Amtshandlungskirche der Tagenbaren

■ Woran man merkt, daß eine Kirche alt wird

Das sieht man schon sehr, wenn eine Gemeinde seit 1200 Jahren am Ort ist, wie die Domgemeinde, die in diesen Tagen ihr 1200jähriges Bestehen feiert. Das ist, - durch alle Unwißbarkeiten und Kalenderreformen hindurch - festgesetzt auf den 1. November, weil Bischof Willehad Anno 789 den Vorläuferdom, damals ein Holzkirchlein, geweiht haben soll.

Die deutschen PfingstlerInnen, die seit etwas mehr als zehn Jahren aus der Sowjetunion nach Bremen aus-und eingewandert sind, danken ihrem Gott, daß es ihnen gelungen ist, die 1,5 Millionen für einen Industrie-Flachbau als Ort des Gottesdienstes zusammenzukratzen. In den paßt die riesige Gemeinde nur hinein, wenn sie zweimal hintereinander gottesdient. Die DomgemeindlerInnen, selbst bei Festen wie diesem nicht halb so zahlreich wie die PfingstlerInnen, Lutheraner wie sie, thronen auf der Düne in gotischen Hallen unter messingnen Leuchtern und brausender Orgel und hören, gestern zum Beispiel - Pastor Dr. Rudloff über die Taufe predigen. Daß hier seit 750 Jahren am Stück in der löwengetragenen bronzenen Wanne (oder ist sie aus Messing? ) kleine Christenkinder getauft werden, referiert er genauso korrekt und unbeeindruckt, wie daß dabei das schlichte Leitungswasser gefaßt und gerahmt wird durch Gottes Versprechen: „Siehe ich bin bei Euch alle Tage, bis an der Welt Ende“ und durch Christi Auftrag zu taufen.- Aber wer da nicht glaubt, der wird verdammt sein. MIt diesem markigen Lutherwort Schluß aus, Predigtende. Die Orgel tritt wieder ihren domüblichen Kampf gegen die letzten drei singenwollenden Gemeindemitglieder an, spielt einen Affenzahn zu Choralbeginn, wenn alle noch nicht in Gang sind, pausiert und dehnt am Ende, wenn sie sich gerappelt haben. Abendmahl.

Ich gehe zum Ausgang, will mir das Taufbecken in der Westkrypta ansehen. Das wird grade vom Kirchendiener für ein Grüpplein aufgeschlossen, das sich um einen Herrn drängt, der kirchenältest-soigniert aussieht. „Gehören Sie dazu?“ „Nein, aber ich würde gern das Taufbecken sehen.„„Das geht nicht,“ spricht der museumsdienende Herr und schließt die Tür vor meiner Nase zu, „es sind ja noch weitere Amtshandlungen zu vollziehen.“ Ab 14 Uhr sei offen für alle. Und: „Es gibt ja noch eine Gemeinde hier.“

Ja, gibt es die? Zu sehen war ein stolzer Dom mit herrschaftlich abschottendem und gutbezahltem Personal. Die Zeiten, wo der Dom eine volkreiche lutheranische Konkurrenz zur calvinistischen Enge und Strenge der drei anderen Hauptkirchen war, ist 200 Jahre her und vorbei. Man sieht es schon sehr, wenn eine Gemeinde 1200 Jahre am Ort ist.

Uta Stolle