Michaelas „Frauenwert“: 23.000 Mark

■ Ehemalige Prostituierte sagte gegen Kurfürstenstraßen-Zuhälter aus / Zeugin seit Wochen unter Polizeischutz

Die 19jährige ehemalige Prostituierte Michaela R. wird auf Schritt und Tritt von einer Polizeibeamtin und drei Polizeibeamten begleitet. Der Personenschutz war Mitte September angeordnet worden, nachdem Michaela R. den 31jährigen Rolf L. bei einer staatsanwaltschaftlichen Vernehmung erneut schwer belastet hatte.

Wie berichtet, muß sich Lutz R. als Hauptangeklagter seit vergangener Woche zusammen mit zwei weiteren Männern vor der 16. Strafkammer des Landgerichts unter anderem wegen des Vorwurfs der Zuhälterei, Ausbeutung von Prostituierten und Körperverletzung verantworten. Der in der Prostitutionsszene als brutaler Schläger geltende Hauptangeklagte Lutz R. soll seit 1985 die Oberaufsicht über den Straßenstrich seitlich der Kurfürstenstraße in Schöneberg geführt haben. Er sitzt seit Februar dieses Jahres in U-Haft und hat bislang keine Aussage gemacht.

Nachdem die Zeugin Michaela R. am vergangenen Donnerstag vergebens mit ihren Bodyguards vor der Saaltür gewartet hatte, weil sich das Gericht mit Anträgen der Verteidiger von Lutz R. herumschlagen mußte, wurde sie gestern mittag endlich vernommen. Die unausgesprochene Frage, ob die Zeugin bei ihrer belastenden Aussage bleiben oder sie aber - wie schon einmal bei einer früheren Vernehmung - widerrufen würde, war schnell beantwortet, als Michaela R. gleich im ersten Satz klipp und klar sagte: „Ich bin für Herrn L. auf den Strich gegangen.“ Auf die Fragen des Vorsitzenden Richters Malies hin bestätigte sie, daß sie dem in der Szene unter dem Spitznamen „Feile“ bekannten Angeklagten Lutz R. drei Viertel ihrer Tageseinnahmen - insgesamt rund 300 Mark

-abtreten mußte. „Feile“ habe ihr den Standort an der Einem -/Ecke Kurfürstenstraße zugewiesen und die Einnahmen dort persönlich von ihr abkassiert. Sie habe die Herausgabe des Geldes nicht verweigert, weil Feile „einen Ruf genießt, daß man alles macht, was er sagt“.

Als sie mit dem „Anschaffengehen“ habe aufhören wollen, habe er von ihr eine Ablösesumme von 23.000 Mark für ihren „Frauenwert auf dem Strich“ verlangt. Michaela R. hatte im Janauar dieses Jahres Anzeige bei der Polizei erstattet. Auf Nachfrage bestätigte sie, daß sie danach für den Fall, daß sie die Anzeige nicht zurücknähme, damit bedroht worden sei, man würde sie „verbrennen“ oder ihr aber „den Kopf abhacken“. Diese Drohungen seien von „anderen“ gekommen, sie schloß aber nicht aus, daß „Feile“ die treibende Kraft hinter diesen Drohungen gewesen sei. Zuvor war die 22jährige ehemalige Prostituierte Doris J. vernommen worden. Sie hatte im Frühjahr 1986 gegen Lutz R. Anzeige erstattet, sie aber wenig später wieder zurückgenommen. Auch gestern blieb Doris J. dabei, daß sie „freiwillig auf eigene Rechnung“ auf den Strich gegangen war.

Der Vorsitzende Malies äußerte daraufin den Verdacht, daß sie von Mittelsmännern Rolf L.s bedroht worden sei: „Sie müssen sich überlegen, ob Sie mehr Angst vor dem Angeklagten haben oder vor einer Strafverfolgung der Staatsanwaltschaft.“ Nachdem die Zeugin trotzdem bei ihrer Aussage geblieben war, wurde sie nach dem Verlassen des Saals auf Geheiß der Staatsanwaltschaft wegen Verdachts der Falschaussage vorläufig festgenommen. Der Prozeß wird morgen fortgesetzt.

plu