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Im Kopf die Hölle

■ „Die Haut der Zeit“ von Dambudzu Marechara

Ich tippe den ganzen Tag auf dem Cecil Square oder in den Parks von Harare. Das zu Ende gebracht, floh ich in die Bordellbars, um einen Drink zu ergattern. Wenn die Bordellbars schlossen, pflegte sich mit all meinen Besitztümern in der geballten Faust nach einem sicheren Hauseingang, einer Hecke pder Gasse zu suchen, wo ich bis zum nächsten Tag schlafen konnte.“

Wenn ein afrikanischer Autor heute so schreibt, dann muß er damit rechnen, daß die postkoloniale Kulturindustrie in Europa ihn zu einem literarischen Typus stilisiert, der irgendwo zwischen Hemingway und Dritte-Welt-Wallraff eingeordnet wird. Der rüde und zynische schwarze Macho, der mit der Schreibmaschine in den Gassen einer afrikanischen Metropole Amok läuft, das klingt zwar ein bißchen epigonal, verspricht aber Texte von einem hautgout, der Exotismus mit gehöriger Sozial- und Imperialismuskritik verbindet. Wenn dann noch die Vita des Autors stimmt (kaputte Kindheit und Jugend, politische Konflikte mit den Kolonialherren), dann steht literarischem Ruhm eigentlich nichts mehr im Wege.

Bei Dambudzo Marechera stimmt alles und nichts. 1952 im damals noch britisch besetzten Rhodesien geboren, hat er eine Kindheit erlebt, in der Gewalt und Brutalität den familiären Alltag bestimmten. In seinem ersten Buch (Haus des Hungers), das ihm 1979 im englischen Exil einen Literaturpreis eintrug, hat er davon in einer zerhackten und chaotisch-eruptiven Prosa berichtet. Die Rolle des geehrten „Literatur-Negers“, des preisgekrönten enfant terribles aus dem Busch, das den Weißen seine Anklagen effektvoll stilisiert zwischen Buchdeckeln entgegenschleudert, war dennoch seine Rolle nicht. Er kehrte 1982 nach Afrika zurück, ins unabhängige Zimbabwe, landete dort aber rasch im Abseits. Wo die kulturpolitischen Imperative eines Staates, der den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft zu betreiben beansprucht, Zustimmung und Optimismus forderten, zerrt er in den Prosastücken, den Gedichten und den dramatischen Szenen des BandesDie Haut der Zeit das „faulende Hackfleisch unter der Tischdecke der politischen Parteien“ hervor. Der „Bordellrhetorik“ offiziöser Verlautbarungen stellt er die Allgegenwart von Korruption, Geheimdienstüberwachung und zynischen Vergnügungen einer jeunesse doree gegenüber, schafft grelle Kontraste.

Es gibt bös ausleuchtende Streiflichter auf die Nachtseiten einer Unabhängigkeit, die Literatur gern als Fassadenkunst hätte. In den dramatischen Szenen, absurden Slapstick -Arrangements reduziert Marechera das handelnde Personal auf groteske Comic-Figuren, die als grelle und korrupte Arschlöcher hinter Macht, Beute und dem nächsten Fick herjagen.

Der Haß auf diese „neue“ Gesellschaft macht fast sprachlos, reduziert das Urteil auf ein universalisiertes „shit“. Das mag manche zu undifferenziert vorkommen, doch faszinieren die Texte durch die explosive Wucht, durch die Härte, mit der sie den Leser vor den Kopf stoßen. Die Wut, mit der hier postrevolutionäre Selbstzufriedenheit attackiert wird, ist Form geworden.

Mit sich selbst geht Marechera dabei nicht weniger rabiat um. Getrieben von einem manischen Mißtrauen gegen Vereinnahmung und Lüge, hat er sich allen Versuchen verweigert, ihn in den Literaturbetrtieb des Landes zu integrieren. In einer für europäische Verhältnisse ungewohnten, existenziellen Wahrhaftigkeit hat er darauf bestanden, das zu leben, was er mit Worten zu beschreiben suchte. Das Verhältnis zwischen Wort und Wirklichkeit war im kein bloß konventionelles, sondern eins, in dem Literatur Wahrheit stets aufs neue erzeugen muß. Dieser idealistische Wahrheitsanspruch wird besonders deutlich in den Gedichten des Bandes und in den autobiographischen Texten. Ein solcher Anspruch hat Marechera unter den gegebenen Umständen in eine extreme Isolation führen müssen: „Der völlige Kontaktverlust zu denen um mich herum“ ist ein wiederkehrender Befund. Eine Welt im Kipf ist hier entstanden, in der sich die Außenwelt als reine Hölle widerspiegelt. Die Omnipräsenz von Gewalt in dieser Außenwelt macht einen Begriff wie Lebens-Geschichte zur Lüge, da Leben nur als Ansammlung von Fragmenten, von Trümmern erfahren wurde. Leben, Überleben in dieser Situation war für Marechera nur noch als Schreiben möglich, das in seiner Form die Trümmerwelt abbildete. Die radikale Reduktion all seiner Lebens-Mittel auf die Schreibmaschine war die Konsequenz. Marecheras verzweifeltes Mühen um die Wirklichkeit führte ihn so immer tiefer in die Literatur.

Am 18.August 1987 ist er in Harare an einer Lungenentzündung gestorben.

Heribert Seifert

Dambudzo Marechera: „Die Haut der Zeit. Mit einem Nachwort von Al Imfeld“, 210 Seiten, Graphium Press, 29,80 DM

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