Blutbaden, ein präziser Alptraum

■ „Macbeth“, Tanztheater von Hans Kresnik, im Schauspielhaus gefeiert / Statt Kritik

Da wollt er stiften uns ein Bad, zu waschen uns von Sünden, ersäufen auch den bittern Tod durch sein selbst Blut und Wunden, es galt ein neues Leben.(Tauflied. Martin Luther)

Macbeth, Tanz-Theaterfassung von Hans Kresnik nach Shakespeare. 1988 in Heidelberg uraufgeführt. Nicht etwas, das ich rezensieren würde oder könnte. Sehen Sie sich das an. Es geht um

das Blutbaden, das Thema des 20. Jahrhunderts, nach einer Vorlage von Shakespeare aus dem 17., als mit dem absoluten Königtum der moderne Staat entstand. Mord als Epidemie, die von einem Manne ausgeht, aber schon da ist, als er auftaucht. Schon bevor sich der Vorhang hebt, schwimmt an der Rampe ein Blutmeer. Die ersten Bilder, kurz wie Herzschläge, zeigen Wannen, immer wieder

Wannen mit Toten, manchmal verrenkt wie nach der Gaskammer, manchmal wieder auf(er)stehend. Und immer wieder den schwarzen Tod, der einen Zinkeimer voll Blut und blutigem Gekröse zu dem übrigen an die Rampe kippt. Die Bilder werden länger, drei Hexen-Hostessen beginnen ihren Tanz, bieten dem armen, nackten Macbeth ihre entblösten Brustattrappen dar. Macbeth trinkt daraus. Blut.

Zugegeben, das ist so gräßlich, daß das Blut erstarrt. Aber das grausige Stück ist nicht schwer anzusehen. Es wäre schwer wegzusehen. Ich glaube auch nicht, daß man alpträumt danach. Es ist ein Alptraum. Bis auf die Riesentür, die gongt wie zum jüngsten Gericht, ist es leise. Trotz oder wegen der harten, klaren Musik Kurt Schwersiks, die Peter Kanaak und Stephan Sebass vom Flügel neben dem Blutmeer spielen.

Man starrt fast zwei Stunden auf die Bühne, sieht Macbeth von den Hostexen von seinem Blut gewaschen, aus einer Wanne voll Blut'die Salbung, danach wird er bekleidet, der Königsmörder ist fertig. Man sieht Macbeth in seiner entsetzlichen Angst vor dem Mord, sieht den alten König, der nicht zu greifen ist, der mal hier sitzt und mal da, sieht Macbeth immer mehr Messer apportieren. Den Mord sieht man nicht, hört

nur endlich, wie etwas zu fließen beginnt, und dann, noch furchtbarer, wie es aufhört. Zwei Stunden Baden in dem, was den Schrecken umgibt, seinen Zeichen, seinem Fruchtwasser, nie das Schreckliche selbst. Präzise nach den Regeln des Alptraums.

Sie täten es alle

Da mordet einer für die Macht, den goldenen Reif. Aber dafür täten's alle, und nur wer es tut, ist ein Mann. Es ist das gleiche Thema wie im „Stalin“ des Schauspielhauses. Blutbäder zum Machterhalt und aus Angst. Aber in diesem „Macbeth“ ist der einzelne kein einzelner: Bei der Tischgesellschaft des Königs zieht - grausig lächerlich jeder jedem die Krone vom Kopf, und tastet dann auf Nachbars Kopf, wo sie sie hin ist. Sie täten's alle. Und nach dem Beginn von Macbeth's Morden, als erklein und wunderlich wird, weil er den ermordeten Banco wieder lebendig sieht, als der Mord im Raum zu greifen ist in Blut und Wunde, da bandagieren sie sich alle die Augen mit Messer und Gabel und Bandagen von Bühnen- und Kostümbildner Helmwein. Sie haben nichts gesehen, nichts gewußt.

Am Ende liegt Macbeth in einer der Badewannen, in denen es in diesem Stück immer passiert. Nackt und bloß wie ein Embryo und wie Marat und wie Barschel, und die Zuschauer warten auf den großen Knall, der ihn straft. Nichts geschieht. Der Vorhang schließt sich zögernd. Was nicht zuende ist, geht weiter. Die Qual der endlos hängengelassenen Zuschauer entlädt sich in jubelndem Applaus, wie ich ihn im staatlichen Bremer Theater nicht erinnere, gehört zu haben. Uta Stolle