Weg mit den Chemiewaffen! Nur wohin?

Expertenpodium im pfälzischen Fischbach warnt vor einem Giftgas-GAU bei der Vernichtung der Chemiewaffen / Bürgerinitiativen fordern Risikostudie über die Art der Beseitigung: Abtransport oder Vorortverbrennung? / Katastrophenschutz völlig überfordert  ■  Von Joachim Weidemann

Pirmasens (taz) - „Wir waren bislang zu blauäugig, wenn es um den Abzug von C-Waffen ging. Unsere Katastrophenschutzpläne sind nichts als Telefonbücher.“ Professor Ernst Achilles, der diese düstere Bilanz zieht, ist Sachverständiger für Brandschutz in Frankfurt. Er hält nichts von „detailierten Katastrophen-Szenarien“, weil sie in Wirklichkeit nichts taugen. Schon gar nicht im Falle eines „größten anzunehmenden Unfalls“ (GAU) beim Abtransport und der Vernichtung der C-Waffen aus dem US-Giftgasdepot in Fischbach bei Pirmasens. Am Samstag diskutierten Achilles und andere Experten mit Bürgern in Pirmasens über Gefahren der Giftgasbeseitigung. Einstimmiges Votum: Es gibt keine „absolut sichere Methode der Vernichtung“ der C-Waffen; sowohl Abtransport, als auch Verbrennung vor Ort bergen unabschätzbare Risiken für Mensch und Umwelt. Und weiter: Wenn es bei Abzug oder Vernichtung zu einem „Giftgas-GAU“ kommt, dann ist der Katastrophenschutz völlig überfordert.

Das machten die Experten anhand des Abtransports auf der Schiene deutlich. Professor Achilles: „Es ist falsch zu glauben, die Schiene sei sicherer als die Straße.“ Die Bundesbahn habe ihre Verantwortung für Gefahrenguttransporte auf die Kommunen abgewälzt. Die jedoch wüßten gar nicht, wann ein solcher Zug ihr Gebiet durchquert. Man gewähre ihnen nicht einmal einen Anspruch auf Information. Wirksame Vorkehrungen könne es so nicht geben. Der Feuerwehr -Professor weiter: „Vielleicht wären Berufsfeuerwehren in Ballungsgebieten einem Bahnunfall noch gewachsen. Auf dem flachen Land aber sind die Freiwilligen Feuerwehren dazu viel zu unerfahren und schlecht ausgerüstet.“

Der Münchner Toxikologe Professor Thomas Zilker konstatiert eine verheerende Situation auch für die Medizin: „Wenn es zu einem Unfall käme, wären wir absolut unfähig, darauf zu reagieren.“ Der Mediziner, der zwei Jahre lang Giftgasopfer im Iran behandelte, erläuterte, daß für Menschen im „Umkreis von 20 bis 30 Kilometern“ jede Hilfe zu spät käme. Auch in den Randgebieten des GAU-Herdes sei die Lage aussichtslos. Zilker: „Es gibt in der BRD nur 17 Giftnotrufzentralen. Lediglich drei davon - in München, Mainz und Berlin - können auch behandeln, der Rest berät nur. Wir sind in dieser Sache ein Entwicklungsland. Es gibt nur rund 100 Ärzte, die ich als erfahren bezeichnen würde.“ Zilkers Kollege Ostheim vom Ökologischen Ärztebund fügte resigniert hinzu: „In Süddeutschland liegen bei Ärzten und Gesundheitsämtern die Kenntnisse über Vergiftungen nahe bei Null. Eine Entgiftungszentrale hatte sogar überhaupt keine Kenntnisse über Vergiftungen mit Kampfstoffen.“ In einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, aus dem der unterlegene Fischbach -Kläger Julius Lehlbach (DGB) zitierte, heißt es dagegen lapidar: „Lagerung und Transport von Giftgas sind angesichts des hohen Sicherheitsstandards mit den Rechten der Bürger vereinbar“.

Die Bürgerinitiativen der Westpfalz indes fühlen sich um ihre Rechte betrogen. Wie in den USA üblich, wollen sie diese Mitwirkungsrechte nun einfordern - mit ihrem „Pfälzer Bürgerappell gegen den Giftgastod“, den sie am Samstag verfaßten und an die US-, die Bundes- und die Landesregierung richteten. Von Washington, Bonn und Mainz verlangen die BIs, „die Geheimhaltungspolitik zur Lagerung und Vernichtung der C-Waffen sofort aufzugeben“ und „Informations-, Mitsprache- und Mitwirkungsrechte der Bevölkerung umfassend zu gewährleisten“. Eine unabhängige Gruppe von Experten und Betroffenen soll Zutritt zu dem oder den Lager(n) bekommen. Dem C-Waffen-Abzug müsse eine „vergleichende Risikostudie“ sowie eine „öffentliche Erörterung“ vorausgehen. Dabei soll die „gefahrenärmste“ Methode der Vernichtung des Giftgases ermittelt werden.

Dem Pressestab des Verteidigungsministeriums zufolge plant Bonn derzeit, die C-Waffen von Fischbach per Bahn nach Nordenham abzuziehen, um sie per Schiff in die USA zu verfrachten. Dies erscheint vorerst zu riskant: Fischbach selber hat keinen Gleisanschluß. Das Giftgas, dessen geschätzte Menge zwischen 435 und 4.000 Tonnen schwankt, müßte deshalb dreimal verladen werden: zuerst auf LKWs, dann auf Sonderwagons der Bahn und in Nordenham auf einen oder mehrere Frachter. Eine Studie des US -Verteidigungsministeriums aus dem Jahre 1988 stellt solche Transportwege infrage. Sie kommt zum Schluß: derartige Transportwege seien um ein Vielfaches riskanter als die Verbrennung vor Ort. Deshalb errichtete das Pentagon an allen acht Lagerorten in den USA Hochdrucköfen, in denen US -Gas verbrannt wird.

Genau dies sehen viele Mitglieder der westpfälzischen BIs in Fischbach auf sich zukommen. Horst Kowarek von der Friedensinitiative Westpfalz seufzt: „Das gibt einen Aufschrei, falls die Risikostudie einer Verbrennung vor Ort den Vorrang gibt.“ Und Kowarek Mitstreiterin Hannelore Höbel hegt den Verdacht: „Wenn die uns hier eine Verbrennungsanlage hinstellen wie in den USA, dann würde die Anlage auch nach Beseitigung des Fischbacher Giftgases in Betrieb bleiben. Vielleicht für Giftgas aus anderen Depots, das hierher transportiert würde. Dann haben wir beide Risiken zu tragen: das der Verbrennung und das des Transports.“