Wie das Rheingold am Rhein rollt

■ Wagners „Ring“ als Gemeinschaftsprojekt in Köln/Düsseldorf/Duisburg

Die Operhäuser am Niederrhein, dicht beieinander gelegen, rivalisieren um die Gunst eines längst mobil gewordenen Publikums und die besseren Tabellenplätze, nicht anders als die Sprechtheater oder die Sportvereine. Gut so, denn Konkurrenz belebt das Geschäft. Richard Wagners Ring des Nibelungen aber, allemal ein Großprojekt des Musiktheaters, ist auch heute noch eine derartige Herausforderung für Häuser mittlerer Größe, daß eine Kooperation zwischen der Kölner Oper und der Deutschen Oper am Rhein (Düsseldorf/Duisburg) in die Wege geleitet wurde. Das erscheint auch angesichts der Notwendigkeit zu sparen, gerade im Bereich der Werkstätten und des Ausstattungsaufwandes, akzeptabel.

Man soll den Ring nicht vor dem Götterdämmerungs -Abend loben, aber auch nicht grundsätzlich tadeln. Ob das jedoch, was das Düsseldorfer Team um den Generalintendanten und Regisseur Kurt Horres jetzt in Köln bei der Rheingold-Premiere exponierte, eine solide Basis für das überzeugende Gelingen des Gesamtunternehmens bedeutet, mag füglich bezweifelt werden. Dabei fängt es mit einem Bild von Andreas Reinhardt vielversprechend an, während das Gürzenich -Orchester - von Hans Wallat geleitet - ganz kammermusikalisch das Es-Dur-Klangband entfaltet und die Wogen der Musik locker herbeirollen läßt: Eine Uferlandschaft taucht aus dem Dunkel der Bühne auf, hinter den Wellen schneebedeckte Sandbänke oder Nebelschwaden in der Dämmerung. Zwei rechteckige, leuchtend blaue Segmente setzen Akzente. Dann wird der Blick verschleiert durch einen Gazevorhang: Der reine Urzustand der Elemente endet, die unreinen Mischungen beginnen.

Mit dem Auftritt der drei Rheintöchter ist viel entschieden. Werden sie als Nixen mit Fischunterleibern aus dem goldenen Zeitalter der Mythologie daherschwänzeln? Nein! Horres und Reinhardt lassen sie als Opernsängerinnen des 19.Jahrhunderts auftreten. Die Bürgerkinder im Abendkleid achten nicht sonderlich auf das Gold, das sie zu bewachen haben - wie alle, die etwas schon immer und genug davon haben. Sie wollen ihren Spaß - und da kommt ihnen Alberich gerade recht, der zu kurz gekommene Kleinbürger, der unbeholfen Gierige aus den tieferen Etagen. Er steigt aus einer Luke in den flachen Grund. Keine glitschige Klippe weit und breit - es ist ein spiegelblankes Parkett, auf dem der Herr aus Nibelheim ausrutscht, die Damen Ringholz, Andonian und Kruse sich hingegen zu bewegen wissen.

Die Rheintöchter sind überall und nirgends, unfaßbar im wörtlichen Sinne. Im entscheidenden Augenblick treiben sie ihr neckisches Spiel zu weit seitab. Im Zwielicht haben sich die Konturen eines Geldschrankes abgezeichnet, während Alberich die Liebe verflucht und ihr für immer abschwört. Da springt die Tür des Safes selbsttätig auf. Das Gold erstrahlt und lädt zum Raub förmlich ein. Schon vor Zeiten, denkt man, muß es wie heute gewesen sein: Das Geld kommt von der Bank und der Strom aus der Steckdose, sogar an der einsamsten Strandpromenade. Oder hat die Stadtsparkasse die Aufführung gesponsert? Ein Blick ins Programmheft - sie hat!

Von da an wird das Regiekonzept bedenklich. Gewiß, gelegentlich meldet sich noch rheinischer Frohsinn: wenn zum Beispiel die Riesen Fasolt und Fafner, die Architekten und Bauleiter der repräsentativen Wohnanlage Walhall, wie Liszt und Wagner daherkommen, kostümiert und frisiert wie die Architekten des „Kunstwerks der Zukunft“ (und, ganz dem Text gehorchend und zugleich sehr hintersinnig, der Fafner Wagner den Fasolt Liszt meuchelt); oder wenn ein lange still dasitzender Nibelung den Vorhang wie im Variete vorzeigt, damit Alberich seine Verwandlungsküste als Schattenriß vorführen kann - und dabei von Wotan noch ein Trinkgeld nimmt. Sonst aber erlahmte das anfängliche Wohlgefallen, als sich die „freie Gegend auf Bergeshöhen“ zeigen sollte.

Sehr frei war sie nicht: Unter einem Zelt-Baldachin an der höchsten Stelle einer Erhebung, die wie eine aus der Form geratene Sahnetorte aussieht, steht der halb zusammengepackte Hausrat der Wotans: Empire-Sesselchen und hochkant ein Klavier. Gegenüber der vernehmlich nörgelnden Gattin Fricka - es ist Hanna Schwarz, ganz in Schwarz verteidigt der wieder einmal zum Frühkapitalisten avancierte Herr Wotan das Großbauvorhaben Walhall. Zugegeben: Wer so provisorisch, halb im Regen und im Schneetreiben stehend, hausen muß, sollte längst bei der Landesbausparkasse angespart haben. Das Vertrauen in die Kreditwirtschaft hatte der herrische Gott aber noch nicht (und das läßt die Rechnung der Transposition seiner Figur ins 19.Jahrhundert schließlich nicht aufgehen); bekanntlich verpfändete er seine Schwägerin Freia, die Göttin der ewigen Jugend - was die ganze feine Gesellschaft da oben im bergischen Land jäh altern lassen müßte. Bei Horres und Reinhardt allerdings gelangen die Sänger ohne Verschleißerscheinungen bis nach Walhall.

Das Ensemble war nach dem Reißverschlußverfahren aus Köln und Düsseldorf zusammengefügt, vor allem aber durch die Amerikaner Robert Hale und John del Carlo als Götter, durch Hartmut Welker als Alberich und Anne Gjevang als Erda mit Bayreuth-Erfahrung verstärkt; es führte Wagner-Gesang auf hohem Niveau vor. Der überlistete und verschleppte Alberich, der gefesselt auf dem Zuckerguß liegt, läuft im Wechselgesang mit Wotan Robert Hale und dem (etwas zu wenig geschmeidigen) Kanzlerberater Loge Josef Protschka zu großer Form auf. Der kräftige Beifall für die Sänger ist berechtigt.

Viele Details leuchten ein: Die rote Feuerspalte für Loges Zwiespältigkeit, die Illuminierung der bürgerlichen Innenwelt in den Farben des Regenbogens, das fast unmerkliche Heraufziehen des ganz klassizistisch gehaltenen Göttersitzes. Indem schließlich der erborgte Bürgerprunk des 19.Jahrhunderts mit haushohen Säulen und Fenstern die eisige Bergeshöhe umschließt, nähert sich die Wagner-Inszenierung einer Offenbachiade. Operettengestalten schreiten um den Operettenberg durch das rückwärtige Portal zum Bankettsaal.

Nur Loge, der schlaue Rote, geht nicht mit: Ihm kann der Ring schon nach dem Vorspiel gestohlen bleiben. Während die Rheintöchter aus der Ferne ihre Klage führen und das Orakel verkünden, traulich und treu die Musik in Des-Dur-Pracht verrauscht, kommt Loge noch einmal nach vorn, wiegt einen von Freias Äpfeln der ewigen Jugend in der Hand; überlegt, ob er ihn als Reiseproviant mitnehmen soll; wirft die goldene Frucht dann aber zurück auf die silberne Schale und entfernt sich diskret für immer.

Solchen gelungenen Einzelszenen stehen nicht nur verquere Bildmomente gegenüber (wie das Karussell von Nibelheim). Alberichs Reich wurde von Wagner als dunkle Schmiede konzipiert, von Horres und Reinhardt aber einer Kirmes angenähert. Vielleicht war das die kühnste Fehlinterpretation: Warum soll in einer Zeit, in der die Arbeitsplätze der Schwerindustrie verschwinden, nicht ein Symbol der Freizeit- und Vergnügungswelt an die Stelle von Esse und Amboß treten? Doch durch dieses Ersatzbild wird eben nicht deutlich, daß und wie aus dem glänzenden Metall im Rohzustand jene Wertgegenstände mit magischer Macht werden, welche die Tetralogie überhaupt in Bewegung versetzen, die Tragödie ins Rollen bringen.

Daran, daß der Prozeßcharakter des Werks beschnitten wird, die Einzelteile immer schon fertig auftauchen, heften sich die Befürchtungen hinsichtlich der Fortsetzung. Der Erwartungsdruck auf eine Inszenierung des Wagnerschen Hauptwerkes ist - nach den Modellen von Chereau, Harry Kupfer, Ruth Berghaus - erheblich. Und gleich nebenan, auf den Provinzbühnen von Krefeld und Mönchengladbach, setzten John Dew und Gottfried Pilz den Ring als strikt modern ausgestattete Parabel unter dem Aspekt von Naturaneignung und Naturvernichtung vor nicht allzu langer Zeit ins Werk. An all dem muß sich die Arbeit von Kurt Horres und Andreas Reinhardt schließlich messen lassen. Aber das soll und kann, wie gesagt, erst nach dem Schlußakkord der Götterdämmerung geschehen. Bis dahin können die rheinischen Opernfreunde hoffen, daß sich der Ring so überzeugend schließt, wie er über den Tiefen des Rheins anfing.

Frieder Reininghaus