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Wende im Entsorgungstango

■ Bis Mitte 1990 soll die Entsorgung der bundesdeutschen Atomkraftwerke völlig neu geregelt werden / Spektakuläre Ankündigung der Länderchefs

Bonn (taz/dpa) - Die Entsorgung der 21 bundesdeutschen Atomkraftwerke wird neu geregelt. Die Konferenz der Ministerpräsidenten der Länder hat sich gestern auf Staatssekretärsebene darauf geeinigt, die Entsorgungsgrundsätze von 1979 grundsätzlich zu überprüfen und neu zu fassen. Bis Mitte 1990 soll unter Federführung von Umweltminister Töpfer (CDU) ein erster Entwurf für ein neues Entsorgungskonzept vorliegen. Bis dahin sollen noch die alten Grundsätze gelten, die offenbar von der Realität überholt worden sind. Töpfer begrüßte das Votum der Länderchefs als „wichtigen Schritt zu einem übergreifenen Konsens der Entsorgung“.

Hintergrund der überraschenden Ankündigung ist offenbar die langsame aber sichere Abkehr von der Wiederaufarbeitung durch die Stromkonzerne. Nach dem spektakulären Ende von Wackersdorf wird auch die angestrebte Wiederaufarbeitung im Ausland (La Hague und Sellafield) von immer mehr Atombetreibern in Frage gestellt. Der SPD-Atom-Experte Harald Schäfer sprach gestern von „strategischen Überlegungen“ in den Reihen der Energieversorger, über den Weg einer Langzeit-Zwischenlagerung zu einer direkten Endlagerung zu kommen, ohne die Brennelemente wiederaufzuarbeiten. Bislang ist die Wiederaufarbeitung aber noch vorgeschrieben.

Vor allem die kleineren Unternehmen wollen von der Wiederaufarbeitung im Ausland abrücken. Sie fürchten die hohen Kosten und wollen nicht in neue Abhängigkeitsverhältnisse geraten. Während Töpfer gestern nochmals betonte, daß die Verhandlungen mit La Hague und Sellafield weitergeführt und die Verträge über eine Wiederaufarbeitung bis zum Jahr 2005 noch in diesem Herbst unter Dach und Fach kommen sollen, wollte der SPD -Abgeordnete Schäfer nicht mehr ausschließen, daß die Konzerne aus einer langfristigen Zusammenarbeit mit Frankreich und Großbritannien wieder aussteigen. Offenbar suche man eine Lösung, um das Gesicht dabei zu wahren.

Tiefgreifende Änderungen beim Versuch, die chronisch ungelöste Entsorgungsfrage endlich in den Griff zu kriegen, hatten sich bereits in den vergangenen Monaten angebahnt. Zunächst rechnete Professor Closs von der Kernforschungsanlage in Karlsruhe Umweltminister Töpfer vor, daß die direkte Endlagerung inzwischen um einen Faktor zehn (!) billiger sei als der Umweg über die Wiederaufarbeitung. Entsprechend nahm der Druck für den „zusätzlichen Entsorgungsweg“ der direkten Endlagerung von seiten der Stromkonzerne ständig zu. In einem vergangene Woche bekanntgewordenen internen Strategiepapier der Branche heißt es, die Realisierung der direkten Endlagerung hänge „im wesentlichen davon ab, wie schnell dieser Weg technisch, rechtlich und politisch abgesichert wird und wie sich die Kosten für die beiden Entsorgungswege im Verhältnis entwickeln“. Die politischen Weichen wurden jetzt durch den Beschluß der Ministerpräsidenten-Konferenz offenbar bereits gestellt.

gero/man

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