MARCIA PALLY

■ Short Stories from America: 'Der Kinder Gentler America Watch–

Watch‘

Die New Yorker Journalistin Marcia Pally ist eine in Amerika beliebte Feministin und zugleich Chefkritikerin von 'Penthouse‘. Sie schreibt unter anderem für 'The Village Voice‘, 'The Nation‘, 'Taxi‘ und die 'New York Times‘. Und einmal im Monat in der taz, was die Europäer über den großen Bruder wissen sollten.

Es gibt eine neue Zeitschrift, die ich sehr schätze: den 'Kinder Gentler America Watch‘ (benannt nach dem „freundlicheren, gütigeren Amerika“, für das zu arbeiten Bush in seiner Antrittsrede versprach). Er ist ironischer als der 'Helsinki Watch‘ und hat bessere Karikaturen als der 'Americas Watch'; ich werde meinen Freunden zu Weihnachten Abos schenken. Wo sonst würde man einen so ausführlichen Bericht über den methodistischen Pastor Lincoln Justice finden, der sich nach 32 Jahren von seiner Frau scheiden lassen mußte, damit sie das Recht auf öffentliche medizinische Hausbetreuung beanspruchen konnte - Mrs. Justice ist seit einem Autounfall vor zehn Jahren gelähmt und braucht diese Betreuung.

„Durch die Scheidung wird ihr Vermögen heruntergestuft“, erklärt Mrs. Justice‘ Rechtsanwalt, „sie hat Anspruch auf medizinische Versorgung, und die Justice‘ entgehen dem Ruin.“ Trotz der Scheidung wird Mrs. Justice allerdings auf einige Begünstigungen verzichten müssen, die ihr in einem Heim zustehen würden. Die Scheidung der Justice‘ wurde mit Freunden und Familie in der Trinity United Methodist Church gefeiert. Der 'Kinder Gentler America Watch‘ sendet seine besten Wünsche und gibt seiner Hoffnung Ausdruck, daß ihr Leben in Scheidung mit mehr Liebe und Verständnis gesegnet sein möge als zum Beispiel das Leben der geschiedenen Mrs. Carla Parrillo aus Providence, Rhode Island.

Mrs. Parrillo, Mutter von drei Kindern, hat einen neuen Lebenspartner. Das ist dummerweise auch den örtlichen Behörden aufgefallen, die Mrs. Parrillos Freund sogleich Hausverbot bei seiner Freundin erteilt hat. Ein Richter verfügte, daß die ständige Anwesenheit von Mrs. Parrillos Freund in ihrem Heim keineswegs als Zeichen für seine Sympathie zur Familie zu deuten sei, sondern die Kinder traumatisieren müsse. Das Hausverbot gilt nicht für Mrs. Parrillos Ex ehemann.

Die Reporter des 'Kinder Gentler America Watch‘ haben auch die Senatsdebatte um das new day care bill verfolgt: 3,5 Milliarden Dollar an Bundesgeldern sollen künftig für die Betreuung bedürftiger Kinder ausgegeben werden - ein Betrag, der von den benötigten 75 Milliarden noch ziemlich weit entfernt ist (diese Summe ist von einem republikanischen Senator errechnet worden, wir können also sicher sein, daß sie nicht übertrieben ist). Von republikanischer Seite gab es Einwände gegen das Gesetz, weil es Gesundheits- und Sicherheitsstandards für die staatlich betreuten Kinder festlegt. Der demokratische Senator Christopher Dodd aus Connecticut, ein Unterstützer des Gesetzes, bewies in seiner Argumentation eine besondere Sensibilität für die Jugend der Nation: „Bei unseren Autos und Häusern gibt es schließlich auch staatliche Normen, warum sollten wir unsere Kinder schlechter behandeln?“

'Kinder Gentler...‘ berichtete auch über Bushs Veto gegen die Unterstützung von Abtreibung mit Bundesgeldern, selbst in Fällen von Vergewaltigung oder Inzest. Die scharfsinnigen Statistiker der Zeitschrift wiesen nach, daß dieses Veto mehr Kinder in weniger Kinderheimen zur Folge haben wird. Eine Gerichtsentscheidung in Florida begünstigt diesen Trend: Der Richter Dan Rasmussen verweigerte einer schwangeren Frau ein paar Tage Aufschub für ihre anstehende sechzigtägige Gefängnisstrafe wegen Alkohols am Steuer. Die Frau hätte den Aufschub gebraucht, um abtreiben zu können nach der Gefängnisstrafe wäre die Dreimonatsfrist vorüber und eine Abtreibung viel gefährlicher. Obwohl Abtreibung legal ist und die Staatsanwaltschaft in den Aufschub einwilligte, hielt der Richter an seiner Weigerung fest und schickte die Frau ins Gefängnis. Ihre ursprüngliche Strafe hatte übrigens auf fünfzig Stunden Gemeindearbeit und 475 Dollar Geldbuße und Gerichtskosten gelautet. Die Gemeindearbeit hatte sie schon abgeleistet. Zum Gefängnis wurde sie nur verurteilt, weil sie das Geld noch nicht ganz bezahlt hatte. Ihr einziges Einkommen bezieht sie aus einem Halbtagsjob in einer Kneipe.

Eine andere Recherche von 'Kinder Gentler...‘: Übernimmt künftig die U.S. Army die Betreuung von Kindern, die von der Bush-Administration so vernachlässigt wird? Es gibt Präzedenzfälle. Als die Army zum Beispiel vom Fall des achtjährigen Chris Riley erfuhr, der davon träumte, Soldat zu werden, schickte sie ihm eine vierköpfige Ehrenwache ins Krankenhauszimmer, wo der kleine Chris gerade an Krebs starb. Außerdem ließ ihm die Army einen Einberufungsbescheid und einen Teddybären in Tarnuniform zukommen.

Andere Institutionen, so der 'Kinder Gentler...‘, sind weniger kinderlieb. Das Department of Corrections der New Yorker Polizei machte es seinen schwangeren Angestellten bis vor kurzem zur Pflicht abzutreiben. Sonst drohte die Entlassung. Die Polizei betrachtete das offensichtlich als eine Methode der Personalkosteneinsparung. „Entweder du gehst nach Hause und lebst auf Stütze, oder du treibst ab“, sagte ein Vorgesetzter zur Polizistin April Buxton. Frauen, die sich weigerten abzutreiben, bekamen Drecksarbeiten: Wachehalten auf den Gefängnistürmen bei Schneesturm, Betreuung psychisch gestörter und gewalttätiger Häftlinge usw. Vor einem Monat haben ein paar Frauen Alarm geblasen. Das Department of Corrections hat sich entschuldigt.

Der 'Kinder Gentler America Watch‘ verteilt auch Preise. Der Polonius Award dieses Monats geht an Sonny Carson, ein Mitarbeiter bei David Dinkins‘ Wahlkampagne zur New Yorker Bürgermeisterwahl, der allerdings gefeuert wurde. Auf den Vorwurf des Antisemitismus hatte Carson geantwortet: „Ich bin anti-weiß, warum sollte ich mich auf eine so kleine Gruppe beschränken?“ Der Marie Antoinette Award geht an den Richter aus Los Angeles, der Zsa Zsa Gabor zu drei Tagen in einer Penthouse-Gefängniszelle verurteilte. Frau Gabor hatte einen Polizisten geohrfeigt, der sie darauf aufmerksam machen wollte, daß ihr Rolls Royce kein gültiges Kennzeichen hatte. Den Gefängnisanzug, den Bob Mackie eigens für sie entworfen hat („mit vielen Streifen, Darling“), darf Frau Gabor allerdings nicht tragen. Frau Gabor verkauft ein 60 -minütiges Video über ihren Fall, Kostenpunkt: 9,95 Dollar. Wenn Sie Ihr Geld für einen besseren Zweck ausgeben wollen, schicken Sie es einfach an mich, für ein Abo des 'Kinder Gentler America Watch‘.