Neues aus der Friedrichsstraße

■ "Herzlich willkommen" - eine gesamtdeutsche Familientragödie in 476 Folgen, vom Leben abgeschrieben von Lutz Ehrlich und Suse Riedel. 8.Teil

Den West-Strommast, mit dem Ingo in den Osten gekippt war, hatte die DDR feierlich der Bewag zurückgegeben, dafür den Greenpeace-Wimpel behalten - Ingo übrigens auch. Der Sozialismus braucht zur Zeit jeden Mann, da kam Ingo gerade recht, bloß auf dem falschen Weg: „Die haben gesagt, um hier reinzukommen, müßte man nicht so einen Aufriß machen und gleich die Lichter ausgehen lassen. Das wäre nämlich ein ordentliches Land, ihre Arbeiter- und Bauernrepublik, und um diese Ordnung wiederherzustellen, sollte ich jetzt mal 'ne Woche mitanpacken. Ich dachte schon, jetzt schicken sie mich in so einen Gulag, aber es ging nur nach Berlin-Mitte. Da sollten diese Randalierer die Pflastersteine wieder ordentlich hinlegen, die sie vorher ausgerissen hatten. Einer von denen hat gesagt, sie hätten so viel wie sieben Neubauten an zwei Tagen da durch die Gegend geschmissen. Da hätten sie doch gleich diese Platten vom sozialistischen Wohnungsbauprogramm nehmen können, das wäre doch echt Ost gewesen...“

Aber Ost bleibt Ost, und Ingo erst mal da - allerdings: wie lange noch? Denn daß man auch vorwärts zurücktreten kann, das wurde an Onkel Herberts neuem Stammtisch in der „Rixdorfer Eiche“ nicht nur heiß diskutiert, sondern auch eindeutig begossen. Noch 'ne Runde auf Erichs Untergang. Da war jetzt auch so ein Neuer dabei, der markierte den ganz großen Durchblicker, hieß vorne Heinrich und hinten Lummer, aber dem traute Onkel Herbert nicht: „Mensch, Mensch, Mensch, der lacht genauso wie die vom Stasi und weiß noch mehr als die. Der hat doch schon vorige Woche vorausgesagt, dem Erich ließen sie jetzt die Luft aus den Reifen, aber ordentlich. Und daß jetzt dieser Krenz ans Ruder kommt, aber der hätte es auch schon irgendwo, der ist zwar erst 52, hat aber schon ganz schlimm Zucker und braucht bald 'nen neuen Magen. Ist ja auch kein Wunder, wenn der immer dieses chinesische Zeugs frißt. Da wird ihm noch mal ganz schlecht von, wenn ihm jetzt der Gorbi die Morcheln aus der Suppe pustet.“

Onkel Herbert hatte sich nach seiner Schlappe bei der BVG -Kontrolleursprüfung wieder gefangen und jetzt dem öffentlichen Nahverkehr ein für allemal abgeschworen. Seitdem einem in Bahn und Bus diese grünen Weltverbesserer immer die Packungen mit dem phosphatfreien Waschmittel in die Kniekehlen hauten, hatte Onkel Herbert wieder auf die eigenen vier Räder gemacht. Total verächtlich guckte er jetzt immer an der Tankstelle aus seinem Cazzo-Coupe auf die langen Trabbi-Schlangen vor der Moped-Tanksäule. Und als er sich beim ADAC den Aufkleber gegen Tempo 100 holen wollte, kriegte er gleich einen neuen Job dazu: Onkel Herbert sollte Gelber Engel werden, mit Option auf die Transit-Strecken. „Denen werd‘ ich's zeigen“, sagte Herbert und fuhr schon mal in die Friedrichstraße vor - zwecks Familienversöhnung. Bloß von Familie keine Spur mehr: Dafür lag über der fast verwaisten Schultze-Wohnung der Geruch von Weinbrandbohnen, und Uschi Schultze am hellichten Tage im Bett: In der einen Hand den Brief von der Hausverwaltung, sie müßten alsbald ausziehen, weil sie nach der letzten Schönheitsreparatur mit 90 Prozent WBK-Mitteln nicht mehr dringend genug wären, in der anderen Hand den Bausparvertrag vom Beamtenheimstättenwerk, fällig im Jahr 2004.

„In 'nen Container geh‘ ich wenigstens so lange nicht“, murmelte Uschi Schultze in ihr Paradekissen, als das Telefon klingelte: „Ach Helga, ich liege total krank im Bett und huste mir die halbe Lunge aus dem Hals... Irgendso ein Virus, ich hab‘ mir schon mal 'ne Wärmflasche gemacht. Da habt ihr ja bestimmt mehr Glück, da in eurem Appartemang, und dann die Sonne und so. Der Wolfgang hat ja kaum Zeit, sich um mich zu kümmern. Der ist jetzt bei so einem Psychologen. War ein Tip von der Freya, so eine neue Therapie gegen Ost-Phobie. Was die da machen? Die treffen sich jeden Tag auf dem Ausguck Bernauer Straße und singen die Internationale. Und dann müssen sie immer sagen: 'Genscher, du bist der Größte.‘ Doch, doch, das wirkt. Gestern hat er schon zweimal Hans-Dietrich zu mir gesagt, aber daß er nachts immer diese Ohrenmaske tragen muß, daran kann ich mich noch gar nicht gewöhnen.„Fortsetzung folgt