Metropolendämmerung?

■ Zu aktuellen Entwicklungen in der Frankfurter Kulturpolitik

Reinhard Mohr

In Zeiten der Unsicherheit wächst das Bedürfnis nach Klarheit. „Ich bin Sozialdemokratin. Ich bin für veränderte Ladenschlußzeiten. Ich mag Wolkenkratzer. Ich bin für mehr Aufmüpfigkeit, Reibungsflächen, Streitkultur. Ich bin für Öffentlichkeit. Ich bin für die Stadt und gegen Provinzialität“ - der Reigen der Bekenntnisse zur Kultur der Metropole, zum urbanen Kosmopolitismus und seinen fruchtbaren Spannungen läßt sich beliebig fortsetzen. Er gehört längst zum guten Ton, zur „Corporate Identity“, des halbaufgeklärten Großstadtmenschen zwischen Hamburg und München, der den Anschluß nicht verpassen will. Auch die Sozialdemokratin Linda Reisch zögert nicht, die Stadt als „Experimentierlabor“, Ort der „Osmose zwischen gesellschaftlichen Gruppen“ und - mit Habermas und Mitscherlich - „erhoffte Totalität des gelungenen Lebens“ zu bezeichnen. Kein Wort ist zu groß, um nicht seinen Beitrag zur Stützung der urbanen Identität im Zeitalter globaler Sinnkrise zu leisten.

Da konnten auch die Frankfurter Sozialdemokraten, die ihre neue Sympathie für Wolkenkratzer immer wieder tapfer beweisen, nicht zurückstehen. Am kommenden Wochenende wird der Unterbezirksparteitag im Bürgerhaus Frankfurt-Harheim die 39jährige Geschäftsführerin des „Kulturforums der Sozialdemokratie“ in Bonn, Linda Reisch, als Nachfolgerin des im nächsten Frühjahr aus dem Amt scheidenden Himlar Hoffmann zur neuen Kulturdezernentin der Stadt küren. Das Votum gilt als sicher, nachdem die von Oberbürgermeister Volker Hauff (SPD) favorisierte Kandidatin den Härtetest vor der SPD-Fraktion im Stadtparlament, wo sie offiziell gewählt werden muß, bestanden hat.

Linda Reisch war und ist bis zur förmlichen, aber nun bedeutungslos gewordenen öffentlichen Ausschreibung des Amtes die einzige ernsthafte Bewerberin für den Magistratsposten, auf dem der größte städtische Kulturetat der Bundesrepublik verwaltet wird: mehr als eine halbe Milliarde Mark pro Jahr. Nachdem Hauff im Sommer verlauten ließ, Linda Reisch sei seine Kandidatin, zogen nicht nur Lokalgrößen wie der Vorsitzende des Kulturausschusses im Römer, der von Kunst so viel versteht wie Margot Honecker von der Freiheit, ihre Ansprüche zurück; auch Interessenten außerhalb Frankfurts konnten sich keine realistischen Chancen ausrechnen. Weder SPD noch Grüne machten sich auf die Suche nach Alternativen. Trotz mehrfacher Anmahnungen eines öffentlichen Diskurses über diese nicht nur für Frankfurt wichtige Entscheidung - in der 'FAZ‘ und von Elisabeth Kiderlen im 'Pflasterstrand‘ - blieb die „urbane Streitkultur“ in den Hinterzimmern stecken. Die Inthronisierung nach Plan wird im nachhinein auch von den Grünen bedauert. Doch werden sie Linda Reisch ihre Stimmen nicht versagen. Die politischen Claims sind sauber abgesteckt: Kultur gehört den Sozialdemokraten. Teil der aparten rot-grünen Gemeinsamkeiten auf Treppen und Gängen ist auch das Kalkül mit der vermeintlichen Schwäche der neuen Kulturreferentin: ihre Beeinflußbarkeit. Volker Hauff hat die Kulturpolitik ganz offen zur „Chefsache“ erklärt, die Grünen setzen auf ihre Kompetenz in Sachen subversive Kreativität; die allerdings wurde schon im Koalitionsprogramm vermißt, wo man über die Absichtserklärung, Kulturpolitik „als Teil einer Politik der Aufklärung“ (die selbstredend „dem Diskurs verpflichtet ist“) zu betreiben, nicht hinauskam.

Die Entscheidung über die Zukunft der Frankfurter Kulturpolitik fällt in einem Augenblick, da die ständige Expansion an einem „Wendepunkt“ (Peter Iden) angekommen ist. Hilmar Hoffmann, seit 1970 unter wechselnden politischen Mehrheiten im Amt, Praktiker seiner eigenen „Kultur für alle„-Theorie, beschrieb im Jahre 1982 den letzten „Paradigmawechsel in der Kulturpolitik“: „Ende der sechziger Jahre wollten wir mit Kunst und Kultur vordringlich noch 'etwas bewirken‘. Die Künste wurden daraufhin abgeklopft, welchen konkreten Beitrag sie zu Politisierung und Emanzipation stiften konnten. Quasi unter der Hand hat sich Kultur inzwischen zum allgemein akzeptierten Trend entwickelt, der nicht mehr das 'Bewirken‘ in den Vordergrund stellt, sondern Kultur als Ferment des Lebens.“ Ein „alle Felder übergreifender Konsens“ (Hoffmann) hat aus der aufklärerisch intendierten „Kultur für alle“ eine Kultur für alles gemacht. Gerade die erfolgreiche Politisierung der Kultur durch Hilmar Hoffmann, der 1971 das erste Kommunale Kino der Bundesrepublik gründete, 1973 Rainer Werner Fassbinder zum Leiter des „Theaters am Turm“ machte, das aufwendige Museumsufer realisierte und die Frankfurter Festivalitis in der Alten Oper wie in der Off-Szene initiierte, hat die Tendenz zur Kulturalisierung der Politik beschleunigt. Ehemals Stiefkind, ist Kulturpolitik heute der wichtigste Teil des Stadtmarketing, Wirtschaftsfaktor und Standortvorteil in einem, sichtbarstes Zeichen populärer Kommunalpolitik. Kultur ist gleichzeitig Seismograph für Marketing-Entscheidungen internationaler Nahrungsmittelkonzerne und sinnstiftende Kompensation der politischen Ohnmacht des Einzelnen. Sie ist profilschärfend, identitätsstiftend, erlebnisfördernd, kommunikativ, anregend, urban, öffentlich, intensiv und bewußtseinssteigernd, intellektuell, geistreich, ästhetisch, anspruchsvoll - Kultur ist die Hefe jenes „Hyperrealen“, das der französische Philosoph Jean Baudrillard als die „Ekstase des Realen“ versteht, das „in der Ähnlichkeit zu sich selber erstarrt ist: es hat das Imaginäre gestrichen“.

In dieser grenzenlosen Indifferenz sind selbst die radikalsten Widersprüche im glitzernden Kristall vereint: durchsichtig und erstarrt. Der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, glänzender Repräsentant des bundesdeutschen Kapitals, fühlte sich angesprochen und zitierte im Oktober 1989 in einem Vortrag vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung in Düsseldorf seinerseits Baudrillard und dessen Simulationstheorie. Das „Hyperreale“, die „permanente Hoschform der Medienwirklichkeit“ sei eben nicht wirklich, sondern Teil „simulierter Realitätsgewißheit“, deren Apodiktik selbst „bescheidenes Hinterfragen“ nicht mehr zulasse. Da mag er etwas falsch verstanden haben, denn die wirkliche Wirklichkeit kann es nicht geben. Aber daß ein mächtiger Zauberer der Simulationsgesellschaft das Fehlen eines wahrhaftigen Dialogs beklagt, könnte Zeichen eines Wendepunkts, eines weiteren Paradigmawechsels sein.

Noch aber herrscht jene anachronistische Simulationsrhetorik vor, die ihre historische Zeitgenossenschaft desto mehr verfehlt, je gnadenloser sie dem Geist der Zeit auf den Versen zu sein glaubt. Der 'Neue Pflasterstrand‘ etwa, der als „das Frankfurter Journal“ unter Chefredakteur Matthias Morx vier Tage vor Heiligabend Premiere feiern wird, kündigt sich selbst als jenes Nichts an, dessen „hoher Gestaltungsstandard der 80er“ zusammen mit den „Inhalten einer mehr am Klassischen orientierten Moderne“ das „Grundkapital eines Metropolenmagazins mit Vorbildfunktion“ bilden wird. Vom Lesen als „Leseerlebnis“ über die „Bewußtseinsveränderungen“ in der „heutigen urbanen Entwicklung“ bis zum „ruhigen, souveränen Erscheinungsbild“ einer Kleinanzeige wird weiter nichts mitgeteilt als dies: „Auf jeden Fall wird es professionell hergehen.“

Das „Geschwätz der Halbwert-Poeten und Teilzeitgeister, der Experten für Ästhetik, Kommunikation und Gastronomie wird immer schneller werden“, befrüchtet Mathias Greffrath in der 'Zeit‘, nachdem ihm ein vorläufiges Konzeptpapier zur beabsichtigen Gründung einer Frankfurter „Akademie der Künste“ in die Hände gefallen war. Inzwischen zirkulieren unter Eingeweihten - also wieder typisch urbane Streitkultur - andere, fortgeschrittenere Papiere, doch die Gefahr eines „Operettenhauses der Geisteswissenschaften“ mit einem „auf Dauer gestellten Gerede über Ethik und Ästhetik, Untergang und Übergang“ (Greffrath) ist damit nicht gebannt. Der „Diskurs über Zukunft und Fortschritt“ (rot-grüne Koalitionsvereinbarung) bimmelt und klimpert an vielen Orten in Frankfurt. Aber man findet ihn nicht. Statt dessen wird eifrig in die Zukunft investiert.

Um „den Ruf der Stadt zu festigen, deutlich zu machen, in der Stadt ist was los, da ist Spannung“, holte Oberbürgermeister Hauff höchstpersönlich das Tennis -„Masters„-Turnier von New York nach Frankfurt, das dort niemand mehr finanzieren will. Gegen London will man auf dem Börsenparkett antreten, um als „Finanzplatz“ die Nummer Eins in ganz Europa zu werden. Im Wettstreit um die Olympiade nehmen es die Frankfurter Metropolenmacher furchtlos mit dem wiedererstarkten Berlin und dem Rest der Welt auf.

Ein Meilenstein auf dem Weg zur „Mode-Metropole Frankfurt“ (Wirtschaftsdezernent von Schoeler) war eine exquisite Kleiderschau unter freiem Himmel mit der weltrekordverdächtigen Länge des Laufstegs von 240 Metern. Einen ähnlich aufschlußreichen Rekord stellte die Frankfurter Redaktion des ARD-Kulturmagazins Titel Thesen Temperamente auf. Ihr gelang es im Laufe einer fast zweieinhalbstündigen Live-Sendung zum Abschluß der Frankfurter Buchmesse, auch nur den geringsten Eindruck zu vermeiden, daß es dabei etwa um Literatur gehen könnte. Der Generalmanager der Städtischen Bühnen, Schwab, folgte dem urbanen „Trend zum Entertainment“ (Eigendiagnose) und lud nach der Mozart-Premiere La Finta Giardiniera zum VIP -Empfang in den „Frankfurter Hof“, wo u.a. der Sponsor American Express bargeldlos zum Buffet lud.

Schwab, der nach dem Rücktritt des Schauspielerintendanten Rühle Morgenluft wittert, während die Suche eines Nachfolgers hinter den Kulissen läuft, hofft auf den Karrieresprung zum Supermanager und liebäugelt daher mit der Idee, das Stadttheater dichtzumachen und in eine Gastspielbühne zu verwandeln, die mit internationalen Spitzenleistungen (was sonst?) den Glanz der Metropole mehren würde. Daß ein solcher Durchbruch zur Kultur der sozialdemokratischen Mehrzweckhallen mit Bolschoi-Balett und Hamlet frisch aus Frankreich „kostengünstiger“ geriete als das gegenwärtige Theater, konnte nur mit massiver Sponsorenunterstützung gelingen - Lufthansa presents: Der fliegende Holländer, danach VIP-Empfang im Airport-Center mit Forschungsminister „Fliege“ Riesenhuber.

Viele ahnen es, manche wissen es, niemand hat ein Rezept dagegen: Im Zentrum ist die Metropole hohl. Inmitten provinzieller Seichtigkeit entfalten sich die „Räume seliger Eigentlichkeit“ (Thomas Schmid) der Mittelstandskultur, in denen die Duftnoten aus dem urbanen Diskurs-Zerstäuber immer wieder neu angemischt werden. Neue Konformität in der Vielfalt hat sich in der Metropole ausgebreitet. Streit gäbe es genug, aber die Kultur dafür fehlt. Die unglaublichen Vorgänge bei der Genehmigung mehrerer Hochhäuser durch CDU -Stadträte kurz vor Toresschluß erbittern die betroffenen Bewohner, im „urbanen Diskurs“, der in ausgesuchter Typographie die veröffentlichten Bekenntnisse der „Streitkultur“ zum ästhetischen Erlebnis werden läßt, kommen sie jedoch nicht vor.

Während Bauspekulanten und Konzernzentralen die Stadt verändern, bestätigt das Fehlen einer städteplanerisch -architektonischen Diskussion über Frankfurts Zukunft die weitgehende Ohnmacht der Politik gegenüber einer geballten Wirtschaftsmacht, die sich auch noch in den kulturvollen Bildern der „symbolischen Metropolen-Identität“ (Theatermacher Emmanuel Bohn) wiedererkennen kann. Daß Kultur heute (fast) alles ist, beweist das TAT unter der Leitung von Christoph Vitali schon seit Jahren. Mit einem riesigen Werbeetat gelingt der zweiten, großen Bühne Frankfurts zuweilen die Annäherung an das Kunststück, eine Kampagne zu entwerfen, die - wie im Falle des Batman -Films - „ohne Produkt auskommt“ (Matthias Matussek im 'Spiegel‘), jedenfalls weit besser ist als das Stück, für das geworben wird. Daß Vitali eher Totengräber als Inspirator des TAT ist, ahnen oder wissen viele. Anlaß zum öffentlichen Streit um diese wichtige Position ist es nicht

-sieht man von den gelegentlichen Attacken Peter Idens ab, der als böser Hausgeist schon zum Troß gehört.

Selbst die wenigen Ansätze, Kriterien für Kunst und Kultur in der „Metropole“ Frankfurt öffentlich zu diskutieren, versanden schnell im Repräsentationsgehabe von Status und Partialinteressen - so auch ein „Kulturzirkel“, der sich während der rot-grünen Koalitionsverhandlungen im Frühjahr informell gebildet hatte.

Aber auch die „Kulturschaffenden“ selber scheuen die Risiken wirklichen Streits. Bei einem Treffen freier Kunst und Theaterinitiativen mit dem Leiter des Kulturamts traten die Vertreter der Off-Szene wie ein Gewerkschaftsverband auf und legten ein 3,5 Millionen Mark umfassendes „Forderungspaket“ auf den Tisch. Was Beobachter erschreckte, war nicht der Ansturm auf die Kulturtöpfe, sondern der vollständige Verzicht auf substantielle Begründungen und inhaltliche Kriterien. Auch führte der kürzeste Weg zur „kreativen Frührente“ , wie später sarkastisch bemerkt wurde, über die „Metropolen„-Metapher.

Wie sehr die „Urbanität“ Frankfurts aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit herausgereinigt ist, zeigte das jüngste öffentliche Ereignis in Frankfurt: die offizielle Feier des 75jährigen Jubiläums der Goethe -Universität in der Paulskirche: weiträumige Absperrungen, Wasserwerfer, Hundertschaften der Bereitschaftspolizei, mehrfache Kontrollen. Drinnen die Honoratioren nebst Gattinnen, draußen ein paar hundert Studenten, die gegen ihren Ausschluß - und gegen die katastrophale Wohnungsnot demonstrierten. Selbst Studentenvertreter mit offizieller Einladung wurden abgewiesen. Bilder wie vor zwanzig Jahren: Die Geschichte wird von denen gefeiert, die sich - wie die traurige Figur des Universitätspräsidenten Ring - am Bild ihres gegenwärtigen Rangs in der gesellschaftlichen Hierarchie festklammern.

Ohne die Konfrontation mit der Peripherie trocknet das Zentrum aus. Die Isolierung der „Kulturgesellschaft“ von der sozialen Realität vergrößert die gesellschaftlichen Wahrnehmungsverluste. Ohne Selbstreflexion aber gibt es keine Öffentlichkeit, allenfalls massenhaften Voyeurismus. Die stets neu zu beantwortende Frage nach dem Subjekt erledigt sich nicht mit der Proklamation von Fabelwesen aus der PR-Küche - sei es der „neue Städter“ oder der gute alte „Yuppie“. Kokette Rückgriffe auf den „Citoyen“ des 19.Jahrhunderts oder auf den Benjaminschen „Flaneur“ verweisen vor allem auf die Unmöglichkeit, die eigene Existenz in der Stadt überhaupt zu definieren. Geschichtslosigkeit flüchtet ins unverstandene Zitat. Dafür ist Frankfurts Kultur der Pseudo-Metropole anfällig.

Der Wechsel an der Spitze des Kulturdezernats könnte eine Chance sein, tatsächlich einen neuen Sprung zu wagen: die Bedeutung von Kunst und Kultur in der Stadt in Frage zu stellen, der eingefahrenen Rhetorik fetischisierter Worthülsen neue Blicke auf die Wirklichkeit entgegenzusetzen - auch in Richtung Ost-Berlin, Leipzig und Dresden (Heiner Müller ist zwar häufig in Frankfurt, doch von hier aus blickt man lieber nach Chicago und New York, um Weltniveau unter Beweis zu stellen).

„Ich habe kaum mehr als zwei Jahre bis zum nächsten Wahlkampf, das ist eine verdammt kurze Zeit“, sagt Linda Reisch im Gespräch mit der taz. Am Vorabend hat sie der SPD -Fraktion zwei Stunden lang ihr Konzept erläutert, doch vor ihrer offiziellen Nominierung bleibt es als „internes Papier“ unter Verschluß. Jederzeit hätte sie sich anderen Bewerbern um das Amt gestellt; für diese zu sorgen, sei freilich nicht ihre Aufgabe.

Die sieht sie in der Organisierung eines umfassenden Diskurses über die Frage, wie Frankfurt im Jahr 2110 aussehen könnte - vielleicht mit Hilfe einer Ausstellung über die Geschichte der Stadtplanung und -entwicklung in Paris, London und Rom, die als Grundlage einer öffentlichen Debatte von Stadtplanern und Architekten dienen könnte. Auch über die Zukunft des Handelsplatzes Frankfurt im Zeitalter rapider Veränderungen in ganz Europa möchte sie die Diskussion eröffnen. Eine „neue Gründerzeit“ hat die in Bonn lebende Berlinerin Linda Reisch jedenfalls in ihrer neuen Wahlheimat Frankfurt ausgemacht, dort, wo neben Berlin und Hamburg „die spannendsten Entwicklungen stattfinden“.

Wie all die Diskurse und „Durchmischungen“ der Szenen und des Milieus, die Auseinandersetzungen mit „dem Fremden“ und die öffentliche „Streitkultur“ zustande zu bringen sind, weiß sie jedoch selbst noch nicht. Während die rot-grüne Stadtverwaltung „in Problemen ersäuft“ und „Visionen darunter begraben zu werden drohen“, liegt vor ihr die Aufgabe, „die insgesamt heruntergewirtschaftete Theaterszene in Frankfurt“ zu restrukturieren. Vehement wendet sie sich gegen die „abwegige Idee“, Frankfurt zur Durchreisestation internationaler Schauspieltruppen zu machen. „Ein festes Stadttheater-Ensemble ist nötig, um dem Kulturkonsum eine eigenständige künstlerische Produktion entgegenzusetzen.“ Sie selbst muß sich gegen den Apparat des Kulturdezernats durchsetzen - es könnte der Anfang einer wirklichen Streitkultur in Frankfurt sein, die sich jenseits wohlfeiler Bekenntnisse gesellschaftliches Terrain zurückerobert. Gegen das brodelnde Berlin wird die „Mainmetropole“ allerdings einen schweren Stand haben.