Abzüglich 39 Mark 99 DM

■ Wenn's im Staatschauspiel kriselt, liegt das auch am Generalintendanten

Jack Garfein hatte den Neuanfang des staatlichen Bremer Schauspiels als Regisseur des „Stalin“ miterlebt. „Es gibt ein jüdisches Wort“, sagte der Jude aus der Tschechoslowakei mit dem amerikanischen Paß, bevor er von Bremen zurück nach Paris ging: „Das heißt: Der Fisch stinkt vom Kopfe her.“ Doch wo sitzt der Kopf?

BesucherInnen und Kritik hatten auf die ersten beiden Produktionen des neuen Oberspielleiters und seines Ensembles, Ui und Liebe und Anarchie, lieblos und mit anarchischem Rückzug geantwortet. Aber das Ensemble und sein Leiter Andras Fricsay fangen ja an, warum sollen sie nicht lernen aus einem schlechten Anfang?

Hartleibiger sind Besetzungsschwächen, wie sie sich bei der tragenden Rolle im „Stalin“ zeigten. Fricsays Vorgänger Krämer hatte das Ensemble immer so klein gehalten, daß noch Mittel für auswärtige Gäste da waren. Bei den fast zehn zusätzlichen SchauspielerInnen des Fricsayensembles ist das nicht mehr drin. Gleich in den ersten Wochen ist die Zusammenarbeit zwischen Fricsay und dem neuen Hausregisseur geplatzt. Wenn Fricsay bleibt, braucht er eigenständige Regisseure als Ergänzung, die sich dennoch in seine Theater„family“ einfügen. Und, ist es an der Zeit hinzuzufügen, die bereit und willens sind, den besonderen Stil des Generalintendanten zu goutieren. Der ist so, daß beide Gastregisseure dieser Spielzeit, Heinz-Uwe Haus wie Jack Garfein, zum Rechtsanwalt gingen, um ihr Honorar aus dem Theater herauszuarbeiten.

Zur Entlohnung von Heinz-Uwe Haus, den Fricsay - seine Befugnisse überschreitend - von der Probenarbeit am „Ui“ entbunden hatte, hielten Richter und Verwaltungsleiter Dünnwald den gezahlten Vorschuß für ausreichend. Zwei Drittel des für die erste Inszenierung durch Werkvertrag fixierten Honorars sollten ihm vorenthalten werden. Gestützt auf eine Vertragsklausel, die Produktionshindernisse, die nicht allein das Theater zu verantworten hat, dem Regisseurs anlastet. Haus, zudem für drei Jahre als Hausregisseur unter Vertrag, erhielt Honorar und raisonnablen Kompromiß erst nach dem Gang zum Anwalt.

Als nächster erschien Jack Garfein in der Kanzlei. Er hatte in seiner Honorarbrechung ent

deckt, daß er für 10 Wochen Proben und zwei Monate Vorbereitungszeit nicht, wie er meinte, unterschrieben zu haben, 20.000 Mark erhalten sollte, sondern deren 13.000. Der Amerikaner hatte seinen Vertrag so verstanden, daß er das Theater zur Zahlung der Mehrwertsteuer verpflichtete. Die Theaterleitung hatte aber hineingeschrieben, daß 2.456,20 DM im Honorar „enthalten“ sei. Dann hatte sie aber nicht diese abgezogen, sondern mehr als 7000 Mark Einkommens - und Umsatzsteuer. Deren Einbehaltung erstaunte den Anwalt ebenso wie seinen Klienten.

Garfein hatte Tobias Richter als einen Partner kennengelernt, der erst wolkige Zusagen macht, deren Nichteinhaltung er durch Nichtinformation und durch Geschäftspost von Art der Honorarabrechung krönt. Zum Beispiel: Telefonkosten könne er Garfein nicht zahlen, aber Garfein könne im Theater gratis telefonieren.

Ergebnis: 531 Mark Honorarabzug für Telefonieren im Theater. Oder: Der Werkvertrag, den Garfein schon in Paris unterzeichnet hatte, wurde ihm in Bremen wiederum zur Unterschrift vorgelegt. Allerdings mit genau der Klausel, die Garfein gerade nicht hatte unterschreiben wollen und nicht unterschrieben hatte: daß der Anspruch auf Honorar erlischt, wenn der Regisseur vor Ablieferung seiner Arbeit bei der Premiere krank wird. „He is a lyer“, sagt Garfein von Richter, der ihm die klammheimliche Vertragsrevision mit der Behauptung schmackhaft zu machen versucht habe, in Deutschland hätten sich inzwischen die entsprechenden Gesetze geändert. Wovon auch der Anwalt nichts wußte.

Der schönste Posten ist aber entschieden der von 39.99 für „Rechnung WK für Zimmersuche“. Garfein hatte sich sein Hotelzimmer selber suchen müssen, als er in Bremen ankam. Hatte

auch die 400 Mark zu zahlen übernommen, die es teurer war, als die 1000 Mark, die das Theater zahlen wollte. Das Bremer Theater, jährlich um die 30 Mio. teuer subventioniert, hatte den verdutzten und ziemlich berühmten Amerikaner in eine Klause geschickt, ohne Tisch und Stuhl, dafür aber mit Matrazen auf dem Fußboden und nackter Glühbirne an der Decke. Man hatte vergessen, den von einem Schauspieler verlassenen Raum zu richten; vorher hatte man vergessen, den Makler zu benachrichtigen, der auf Garfeins Inititiative ein Zimmer für ihn besorgt hatte. Zu dieser Initiative hatte er gegriffen, nachdem das Theater auf eigene Faust und mithilfe der WK-Anzeige kein Zimmer auftreiben konnte. Garfeins Erinnerung an den Generalintendanten: kein Wort des Bedauerns über diese Serie des Versagens und der Peinlichkeiten, aber 39 Mark 99 Abzug „für Zimmersuche.“

Uta Stolle