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Bremen-Nord - irgendwo Richtung Norden

■ Eine „Teil-Stadt“ mit Finanzamt, Bauamt und Amtsgericht / Seit neuerem auch mit Disco, Kino und 50-Jahr-Feier

Was fällt Ihnen zu Bremen-Nord ein? Stellt man diese Frage zum Beispiel einem Bremer aus dem Ostertorviertel, bekommt man zur Antwort: „Bremen-Nord-hmm - Sie meinen Vegesack und so, nicht? Also, dazu fällt mir eigentlich gar nichts ein. Wissen Sie, für mich endet Bremen am Straßenbahndepot in Gröpelingen. Was dahinter liegt, interessiert mich nicht mehr.“ Dahinter kommt aber doch noch was: Bremen-Nord. Es beginnt weit hinter dem Straßenbahndepot, am anderen Ufer der Lesum. Zu Bremen

Nord gehören die drei Stadtteile Burglesum, Vegesack und Blumenthal (die sich wiederum zusammensetzen aus insgesamt 22 Ortsteilen, in deren Straßenführung die Orientierung stadtbremischer AutofahrerInnen regelmäßig versagt.)

Am 1. November 1939 wurde dieses Gebiet der damaligen Gemeinde Bremen von den Nazis zwangseinverleibt. Ob das gut oder schlecht war, weiß eigentlich keiner so genau. Darüber streiten sich die ExpertInnen heute noch. Die einen sagen, mit

der Eingemeindung von Bremen-Nord wäre vor allem in Blumenthal eine „eigenständige Entwicklung abgebrochen worden“, weil Blumenthal seine Finanzhoheit verloren hat. BefürworterInnen der Einverleibung argumentieren, es wäre nur sinnvoll gewesen. Schließlich seien die meisten der im heutigen Nordteil Bremens liegenden Industriebetriebe mit bremischem Kapital gegründet worden (z.B. Bremer Vulkan und Woll-Kämmerei.)

Die „NorderInnen“ jedenfalls betrachten sich auch nach 50 Jahren noch nicht als richtig eingemeindet. Wenn eine eingesessene Bremen-Norderin etwa die Reise über die Lesum antritt, macht sie sich schick und sagt: „Ich fahr‘ nach Bremen“ - oder: „Ich fahr‘ in die Stadt“.

Von der allgemeinen Entwicklung Bremens ist Bremen-Nord seit jeher abgekoppelt gewesen. Vor allem der Senat hat Bremen-Nord immer stiefmütterlich behandelt. Seit der letzten Senatsumbildung wird für verdiente Bremen-Norder SozialdemokratInnen kein Senatposten mehr vorgehalten. Zum Trost hat Bürgermeister Klaus Wedemeier Bremen-Nord 1988 zur Chefsache erklärt.

Nördlich der Lesum spricht man inzwischen selbstbewußt von einer „Teilstadt Bremen-Nord“. In ihrem Einzugsbereich wohnen, rechnet man die niedersächsischen Umlandgemeinden mit, inzwischen über 150.000 Menschen. Bremen-Nord stellt allein auf Grund der öffentlichen Verwaltung „eine Stadt in der Stadt“ dar. So gibt es ein eigenes Amtsgericht in Blumenthal. Außerdem hat Bremen-Nord ein Finanzamt, das zu Beginn als „Reformbehörde“ geplant war. Auch die für Bremen -Nord zuständige Baubehörde ist ein Fall für sich. Denn im „Bauamt Bremen-Nord“ arbeiten Hoch-und Tiefbau, Garten-und Landschaftsschutz usw. unter einem Dach.

„Der 1. November ist eine große Chance auf Bremen-Nords Eigenständigkeit hinzuweisen“, sagte Vegesacks Ortsamtsleiter Reiner Kammeyer zur taz. Es dürfe auf keinen Fall zu einer Jubelfeier über den Nazi-Beschluß kommen. Bremen-Nords „Eigenständigkeit“ zeigt sich vor allem in der Wirtschaftsstruktur. Die ganze Region hing schon immer von großen Industrien ab. Als aber viele Betriebe Anfang der 70er Jahre in Bedrängnis gerieten, ging bis 1980 die Hälfte der

Arbeitsplätze in Bremen-Nord verloren. Die Arbeitslosenstatistik war immer höher als der Landesdurchschnitt. Erst in den letzten Monaten sank sie wieder unter ihn (Quote Bremen-Nord im September: 12,6 Prozent; Land Bremen: 14,2 Prozent.) 27.000 „NorderInnen“ pendeln täglich nach „Bremen“ rein und raus.

Der Dienstleistungsbereich gewinnt erst ganz langsam an Boden. Immerhin: Die Vegesacker Fußgängerzone ist die längste in ganz Bremen. Und: Seitdem das Veranstaltungszentrum „Gala“ mit seinen Disconächten eröffnet hat, ist das beliebte Parkhaus Sedanplatz wochenends sogar bis morgens um sechs Uhr auf. Die „Gala“ es ist zwar eine stadtbremische Gründung, findet aber großen Zuspruch, gab es doch fünf Jahre lang nicht mal mehr ein Kino in „Nord“. Um die „Kulturbrache Bremen-Nord“ (Klaus Menzen) aus eigener Initiative zu beleben, gibt es seit Mai 1987 das „Kulturforum Bremen-Nord“. Dieser (noch) lose Zusammenschluß Kulturschaffender hat es geschafft, daß die Bildungsbehörde einen Lehrer freigestellt hat, der sich „Kulturreferent“ nennen darf.

Das, was zur Zeit in Bremen

Nord am heftigsten diskutiert wird, ist die Verkehrsverbindung an die Stadtmitte. Mit dem Bus und dem Zug braucht man zum Beispiel von Bremen-Rekum aus über eine Stunde. Und nachts fährt überhaupt kein Zug. „Bremens größtes Altersheim“ (Reiner Kammeyer) ist inzwischen Bremen Nord. Der Anteil der über 60-jährigen liegt fünf Prozent über dem bremischen Landesdurchschnitt. Seit der Sanierung Vegesacks 1975-1985 drohen die Ortskerne in Lesum und Blumenthal zu veröden. Dagegen laufen Politiker aus beiden Stadtteilen Sturm. „Bremen-Nord besteht doch nicht nur aus Vegesack“, erklärte Lesums Ortsamtleiter Klaus-Dieter Kück. Und Blumenthals Beiratssprecher Heinz Blecher (SPD) meint: „Bei allem, was in Bremen-Nord geschieht, kommt Blumenthal immer zuletzt dran.“

Was die vergrämten Bremen-NorderInnen aber oft vergessen, ein rebellischer Sohn Bremen-Nords hat einst die Straßenbahnunruhen in Bremen-Stadt angeführt und ein anderer „Norder“ hat es derzeit zu nicht weniger als zum gesamtbremischen Kirchenführer gebracht.

Ulf Buschmann/bd

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