Versuch einer Ost-Politik

■ Interview mit Edward Luttwak vom US-„Center for Strategic an International Studies“ zur US-Ost-Politik / „Die Wiedervereinigung ist nur noch eine deutsche Angelegenheit“

Washington (taz) - Die Bush-Administration hat damit begonnen, eine amerikanische Ost-Politik zusammenzustückeln. Nach Monaten des Desinteresses beziehungsweise staunender Sprachlosigkeit scheint Washington nun auf die sich überschlagenden Ereignisse in Osteuropa reagieren zu wollen. Von den Demokraten im Kongreß der „Ängstlichkeit“ beschuldigt, schieben die zuständigen „Politikdesigner“ im US-Außenministerium nun Überstunden bei der Ausarbeitung einer US-Position zur deutschen Frage. In zwei Grundsatzreden zum Ost-West-Verhältnis versuchte Außenminister James Baker in dieser Woche die diplomatische Offensive von den Sowjets zurückzuerobern. Und nach der Rede des sowjetischen Außenministers Schewardnadse vom Montag erschienen auf den Bildschirmen der „Networks“ zahlreiche Vor- und Nachdenker aus den sogenannten „think tanks“, um Amerika zu erklären, daß in diesen Tagen ganz Osteuropa im Aufbruch ist. Am Dienstag nahm dann ein leicht naiv klingender George Bush explizit zur deutschen Wiedervereinigung Stellung: Er „teile nicht die Besorgnis einiger europäischer Länder über ein wiedervereinigtes Deutschland“...über die US-Reaktionen zu den Ereignissen in Osteuropa sprach die taz mit Edward Luttwak, dem für „Strategie“ zuständigen Mitarbeiter des konservativen Forschungszentrums in Washington.

taz: Zeigen die beiden Reden von Außenminister Baker Ansätze zu einer kohärenten US-Ostpolitik?

Luttwak: Die Reden haben mehr als nur innenpolitischen Charakter. Die Bush-Administration folgt langsam den Einsichten, die wir uns in den think tanks, ohne Verantwortung tragen, schon länger leisten können.

Wie wird diese graduelle Aufgabe amerikanischer Reserviertheit gegenüber der anderen Supermacht weitergehen, wird bald die Comcom-Liste zum Technologie-Export aufgehoben?

Sehen Sie, Abrüstungsverhandlungen können beschleunigt werden, sobald wir eine vernünftige Absicherung haben; Truppenreduzierungen, sobald wir uns über drei bis vier Jahre sicher sind; aber in Fragen der Technologie, da müssen wir schon 20 Jahre abwarten, ehe wir dieses Risiko eingehen.

Wie ist es denn mit dem Beitritt der UdSSR zum GATT -Handelsabkommen, zur Internationalen Weltwährungsfonds und zur Weltbank?

Dies ist eine Frage von Verhandlungen. Mit einer Volkswirtschaft wie sie die UdSSR vorweist, mit nicht konvertierbarem Rubel, wäre ein Beitritt sowieso lächerlich. Sabotage und Blockade gegenüber der sowjetischen Ökonomie haben als Politik zwar ausgedient; aber die Fragen des Beitritts zu GATT und IWF sind heute eine Frage der Praktikabilität.

Was wird bei der gegenwärtigen „Generalüberholung“ der amerikanischen Deutschlandpolitik im Außenministerium herauskommen?

Gar nichts, nur ein vorübergehendes Ergebnis. Es deutet sich lediglich an, daß sich die Haltung der USA zur Deutschen Frage zukünftig an der Haltung der anderen westeuropäischen Länder ausrichten wird. Sie sind es schließlich, die sich innerhalb der EG mit der konkreten Neuverteilung der Macht und ihren Gefahren auseinandersetzen müssen.

Wenn der sowjetische Außenminister Schewardnadse jetzt Verhandlungen über den Abbau von NATO und Warschauer Pakt fordert, bekommt man den Eindruck, daß man in Washington Angst vor diesem Szenario hat.

Stellen Sie sich vor, Sie sind Chef der Deutschen Bank, und ich bin Chef der Luttwak-Bank, die vor einem Jahr Bankrott gegangen ist. Wenn ich ihnen jetzt vorschlage, unsere beiden Banken dicht zu machen, dann gehen Sie doch wohl nicht darauf ein. Nein, dies ist kein guter Vorschlag.

Was halten sie von der impliziten Annahme des US -Außenministeriums, die Sowjetunion werde eine deutsch -deutsche Einigung niemals zulassen.

In der Politik gibt es kein Niemals. Lassen Sie mich Ihnen ein schmutziges Geheimnis anvertrauen: Unter den gegenwärtigen strategischen, politischen und diplomatischen Bedingungen liegt die Entscheidung über eine Wiedervereinigung schon in der Hand Deutschlands. Die furchtbare Wahrheit ist, daß die Wiedervereinigung plötzlich wieder zu einer Angelegenheit Deutschlands geworden ist, die zwar von außen beeinflußt, aber nicht mehr kontrolliert werden kann. Keine russischen Panzer werden dies verhindern können, wenn die Regierung der DDR einer Wiedervereinigung zustimmt.

Interview: Rolf Paasch