Zu Gast daheim

Hermann Gerland, Bundesligatrainer: Für ein Spiel kehrte der Bochumer Fußarbeiter zu seinen Wurzeln zurück  ■  P O R T R A IT

Der Mann kämpft immer. Bei der Pressekonferenz nach dem Spiel etwa. Da atmet er so schwer, daß man meinen muß, nicht seine Spieler, sondern er selbst wäre 90 Minuten lang den Rasen rauf und runter gelaufen. Auch jetzt, nachdem seine Mannschaft einen Rückstand von drei Toren aufgeholt hat, kann er nicht loslassen, der ganze Körper angespannt, zum Sprung bereit: der Tiger.

Der Tiger ist Hermann Gerland, und seinen Spitznamen hat er sich in 204 Bundesligaspielen für den VfL Bochum verdient. Mit gesenktem Kopf, scheinbar halslos geworden, wühlte er sich zwischen 1974 und 1982 in die Zweikämpfe mit denen, die über die linke Angriffsseite das Tor seines VfL bedrohen wollten. Kein Fußballästhet, eher ein Arbeiter am Ball, ein Kanalarbeiter der Liga, ein Kämpfer.

„Wir mußten immer schon kämpfen. Und die Roulade Sonntags, die wurde geteilt. Für die vier Kinder, da waren zwei Rouladen da.“ Das Umfeld, in dem er aufwuchs, bezeichnet er als „sozial schwach“. Hermann Gerlands Vater war Bergmann, später Maschinenschlosser. Er starb, als Hermann neun Jahre alt war. Der älteste Sohn wurde Vaterersatz für die Geschwister und suchte seine Familie und sich in der Arbeitersiedlung im Bochumer Vorort Weitmar durchzusetzen. „What can a poor boy do except to sing in a Rock'n'Roll Band?“ - Fußball spielen natürlich.

Wenn ich sonntags morgens in der Jugend gespielt habe, dann habe ich neunzig Minuten gearbeitet. Richtig malocht, denn ich wollte weiterkommen.“ Trotz Fachoberschule, Banklehre und Abendkursen (englisch, französisch), der Fußball und der VfL Bochum, dem er schon als Jugendspieler angehörte, wurden die Vehikel zum Aufstieg. Zur allgemeinen Überraschung wurde er 1986 sogar Nachfolger von Rolf Schafstall als Trainer beim VfL. 1988 führte er seine Mannschaft ins Pokalfinale und damit zum größten Vereinserfolg der letzten 15 Jahre.

Niemand hatte ihn zunächst so ganz ernst genommen, weil er doch immer da war. Gerland war so typisch für den Verein wie sonst nur noch Präsident Ottokar Wüst. Erstaunlicherweise war sein Credo als Trainer aber wenig provinziell, und phasenweise gelang es ihm sogar, es in Bochum umzusetzen: „Ich will, daß meine Spieler das lernen, was ich nicht konnte - Fußball spielen.“ Noch am Samstag feierten die VfL -Fans mit Sprechchören ihren Hermann Gerland, wohlgemerkt den Trainer des 1. FC Nürnberg. Kein Wunder, schließlich macht Gerland aus seinem Lokalpatriotismus keinen Hehl. „Ich bin in Bochum geboren und werde in Bochum sterben.“

Um sich über einen Sieg gegen den VfL zu freuen, bedarf es da schon seiner ganzen Professionalität. Seine jüngere Tochter Nina hatte sogar befohlen: „Papa, hier darfst du nicht gewinnen.“ Mit 40 will der 35jährige dann auch wieder in Bochum sein, schließlich „habe ich hier viele Kollegen“. Und Kollegen meint in der Sprache des Ruhrgebiets nicht unbedingt Arbeitskollegen, sondern vor allem Freunde, die Menschen, die man zum Leben dringend braucht.

Die hat er in Nürnberg nicht. Da hat er seit anderthalb Jahren nur wieder Kampf, der seine Zeitrechnung in Richtung Bochum durcheinander gebracht hat: „Ich fühl‘ mich machnchmal schon wie 39.“ Zunächst mußte er sich gegen seinen ehemaligen Förderer Heinz Höher durchsetzen („Der Heini hat sie nicht mehr alle auf der Latte“), der Gerland unterschätzte und ihn zu seiner Marionette machen wollte. Mit dem Präsidenten des Klubs, Gerd Schmelzer, liegt er im Dauerstreit, und die Lokalpresse in Nürnberg hat ihn schon lange im Visier.

Allein seine ausgezeichnete Arbeit und die Erfolge der Mannschaft schützen ihn. Vielleicht versteht man in Franken diesen Mann einfach nicht, der so sehr auf seiner Heimat und seiner Herkunft besteht, und das so wunderbar drastisch zu formulieren weiß: „Ich bin froh, daß ich ein Arbeiterkind bin, nach wie vor. Und ich weiß, daß ich beim Kacken die Beine krumm machen muß wie jeder andere auch. Ich bin jetzt nicht, weil ich Bundesligatrainer bin, anders als ich vor zehn Jahren war.“

Mal sehen, wann Hermann Gerland vierzig wird.

Christoph Biermann