PRIMA LEBEN UNTERM STIEFEL

Montagsexperten kommen zu Wort: Enno Bohlmann  ■ Ü B E R L E B E N S B Ö R S E ‘ 8 9

Wie schon an anderer Stelle in diesem Blatt vermerkt, werden die erprobten Protest-, Aktions- und Demonstrationsformen zur Zeit rasant heruntergewirtschaftet. Mußte man letzthin dem Flötenwiderstand der Musikschulen eine Rüge erteilen, so hat sich seitdem die Lage noch verschärft: Unsere Ordnungshüter haben den politischen Aktionskünstler in sich entdeckt.

Letzten Dienstag wurde in der Wilmersdorfer Straße ein Feldbett aufgeschlagen, in dem sich ein Ordnungshüter schlafen legte. Zwei andere Ordnungshüter samt Schäferhund standen daneben. Die Botschaft der Performance ist eindeutig: „Wenn ihr schlaft, bin ich wach - für eure Sicherheit!“ Mit geradezu sinnlicher Dichte wird der Passant konfrontiert, wenn er das Szenario betrachtet. Der aufgewühlte Passant und die Passantin nicht minder müssen sich angesichts des harten Hüterschicksals unwillkürlich fragen: „Ja, wann schlafen denn unsere Ordnungshüter?“ Auch hier eine gelungene Inszenierung als Antwort. Der Hüter kommt zerschlagen vom Dienst, will schlafen, aber jetzt ist die zuvor bewachte Bevölkerung aufgestanden und lärmt dermaßen, daß es nicht zum Einschlafen ist. Diese Misere veranschaulicht der Performancekünstler im Bett, indem er sich Kopfhörer aufsetzt: „Wenn ich schlafen will, seid ihr wach - und macht Krach.“ Schon will man beschämt die Flucht ergreifen, da wird einem (meisterlicher Regieeinfall) ein Flugblatt in die Hand gedrückt. Inhalt: 'Wir wollen mehr Geld für unser Martyrium!‘. Das ist wirklich überzeugend. Haßkappe ab vor den Laiendarstellern der Westberliner Ordnungshüter, die es verstanden haben, Performance- und Protestkultur mustergültig zu vereinen.

Jetzt warten wir auf mehr. Ein Verbrechensverhüter verkleidet sich als Muselmann (Schnurrbart, Kaftan, Turban) und macht es sich in einem deutschen Ohrensessel bequem. Im Hintergrund das Büro einer bekannten rechtsextremen Partei: ein Hüter stellt einen Aufnahmeantrag. Botschaft: „Die Ausländerflut rollt weiter - wir suchen nach Antworten“. Oder ein anderes Szenario: Ein Hüter schießt mit Platzpatronen auf einen weglaufenden Jungen, der sich einen Videorecorder unter den Arm geklemmt hat. „Keine Panik - wir schützen euer Eigentum.“

Und wenn sie schon mal richtig dabei sind, können sie wegen der oben erwähnten Geldforderungen auch gleich eine Off -Theatergruppe gründen und einen Antrag auf Fördermittel bei der Kulturverwaltung einreichen. Für ihre neuen Stücke: „Lizenz zum Knüppeln“ und „Indiana Schulz und der letzte Demonstrationszug“.