran, der Jubelperser des Politbüros, der optimistische Idiot, Egon Krenz, das ewiglachende Gebiß. Gut, das ist mein Gift. Aber wer ist Krenz wirklich? Wir wissen es nicht, wir können es nicht wissen. Das ist ja gerade die Syphilis dieses Systems: Öffentliche Angelegenheiten sind nicht öffentlich. Wie soll man da Nuancen erkennen und dem einzelnen gerecht werden. Man wird zum Kreml-Astrologen, weil die Herrschenden fern sind wie die Gestirne.

Hermann Axen wäre auch ein Kandidat gewesen. Bei dem weiß man wenigsten genau, warum er Mitglied des Politbüros wurde. Seine phantastische Häßlichkeit war immer sein politisches Kapital. Bei Gruppenfotos der Führung hatte immer Honecker das Privileg, links von ihm zu stehen. Denn jeder, der neben Axen photographiert wird, sieht aus wie ein Hollywoodheld. Die banale Wahrheit wird an den Tag kommen. Die ständigen Streitereien in der obersten Führung gingen nur um diese eine Frage: Wer darf beim nächsten Gruppenfoto rechts, an der disponiblen Seite von Axen stehen.

Warum nun Krenz? Warum nicht Kurt, der Tapeten-Hager, das weiß ich. Ihm haftet an, daß er in der Jugend mal Hegel gelesen haben soll. Kurt Hager galt in den 50ern als ein Intellektueller mit dem Hang zu liberalen Schwächeanfällen. Und so verkleidete er sich als Superdogmatiker, um sich vor den wirklichen Dogmatikern zu schützen. Aber dann wuchs die Maske ihm in die Haut ein, und das Ergebnis sehen wir.

Mein wirklich lieber Freund von der taz. Ich will Dir zum Führungswechsel ein paar Verse aus Brechts Lied vom Wasserrad zitieren:

Ach, wir hatten viele Herren

Hatten Tiger und Hyänen

Hatten Adler, hatten Schweine

Doch wir nährten den und jenen

Ob sie besser waren oder schlimmer

Ach, der Stiefel glich dem Stiefel immer

Und uns trat er.

Ihr versteht, ich meine:

Daß wir keine anderen Herren brauchen

sondern keine.