Swinging Metropolis

■ 50.Vaudeville

„Sehr geehrter Herr Reuter! Erstens habe ich meinen Namen, wie Sie aus den Reklamen sehen können, schon geändert. Ich schreibe mich mit zwei t. Zweitens habe ich an meiner Tagesgage zwei Nullen...“ Dies schreibt Otto Reutter 1896 vom hohen Roß des Ruhms runter ins Rheinland, wo ein neidischer Humorist namens Martin Reuter ihn wegen Namensgleichheit (was'n Vergehen!) zu verklagen droht. Andererseits notiert ersterer - der eigentlich Pfützenreuter heißt und nach väterlichem Wunsch den ehrbaren Beruf eines Heringsbändigers ergreifen soll - kokettierend in seinen späteren Variete-Aphorismen: „Ich hatte früher einmal den Größenwahn, bis ich an ein Variete kam, in welchem ein dressierter Affe besser gefiel als ich.“ Dies nämlich hatten ihm Vater und Onkel in aller Naivität gestanden, nachdem sie heimlich aus der Provinz angereist waren, um zu sehen, wie sich der kleine Otto auf der Bühne des Apollo-Theaters so macht.

Als an seiner Tagesgage noch keine zwei Nullen hängen, beim ersten öffentlichen Auftritt, ereilt ihn ein arges Mißgeschick, von dem er selbst zu berichten weiß: „Ich hatte nach langem Zureden vom Oberkellner einen alten Frack und in Ermangelung eines Zylinderhutes von einem anwesenden Droschkenkutscher eine ähnliche Kopfbedeckung geborgt. Nach irgendeiner altern Melodie begann ich nunmehr zitternd vor Aufregung zu singen. Den großen Hut trug ich behutsam auf dem Kopf, während ich mit den Händen das Textblatt hielt. Durch eine unvorsichtige Bewegung meines Hauptes geriet aber plötzlich der Hut ins Schwanken und fiel mir - rutsch! - ins Gesicht hinunter, erst bei der Nase auf erfolgreichen Widerstand stoßend. Bei meinem zaghaften Auftreten war das Publikum etwas verstimmt gewesen - noch mehr war dies bei dem mich unterstützenden Klavier der Fall -, jetzt aber löste sich das Grollen des Mißbehagens in einen Donner von Heiterkeit, Fluchen, Schreien und Schimpfen auf. Der Pianist schloß mit einer schrillen Dissonanz, warf mir Bieruntersätze an den Kopf, wollte mich von der 'Bühne‘ herunterziehen, der Droschkenkutscher riß mir den Hut herunter, der Kellner zog mir seinen Frack aus - ich wehrte mich, stampfte mit den Füßen und brach durch die Eierkiste. Tableau! Nie wieder während meines späteren Wirkens habe ich einen solchen Lacherfolg erzielt.“

Anschließend haut er sich in der Zeitung eines befreundeten Verlegers selbst in die Pfanne, indem er den Humoristen Reutter ersucht, „nie wieder eine Bühne zu betreten“. Seine tiefe Selbstkritik schließt mit den Worten: „Und da wir noch nie einen humorloseren Menschen gesehen haben, so geben wir dem jungen Mann den Rat, umzukehren und lieber - ein Sargmagazin zu eröffnen.“

Wie sich die Bilder gleichen: Noch 1893 prophezeit man ihm bei einem reisenden „Wiener Ensemble“: „Se wean nia wos, mei Liaba!“ Ganz ähnlich ergeht es dem Münchner Kollegen Karl Valentin. Als dieser mit Partner auf Tingeltour in Deggendorf auftritt (jenem niederbayerischen Orte übrigens, wo aufzuwachsen der Autor dieser Serie das zweifelhafte Vergnügen hatte), setzt sie ein enttäuschter Wirt & Veranstalter mit den Worten „Es seids jo net amoi 's Fressen wert!“ auf die Straße.

Nicht nur solch kurzsichtige Fehleinschätzung verbindet diese beiden Enden einer unterhaltungskultürlichen Wurst, jeder ein unnachahmliches Original, intelligenter Volkssänger seiner Region. Beide pflegen die Form des Couplets, sind das, was man heute vielleicht mit dieser modisch-angelinkten Attitüde „Liedermacher“ hieße. Bietet sich im Münchner Raum Karl Maxstadt als Vorbild an, so vertritt in märkischen Gefilden der Bendix-Clan jene Vaudeville-Tradition, in deren Stapfen zu treten der junge Otto Reutter sich anschickt. Wobei mich seit langem eine Frage plagt, die ich - in eigener Sache quasi - hiermit an den hoffentlich schlaueren Leser weitergebe: Sind sie nun verwandt oder doch, Ralf Bendix, Schlagerbabysitter aus den frühen Sechzigern und die beiden, vor runden hundert Jahren höchst populären Bühnenkünstler Martin&Sohn Paul? Und gar William Bendix, der bullige Charge aus Hollywood, einer der ewigen Nebendarsteller, ohne deren Würze manche Filmsuppe nur halb so lecker wär? Wissende, vortreten!

Reutter lernt Bendix junior im American-Theater in der Dresdener Straße kennen. Ein typisches Produkt der sogenannten Gründerjahre, der Zeit wilhelminischer Konjunktur hatte sich der 1875 eröffnete Possenschuppen rasch im Sinne von Direktor August Reiff als wichtige „volkstümliche Lachhalle“ profiliert. In der KolonialismusOperette „Zansibar“ steht ein Negertrio auf den Brettern und gibt - auch nicht eben preußisch-tansanische Kreationen - einige Schnaderhüpferl zum Allerbesten. Die „Eingeborenen“ heißen Hermann Frey & Paul Bendix; O.R. ist der dritte im Bund. Da schwarze Schminke zu teuer kömmt, bearbeiten die Mimen allabendlich ihre Gesichter mit angekokelten Korken. Angeblich gibt das einen erstklassigen Al-Jolson-Teint, die Tortur des Abschrubbens allerdings ist auch nicht von schlechten Eltern. Bald schon rennen drei Krebse durch Berlin, die nur darauf warten, daß sich die malträtierte Haut endlich abpellt.

Norbert Tefelski