Beredtes Stumm-Film-Theater

■ Ein früher Lubitsch-Film, „Madame Dubarry“ (1919), mit J. Bärenz am Piano

Lange bevor der Regisseur Ernst Lubitsch in Hollywood Welterfolge wie Lady Windermere's Fan (stumm), Bluebeard's Eighth Wife, To Be Or Not To Be und Heaven Can Wait, drehte, schuf er, Max Reinhardt -Schüler, in Deutschland große Filme.

Ernst Lubitschs Madame Dubarry aus dem Jahre 1919 entstand in einer äußerst produktiven Phase des damals 27jährigen. Zwischen 1918 und 1922 drehte er zehn Filme. Zudem war er künstlerischer Mentor so bekannter DarstellerInnen wie Pola Negri und Emil Jannings, den beiden Hauptfiguren in Madame Dubarry.

Die Bremer Aufführung wies eine Besonderheit auf. Mit Joachim Bärenz spielte ein Pianist live auf der Bühne die erst kürzlich aufgefundene Originalpartitur. Sie sei vor sechzig Jahren aus allen möglichen Motiven von Chopin bis Debussy zusammengesucht worden, berichtete er hinterher. Gerade wie es eine bestimmte Szene erforderte, sei die entsprechende Musik dazuarrangiert worden. Die Rekonstruktion der Originalaufführung vermittelte dies eindrucksvoll.

Jeanne (Pola Negri), eine junge Näherin, liebt den Studenten Armand (E. Jannings). Als sie

den Verführungskünsten des spanischen Gesandten am französischen Hofe erliegt, stürzt für Armand eine Welt zusammen. Er tötet den Spanier im Duell und wird eingekerkert. Die schöne Jeanne macht aber auch auf andere Männer Eindruck. Der Graf Dubarry will sie benutzen, um vom König Louis XV. Geld zurückzufordern, das dieser für den Kauf Korsikas benutzte. Auch Louis XV. erliegt ihren Reizen und macht sie zu seiner Maitresse. Nach der Formal-Heirat mit dem versoffenen Bruder Dubarrys wird sie als Comptesse bei Hofe eingeführt und steigt zur mächtigsten Frau Frankreichs auf.

Schon vor sechzig Jahren beherrschte Lubitsch die Kunst des kommödiantischen Ränkespiels par exellence. Im Ambiente des Spät-Barock präsentiert er alle Slapstick-Rafinessen, die das Medium Film damals zuließ. Stummfilmgemäß stellte er die Gefühlsregungen seiner SchauspielerInnen in vielen Großaufnahmen dar, wobei besonders die kokettierende Pola Negri mit ihren dunklen Augenhöhlen und Lippen mimische Glanzleistungen vollführt. Erst ein schräger Blick, dann ein schnelles Küßchen - schon ist der Galant becirct.

Die Massenszenen in der Totale bilden dazu den ausgewogegen Kontrast, von Bärenz einfühlsam und betonend am Flügel unterstützt. Lubitsch selbst sagte einmal: „Ich versuchte, in meinen historischen Filmen mit dem 'Opernhaften‘ zu brechen. Ich wollte meinen Gestalten humanistische Züge geben. Den intim-persönlichen Nuancen in ihrem Verhalten legte ich genauso viel Bedeutung bei wie den Massenszenen.“

Das ist ihm gelungen. Den Aufstand der verarmten und hungernden Volksmassen bis zum Sturm auf die Bastille inszenierte Lubitsch nach exakt diesem Muster. Armand, inzwischen Vorsitzender des Volksgerichts, verurteilt seine frühere Geliebte danach zum Tode, um selbst beim Versuch, sie vor dem Schafott zu retten, getötet zu werden. Madame Dubarry endet unter dem Fallbeil, dramatisch von Joachim Bärenz begleitet.

Das Publikum im Kino applaudierte dem sichtlich verlegenen Pianisten heftig, vielleicht aber auch dem erstaunlich gut erhaltenen Filmmaterial. Bis auf die KinderdarstellerInnen sind die Beteiligten an Madame Dubarry tot. Doch der Film lebt. Jürgen Franck