Q U E R S P A L T E KaDeWe statt SED

■ Zum erwarteten Massenbesuch von DDR-Bürgern in Westberlins Konsumtempeln

Wer hätte gedacht, daß die alte Berliner Scherzfrage: „Wieviele Leute passen ins KaDeWe, wenn die Mauer fällt 10.000 und ein paar Zerquetschte“, so schnell in den Bereich des Möglichen rückt. Zwar wird die Berliner Mauer noch eine ganze Weile stehenbleiben (auch wenn die in die Zukunft projektierenden Baulöwen der Stadt wahrscheinlich schon spekulieren, wie man im Falle eines Falles das riesige Filetstück quer durch die Innenstadt ergattern und betonieren könnte) - der Sturm auf die Kosumtempel des Westens allerdings wird schon im nächsten Monat einsetzen.

Westberlins Regierender Momper hat in OstBerlin über die künftigen Reiseerleichterungen für DDR-Bürger konferiert und die frohe Botschaft überbracht: 100.000 DDR-Bürger werden im November und Dezember Besuchsvisa für West-Berlin erhalten. Schon wird hektisch überlegt, wie man den Besucheransturm so organisiert, daß die Verweildauer im Westen nicht im Verkehrschaos und beim Schlangestehen nach Begrüßungsgeld draufgeht. Doch auch wenn die 100 Mark, auf die jeder DDRler Anspruch hat, schon im Osten ausbezahlt werden - ohne Staus, Schlangen, Gewühl und Gedränge wird der Massenbesuch nicht abgehen, auch wenn der obligatorische „Hunni“ angesichts des prallvollen Weihnachtssortiments so schnell zerronnen ist, wie er gewonnen wurde.

Ob die 10 Millionen Mark, die dem Berliner Einzelhandel via DDR-Bürger aus dem Steuersäckel zufließen, die Kaufhaus- und Ladenbesitzer so recht glücklich machen, darf bezweifelt werden. Denn was macht der Besucher, wenn er nichts mehr auf der Tasche hat? Er kiekt und staunt und steht denen im Wege, die mit ihrem 13. und 14.Monatsgehalt die Weihnachtskassen klingeln lassen sollen. Es hilft also nur eines: Die Ost -Mark muß ab sofort in jedem Berliner Geschäft akzeptiert werden, was für 100 Mark West zu haben ist, muß auch für 800 Mark Ost (d.h. zum schwarzmarktgängigen Kurs) über den Ladentisch gehen. Nur so hätten die Ost-Besucher wirklich etwas von ihrer Butter- (bzw. Video-) Fahrt in den Westen, sie könnten ihre gehorteten und ziemlich unbrauchbaren Ost -Millionen für all den nützlichen Schnickschnack verjubeln, der ihnen in der versorgungsengen Heimat entgeht.

Mathias Bröckers