Mittag und Herrmann: nicht nur Sündenböcke

Mit Joachim Herrmann (60) und Günter Mittag (63) sind zwei Politbürokraten abserviert worden, die ihre Verantwortungsbereiche in eine geradezu aussichtslose Situation gebracht haben. Joachim Herrmann hat die Massenmedien derart zur Linientreue und zur höfischen Unterwerfung gezwungen, daß jetzt Journalisten schon aus Selbstachtung einen von der Partei autonomen Verband gründen wollen.

Dabei kam Herrmann von der 'Berliner Zeitung‘. Mit 37 Jahren wurde er „Staatssekretär für gesamtdeutsche Fragen“ und profilierte sich mit immer neuen Vorschlägen für Verhandlungen zwischen beiden deutschen Staaten. 1971, im Zuge von Honeckers Politik der „Abgrenzung auf allen Gebieten“, wurde sein Staatssekretariat aufgelöst, er wurde Chefredakteur des 'Neuen Deutschland‘. Als Leiter des Referats Agitation und Propaganda im Politbüro (ab 1978) galt er bei manchen Oppositionellen als denkbarer Honecker -Nachfolger.

Der bislang für Wirtschaftspolitik verantwortliche Günter Mittag hat es fertiggebracht, einmal mit Ulbricht und nun ein zweites Mal mit Honecker zu stürzen. Mit seiner zweiten Amtsperiode sind zwei wirtschaftspolitische Grundsatzentscheidungen verbunden, die die DDR teuer bezahlt hat und bezahlen wird: die Priorität für die Braunkohle und die extreme Zentralisierung der Wirtschaft. Letzteres könnte man seiner Herkunft zurechnen: „Dem ehemaligen Eisenbahner bedeutete rationales Wirtschaften vor allem, daß die Züge pünktlich abfahren und ankommen. Das Personal habe pünktlich seine Arbeit zu verrichten, wobei die Dispatcher-Zentrale ständig die Einhaltung des Dienstreglements kontrollieren muß.“

Mittag war der Repräsentant des Machtanspruchs der Fachleute. Als Zögling des Leiters der Staatlichen Plankommission Erich Apel teilte er dessen Credo: Sozialismus bemißt sich an der Produktivität. Nach dem Selbstmord Apels 1966 übernahm Mittag das Amt und die Politik des „Neuen Ökonomischen Systems“ (NÖS). Die DDR -Wirtschaft sollte flexibler werden, die Preise dem realen Wert angenähert werden. Entscheidungen sollten nach Ulbrichts Wort dort getroffen werden, wo die Sachkenntnis ist. Mittags Berichte wurden wegen seiner Nüchternheit und Präzision gerühmt. Doch diese Politik wurde verwässert.

Bei Ulbrichts Sturz fiel Mittag seinem Chef noch schnell in den Rücken und akzeptierte widerspruchslos, daß das NÖS gestrichen wurde. Trotzdem mußte er gehen, es begann die „Mittags-Pause“. Als sein schwacher, ideenloser Nachfolger scheiterte, kam es zu einer Annäherung von Honecker und Mittag. 1976 trat Mittag wieder in seine alte Machtposition ein und begann mit einer hemmungslosen Zentralisierungswelle. Großbetriebe wurden zu Kombinaten und die wieder zu sozialistischen Monopolen mit eigenen Ministerien verschachtelt. Die Zentralisierung traf die DDR -Wirtschaft im ungünstigsten Moment. Es hatte sich weltweit eine Innovationssituation vorbereitet, die mit einen Schlag die DDR-Produktion für den Export entwertete. Der Eisenbahner vertraute zulange den alten Geleisen. Die Entscheidung für die Braunkohle zudem, die die DDR nach dem Ölschock autark machen sollte, hat dazu geführt, daß die DDR mehr Devisen in die Entschwefelung stecken muß, als überhaupt an Investitionsmitteln für die gesamte Energiewirtschaft zu Verfügung steht. Mittags „Erfolg“ in einem Satz: die DDR-Wirtschaft muß 20 DDR-Mark ausgeben, um 1 Mark an harter Währung zu erwirtschaften.

Klaus Hartung