„Wir werden nicht die Munition bezahlen...“

Beit Sahur in der Westbank war sechs Wochen ununterbrochen militärisches Sperrgebiet / Der Steuerstreik der Intifada soll gebrochen werden / Israelische Steuerfahnder statuieren ein Exempel / Konfiszierung von Hausrat und Maschinen / Die Betroffenen fordern: „No taxation without representation!“  ■  Von Henryk M. Broder

Huda M., 35 Jahre alt, Mutter von drei Kindern, steht inmitten ihres leeren Wohnzimmers und erinnert sich: „Das war unser Salon, wir hatten neun schwere Polsterstühle, einige Kaffeetische, da in der Ecke stand das Fernsehgerät.“ Jetzt befinden sich die Möbel und der Fernseher irgendwo in Israel, in einer Lagerhalle, konfisziert von der Steuerbehörde wegen ausstehender Steuerschulden. Hudas Mann, Michael, wurde verhaftet, er sitzt seit 17 Tagen im Gefängnis. Aus seinem Geschäft wurden über 1.000 Resopalplatten abtransportiert. „Wir sollten 3.000 Dollar an Steuern bezahlen“, sagt Huda, „aber die Sachen, die sie uns weggenommen haben, sind zehn Mal soviel wert.“

Salim F., 46 Jahre alt, drei Kinder, hat bis vor vier Wochen noch eine eigene Schreinerei besessen und Möbel hergestellt. Eine Tischsäge zum Zuschneiden von Holzplatten ist alles, was ihm geblieben ist. „Die war zu groß und zu schwer, um verladen zu werden. Alles andere haben sie mitgenommen.“ Wo vor kurzem noch die Maschinen standen, ragen jetzt Anschlußkabel in die Luft. „Ich habe nie einen Steuerbescheid bekommen“, sagt Salim. Seine Maschinen waren 35.000 Dollar wert.

Nabil B., 33 Jahre alt, zwei Kinder, hat seine Schreinerwerkstatt erst vor sechs Jahren aufgemacht. Er wurde von den Inspektoren der Mehrwertsteuer heimgesucht. Sie nahmen alles mit, was sich mitnehmen ließ, drei große Maschinen, drei kleine, Werkzeug, Kleinkram. Eine detaillierte Liste, die ihm als Beleg gelassen wurde, umfaßt 50 Positionen. „Als sie fertig waren, sagte ich ihnen: 'Laßt doch was übrig für die Leute von der Einkommensteuer‘. Darauf sagten sie: 'Die kommen zu dir nach Hause‘.“

Jamil G., 46 Jahre, fünf Kinder, ist ein richtiger Unternehmer. Er beschäftigt 40 Leute, die an 14 Maschinen Hemden, Jacken und Hosen zusammennähen, für eine Firma in Israel, die die Kleider nach Europa exportiert. So aufgeräumt war seine „Fabrik“ noch nie - alle 14 Nähmaschinen wurden konfisziert. Zurück blieben nur die farbigen Garnspulen und ein paar Plastiktüten mit den Marken -Labels. Jamils ältester Sohn, Amjad, posiert im leeren Raum: „Golf, Avanti, C&A - alles Made in Beit Sahur!“

Die Apotheke von Elias R. war das erste Geschäft in Beit Sahur, das von der Steuerfahndung geplündert wurde. Elias‘ Mutter, Emily, zeigt auf die leeren Vitrinen und sagt: „Sie haben alle unsere Vorräte mitgenommen, Medikamente im Wert von über 100.000 Dollar. Es stimmt, wir haben seit Beginn der Intifada keine Steuern bezahlt, weil wir mit unserem Geld nicht die Besatzung finanzieren wollen.“ Elias war 18 Tage im Gefängnis, letzte Woche kamen die Fahnder wieder und holten aus seiner Wohnung Möbel, die Waschmaschine und einen Computer. „Nachdem sie die Sachen verladen hatten, sagten sie: 'Du kannst von Glück reden, daß du in einem demokratischen Land lebst...'“

42 Tage Belagerungszustand

Als sollte Emilys Worten besonderer Nachdruck verliehen werden, betritt just in diesem Moment ein israelischer Soldat die Apotheke und bittet uns nach draußen. Aus einer Uniformtasche holt er einen Zettel heraus, entfaltet den und hält ihn uns vor die Nase. Beit Sahur ist soeben vom Militärgouverneur in Bethlehem zum militärischen Sperrgebiet erklärt worden, off limits für Ortsfremde und Journalisten. Wir werden höflich, aber entschieden aufgefordert, die Stadt sofort zu verlassen. Ein Armee-Jeep eskortiert uns bis an die Stadtgrenze.

Nicht nur der Apotheker Elias R. kann froh sein, daß er in einer Demokratie lebt. Wir auch. Immerhin hatten wir die Gelegenheit, uns in Beit Sahur umzusehen. Sechs Wochen lang, vom 20.September bis zum 31.Oktober, war die Stadt von der Umwelt abgeriegelt, die Telefonleitungen waren gekappt worden, zur Nachtzeit galt ein Ausgehverbot, tagsüber zwischendurch auch. Nach 42 Tagen wurde der Belagerungszustand aufgehoben, um knapp 24 Stunden später, vorübergehend, wieder in Kraft gesetzt zu werden. Dabei hatte der Armeesprecher in einem Kommunique gerade erst verkündet, mit dem Abschluß der Steueraktion sei auch die Sperre wieder aufgehoben worden. Man habe 398 Steuerschuldner besucht, Waren im Werte von drei Millionen Schekel (1,5 Millionen Dollar) konfisziert, darunter auch 33 Autos, 40 Einwohner seien verhaftet und vier bereits verurteilt worden - zu jeweils sechs Monaten Gefängnis oder ersatzweise 6.000 Schekel Geldstrafe. „Die Steuerrevolte in Beit Sahur ist liquidiert worden“, sagte der Leiter der „Zivilverwaltung“ in den besetzten Gebieten, Brigadier Shaike Erez, die Aktion habe alle vorgegebenen Ziele erreicht. „Wir hoffen, daß andere dem Beispiel von Beit Sahur nicht folgen werden...“

„Beit Sahur ist eine ideologische Festung“

„Beit Sahur ist ziemlich einzigartig, es ist nicht typisch für die Westbank“, sagt ein Kirchenmann aus Jerusalem. „Die Stadt ist wohlhabend, es gibt also einiges zu konfiszieren, und sie liegt günstig, man kann sie leicht von allen Seiten absperren.“ Rund 12.000 Menschen leben in Beit Sahur, dreiviertel davon sind Christen, die Mehrheit von ihnen ist griechisch-orthodox. Unter den Palästinensern gilt Beit Sahur als „das Hongkong der Westbank“, nicht nur wegen des relativ hohen Lebensstandards, der sich schon im Erscheinungsbild der Stadt dokumentiert. Hier gibt es auch die größte Konzentration von Palästinensern mit Hochschulabschlüssen. Beit Sahur versorgt die Westbank mit Lehrern, Ärzten und Sozialarbeitern, das durchschnittliche Bildungsniveau ist erheblich höher als im Rest der besetzten Gebiete. Spricht man jemanden auf der Straße auf englisch oder französisch an, kann man fast immer sicher sein, eine Antwort zu bekommen.

Seit Beginn der Intifada gab es in Beit Sahur relativ wenig Zusammenstöße mit der Armee, zugleich entwickelten die Bewohner die unterschiedlichsten Formen passiven zivilen Widerstandes. Die Empfehlungen der Vereinigten Führung des Aufstandes wurden befolgt: Als die Schulen in der Westbank von den Israelis geschlossen wurden, organisierten die Einwohner von Beit Sahur privaten Unterricht für ihre Kinder - es gab dafür genug Lehrer. Um vom Handel mit und von Einfuhren aus Israel möglichst unabhängig zu werden, probierten sie eine kleine Autarkie: Sie legten Gemüsegärten in ihren Hinterhöfen an und fingen an, Hühner zu züchten. Der Mann, der diese Form des Widerstands lehrte, ein studierter Agronom, wurde von der Besatzungsmacht verhaftet und sechs Monate in „Verwaltungshaft“ gehalten.

Typisch für Beit Sahur ist, daß die Einwohner sich im Umgang mit Israelis nicht schwer tun. Aktivisten von „Peace Now!“ kommen gerne nach Beit Sahur, wenn sie Solidarität mit den Palästinensern demonstrieren wollen. Die wiederum geben sich Mühe zu zeigen, daß sie nicht gegen Israel sind, sondern nur gegen die israelische Besatzung. „Palästinenser und Israelis müssen zusammenarbeiten, damit es endlich zum Frieden kommt“, heißt es in einem Flugblatt aus Beit Sahur, das Anfang November in Jerusalem verteilt wurde, zusammen mit einer Einladung zu einem multikonfessionellen „Gebet für den Frieden“ in der katholischen Kirche des Ortes.

„Beit Sahur ist eine ideologische Festung“, sagt der Kirchenmann aus Jerusalem, „die Leute denken politisch und wissen, wie sie ihre Forderungen präsentieren müssen. Sie sind für die Besatzung ein größeres Problem als die Steinewerfer. Jetzt sind sie die Helden der besetzten Gebiete, in den letzten Wochen wurden über Beit Sahur mehr Artikel geschrieben als über Gaza, die ganze Welt spricht über sie...“

Die Armee als Gerichtsvollzieher

Die Parole, unter der die Einwohner von Beit Sahur angetreten waren, war geschickt gewählt, sie hatte schon mal einer nationalen Unabhängigkeitsbewegung als Motto gedient: „No taxation without representation!“ Der israelischen Seite kam es entsprechend darauf an, ein Exempel zu statuieren, die Vergeblichkeit des Aufbegehrens zu zeigen und alte Rechnungen mit den renitenten Bürgern zu begleichen: Die Steuerrevolte mußte niedergewalzt werden, sollten Recht und Ordnung, das heißt das Funktionieren der Besatzung nach israelischen Spielregeln, garantiert bleiben. Etwa zur Halbzeit des Streiks erklärte Verteidigungsminister Rabin, man werde Beit Sahur „eine Lektion erteilen“. Die Armee verteilte ein Flugblatt in der Stadt, in dem es unter anderem hieß, das Interesse der Medien an den Ereignissen in Beit Sahur werde bald nachlassen, die Sicherheitskräfte würden so lange bleiben, bis sie ihre Aufgabe erfüllt hätten... Die so Angesprochenen antworteten mit einem eigenen Flugblatt: „Wir werden nicht die Kugeln bezahlen, mit denen unsere Kinder getötet werden... Die Besatzungsbehörden repräsentieren uns nicht, wir haben sie nicht eingeladen, zu uns zu kommen. Wir bleiben bei dem Grundsatz: Keine Steuern ohne Mitsprache...“

Knesset-Abgeordnete, die nach Beit Sahur gekommen waren, wurden von der Armee hinausgeschafft, Journalisten, die sich eingeschlichen hatten, festgenommen, der römische, der armenische und der griechisch-orthodoxe Patriarch, die Beit Sahur gemeinsam besuchen wollten, unterwegs gestoppt und zurückgeschickt. Derweil spielte die Armee in der Stadt Gerichtsvollzieher.

Ein Ende der Konfrontation war nicht abzusehen, so hätte es noch Wochen weiter gehen können. Aber aus Gründen, die von den Verantwortlichen nicht bekanntgegeben wurden, beschloß die „Zivilverwaltung“ eines Tages, das Ganze einen Erfolg zu nennen und die Aktion abzubrechen. Die Standfestigkeit der Leute aus Beit Sahur hatte auch in Israel Eindruck gemacht. „Wenn ich in Israel dieselben Mittel eingesetzt hätte, die wir in den Gebieten eingesetzt haben, dann wäre ich am Zionsplatz aufgehängt worden“, meinte Mordechai Bareket, ein hoher Finanzbeamter in Jerusalem.

Die Lektion, die Yitzhak Rabin den aufsässigen Einheimischen verpassen wollte, war allenfalls aus der Sicht der Armee „überzeugend“ gewesen. Angeblich hat sich die Zahlungsmoral in den besetzten Gebieten gebessert, nur in Beit Sahur selbst kam es zu keiner Einigung über die künftige Zahlung von Steuern. Nach sechs Wochen Belagerung gleicht der Ort einer Geisterstadt. Alle Geschäfte haben geschlossen. Es gibt nichts zu kaufen und nichts zu verkaufen, die Vorräte sind aufgebraucht oder konfisziert, die eisernen Läden vor den Geschäften mit Graffiti überzogen, die ihrerseits mit schwarzer Farbe übermalt sind. Nur ein Graffiti wurde von der Armee nicht unlesbar gemacht: „Dieses Geschäft wurde wegen nicht bezahlter Steuern geschlossen.“

Aber - die Menschen, denen die Möbel, Maschinen und Werkzeuge weggeschleppt wurden, sind weder verzweifelt noch gebrochen. Sie scheinen heiter, fast aufgekratzt. „Wir können auch ohne Polstermöbel leben“, sagt Huda. „Ich werde wieder ganz von vorne anfangen“, sagt Salim. „Wir werden nicht aufgeben, und wenn sie uns alles wegnehmen“, sagt Emily. Sie sagen es ganz unpathetisch, wie Menschen, die genau wissen, daß sie im Recht sind. Und die nur zu warten brauchen, bis sie auch recht bekommen.

PLO-Koscher-Nudeln

-ein Nachtrag

Kaum war die Steuerrevolte niedergeschlagen, kam ein weiterer Anschlag auf die nationale Sicherheit Israels ans Tageslicht. Eine Pasta-Bäckerei in Beit Sahur hatte über eine israelische Firma Spaghetti auf den israelischen Markt gebracht, die in Plastikbeuteln mit den palästinensischen Nationalfarben schwarz-rot-grün-weiß abgepackt waren. Mehr als zwei Jahre wurde die Ware unbeanstandet vertrieben und verkauft, bis ein wacher Geist im israelischen Unternehmensverband die Konspiration bemerkte und Strafantrag wegen Verbreitung von PLO-Propaganda stellte. Begründung: Die Intifada habe die israelischen Lebensmittelproduzenten über 100 Millionen Dollar gekostet, da sich die Palästinenser weigern würden, israelische Produkte zu kaufen. Deshalb sollten Produkte aus den besetzten Gebieten nicht in Israel angeboten werden.

Gegen die Teigwaren sprach nur die Verpackung, sonst nichts: Die „Eda Haredit“, eine ultra-orthodoxe rabbinische Vereinigung, die Lebensmittel daraufhin prüft, ob sie den rituellen Reinheitsvorschriften entsprechen, hatte die Spaghetti aus Beit Sahur untersucht und für hundertprozentig koscher erklärt.