Otto Schily redet - und genießt

Der grüne Promi bestätigt nach zweitägigem Schweigen seinen Übertritt zur SPD und legt sein grünes Mandat nieder / Für ihn ein „schwieriger und schmerzhafter Prozeß des Nachdenkens“ / Realos bedauern Abgang, „keine Träne“ bei den Linken  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

Umgeben vom dichten Schwarm der Fotografen, eingehüllt ins Klicken der Kameras - Otto Schily genießt seinen Auftritt. So gelöst und breit lächelnd haben ihn die Mitglieder der grünen Bundestagsfraktion in den letzten Monaten kaum erlebt. Den gut gefüllten Saal der Bundespressekonferenz soviel Journalisten zieht manchmal nicht einmal die Bundesregierung an - nimmt er als Bestätigung seines Ranges. Wo ich bin, ist die Partei, scheint der mit viel Sinn für Symbole ausgestattete Schily noch einmal demonstrieren zu wollen. Überhaupt Bundespressekonferenz - man kann sich kaum erinnern, wann die Grünen hier das letzte Mal den Journalisten gegenübersaßen; es wird wohl nach der Wahl des grünen Fraktionsvorstands im Januar 1989 gewesen sein, als Schily eine schmerzliche Niederlage hinnehmen mußte.

Zwei Tage hat er geschwiegen, nun verliest Schily eine Erklärung, in dem er sowohl seinen Austritt aus den Grünen als auch die Niederlegung seines Mandats mitteilt. Er nennt den Wechsel zur SPD eine der „schwierigsten und schmerzhaftesten“ Entscheidungen seines Lebens. Im Zeichen der Veränderungen in Europa müsse in der Bundesrepublik „mit einer entschlossenen Reformpolitik im Sinne ökologischer Zielsetzungen begonnen werden“. Dies gelinge nur, wenn die SPD stärkste Kraft werde; dazu wolle er beitragen.

Schily bemüht einen überlegenen Gestus an diesem Ort der staatsmännischen Attitüden, aber er gerät schief. Nein, das sollte nicht der Tag der großen Abrechnung mit den Grünen werden, sagt Schily mehrfach. Er verlasse die Grünen „ohne Feindseligleit und mit dem Wunsch nach fairem Wetteifer um die bessere Politik“. Aber dann tippt er doch immer wieder einiges an, kurz nur, aber es genügt, um jene Verbitterung spüren zu lassen, die sich am Ende eines langen Entfremdungsprozesses mit dem Übertritt in die SPD auflöst.

Er grollt über die Rotation, die die Basis entmündige. Politik werde über Personen vermittelt, betont er. Er mahnt die Partei, aus der - für wen? - „schmerzhaften Trennung die Lehre zu ziehen, behutsamer umzugehen mit der Rotation als bisher“. Für ihn habe es in der Partei „immer weniger Handlungsmöglichkeit“ gegeben. Mit „Ballast“ beladen seien die „zahlreichen positiven Ansätze“ für eine Reformpolitik; Folge jener „strukturellen Schwäche“ der Grünen durch ein drittel Fudamentalisten, die „destruktive Mehrheiten“ zustandebrächten. Er nennt die Gewaltdebatte und ein unbefriedigendes Verhältnis zur Rechtsstaatlichkeit. „Schwer erträglich“ sei gewesen, was er sich habe „anhören müssen“, als er die Grünen im Frühjahr nicht regierungsfähig genannt habe und der Berliner SPD empfahl, „hart zu bleiben“ mit der Alternativen Liste bei den Essentials der Gewaltfreiheit, der Alliiertenpräsenz und der Bundesanbindung. Lediglich geduldet zu sein, sei ihm zu wenig, und „aufdrängen möchte ich mich nicht“. Ob sein Abgang bedeutet, er glaube nicht mehr an Rot-Grün, wird er gefragt. Die Grünen seien „jung und entwicklungsfähig“, antwortet Schily.

Mit Aussagen zur SPD hält er sich zurück, auch wenn es ihm schmeichelt, wenn er gefragt wird, ob er dort rechtspolitischer Sprecher oder der „ökologische Sausewind“ sein werde. Schließlich müsse er erst einmal SPD-Mitglied werden. Und die Nominierung für den bayerischen Wahlkreis München-Land sei Sache der dortigen Partei. Falls es dort nicht klappe, werde er sich auch „damit abfinden“, sagt er und fügt fast trotzig hinzu, er werde sich jedenfalls nicht langweilen. Meldungen, er ginge dann zur SPD nach Berlin, weist er als falsch zurück. Er hält sich selbstbewußt sein „gutes Renommee“ zugute, und glaubt, er werde bei der SPD eine „andere Schnittmenge“ von Wählern erreichen als bei den Grünen repräsentiert seien.

Abgang Schily: hinter ihm viel Schelte, wenig Bedauern. Nur den Realos tut Schilys Wechsel leid. Sie sprechen mit Hinweis auf die Rotationsregelung von einem drohenden „Selbstenthauptungsschlag“. Aufatmen bei den Linken. „Keine Träne“ werde Schily nachgeweint, erklärte die Bundesvorständlerin Verena Krieger. Schily habe sich zunehmend von grünen Prinzipien „abgewendet und mehrfach parteischädigend verhalten“. Er verlasse die Grünen, weil die von ihm betriebene Rechtsentwicklung nicht weit genug gegangen sei. Seine Bekanntheit habe den Grünen „sicherlich viel genützt“, er habe diese aber für eine „erpresserische Haltung gegenüber der Partei mißbraucht“. Fraktionssprecher Helmut Lippelt beklagt, Schily habe den Boden grünen Selbstverständnisses verlassen. Aus finanziellen Überlegungen verteidige er stattdessen „Europas größten Rüstungsschieber und Berlins größten Bauspekulanten“. Auch der Abgeordnete Ludger Volmer, Sprecher des „Linken Forums“ bezichtigt Schily, er habe die Zerschlagung des „linken emanzipatorischen Charakters des grünen Projekts“ betrieben. Für die SPD läge sein „Gebrauchswert“ nun darin, zum „Kronzeugen gegen seine alten Freunde“ zu werden.