piwik no script img

„Wenn Mutti früh zur Arbeit geht...“

■ Kinder, Küche, Kombinat: Wie weit haben es die Frauen in der DDR nach 40 Jahren „Gleichberechtigung“ gebracht? Noch sind frauenpolitische Forderungen im Reformprozeß kaum zu hören. Feministische Stimmen gibt es dennoch.

Ulrike Helwerth

„Frauen haben auch etwas zu sagen- Tut endlich den Mund auf!“ forderten jüngst Demonstrantinnen in Leipzig auf ihrem Transparent. Und am 4.November erklärten Frauen in Ost -Berlin: „Wir Frauen wollen uns in den Prozeß der sozialistischen Erneuerung einmischen, mitmischen, ummischen.“

Doch von dieser Einmischung ist noch wenig zu spüren. Geschichte wird gemacht, Frauen sind überall dabei, doch als Akteurinnen treten sie bislang öffentlich kaum in Erscheinung. Unter den führenden Köpfen der neuen Bewegung in der DDR fällt bisher nur ein weiblicher Name ins Gewicht: Bärbel Bohley, Mitgründerin des Neuen Forums, einst aktiv bei den „Frauen für den Frieden“.

Auch die „Frauenfrage“ spielt bisher in den programmatischen Diskussionen und Entwürfen oppositioneller Gruppen und Parteien kaum eine Rolle. Ein Interview mit einer anderen ehemaligen „Friedensfrau“, heute in einer der Oppositionsgruppen aktiv, scheiterte, weil die angefragte Gesprächspartnerin erklärte, mit der Gleichberechtigung der Frau würde sie sich im Moment nicht beschäftigen: Es stehe Wichtigeres auf der Tagesordnung.

Bei aller Euphorie über die in Bewegung geratenen Verhältnisse: Die Zukunft der DDR ist alles andere als rosig. Reformen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik sind überfällig, um das marode Land zu kurieren. Und die Rezepte kommen zum guten Teil aus kapitalistischer Praxis. Preiserhöhungen für Grundbedarfsgüter, Senkung staatlicher Ausgaben, Abbau unrentabler Bereiche in Verwaltung und Wirtschaft, Rationalisierung durch neue Technologien - all das wird nicht auf sich warten lassen. Die Folgen werden Frauen - wie überall - besonders stark treffen. Auch nach 40 Jahren „sozialistischer Gleichberechtigung“. Wie ein Mann

Wer erinnert sich nicht an jene Bilder: die Frau mit dem Bauhelm oder im Blaumann, die Frau auf dem schweren Kran oder dem riesigen Mähdrescher. Für mich und meine Freundinnen waren sie einst Vorbilder. Denn sie schienen ganz anders als unsere Mütter, die meistens „nur“ Hausfrauen waren.

„Mann und Frau sind gleichberechtigt und haben die gleiche Rechtsstellung in allen Bereichen des gesellschaftlichen, staatlichen, persönlichen Lebens“, heißt es in der Verfassung der DDR. Von Anfang der Republik an bedeutete Gleichberechtiung aber in erster Linie das Recht (und die Pflicht) auf Erwerbstätigkeit. Und sie ist in diesem Bereich auch beinahe „verwirklicht“. über 90 Prozent der erwerbsfähigen Frauen sind heute berufstätig, mehr als 80 Prozent aller Frauen haben eine abgeschlossene Ausbildung. Allerdings arbeiten 75 Prozent nach wie vor in traditionell weiblichen, niedriger entlohnten Berufen.

Es gehört zum marxistischen Grundverständnis, daß „die Wiedereinführung des ganzen weiblichen Geschlechts in die öffentliche Industrie“ (Friedrich Engels) die Grundvoraussetzung für die Befreiung der Frauen ist. Aber es war natürlich nicht nur die politisch korrekte Linie oder das Herz für Frauen, die ihren Ausdruck in der Verfassung, dem Arbeits-, Familien- und Sozialgesetz fanden. Viel schwerer wog die katastrophale wirtschaftliche Lage, in der die DDR nach dem Kriege steckte. Industrie und Landwirtschaft lagen am Boden, überall fehlte es an männlichen Arbeitskräften. Daher war es in den ersten Jahren unerläßlich, Frauen schnell und massenhaft im Wiederaufbau und in der Produktion einzusetzen. Der DFD (Demokratischer Frauenbund Deutschlands), 1947 als Massenorganisation gegründet, rührte bis in die 50er Jahre fleißig die Werbetrommel, um Frauen für die materielle Produktion zu gewinnen. Später wandte er sich mehr der Arbeit im Wohngebiet zu, zum Beispiel der Betreuung von Kindern berufstätiger Mütter. Gleichzeitig wurde die Familiengesetzgebung verändert. „Die Frau (darf) nicht gehindert werden, einen Beruf auszuüben oder einer beruflichen Ausbildung und ihrer gesellschaftlichen und politischen Fortbildung nachzugehen“, heißt es dazu im Gesetz.

„Wenn Mutti früh zur Arbeit geht, dann bleibe ich zu Haus/ ich bind‘ mir eine Schürze um und feg‘ die Stube aus.“ Dieses „Sonnabendlied“ lernten meine Freundinnen in jenen Jahren im Kindergarten. Denn ihre Mütter arbeiteten damals noch 48 Stunden an 6 Wochentagen. Zahlreiche Kinder waren auch in Wochenkrippen oder -heimen untergebracht und sahen ihre Mütter -und Väter nur am Sonntag.

Nicht zuletzt wegen der massenhaften Flucht in den Westen vor dem Mauerbau - ging es nach 1955 vor allen Dingen darum, die bereits vorhandenen Arbeitskräfte zu qualifizieren. In der Verfassung heißt es dazu: „Die Förderung der Frau, besonders in der beruflichen Qualifizierung, ist eine gesellschaftliche und staatliche Aufgabe.“ Frauenförderpläne wurden entwickelt, in Sonderstudien wurden Frauen während der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich zu Facharbeiterinnen, Meisterinnen, Ingenieurinnen ausgebildet. Geebnet wurde ihnen dieser Weg durch den Ausbau von Kinderkrippen und -gärten und den Dienstleistungsbereich. Jedoch wurde die geschlechtliche Arbeitsteilung nie grundsätzlich in Frage gestellt. Denn schließlich profitiert auch der Realsozialismus von der privaten, unbezahlten weiblichen Reproduktionsarbeit. „Von den wöchentlich anfallenden 45 Stunden Hausarbeit leisten Frauen 34 Stunden“, war auf einem Flugblatt zu lesen, daß Frauen auf der jüngsten Großdemonstration in Ost-Berlin verteilten. Und: „Wer sich nicht wehrt, kommt an den Herd!“

An der bürgerlichen Institution Ehe und Familie wurde auch in der DDR nie gerüttelt - im Gegenteil: „Die Familie ist die kleinste Zelle der Gesellschaft“, steht im Familiengesetzbuch der DDR. Und im Artikel 38 der Verfassung heißt es: „Ehe, Familie und Mutterschaft stehen unter dem besonderen Schutz des Staates.“

Doch die Frauen - nun weitgehend „produktiv“ zum Einsatz gebracht - fingen an, ihre reproduktiven Pflichten zu vernachlässigen. Die Geburtenrate sank bis Anfang der 70er Jahre besorgniserregend. Dennoch wurde 1972 ein Gesetz verabschiedet, das die Schwangerschaftsunterbrechung bis zur 12.Woche gestattet. „Der dauernde Verzicht auf Kinder, auch die gewollte Beschränkung auf ein Kind, ist moralisch in der Regel nicht gerechtfertigt und allzuoft Ausdruck einer kleinbürgerlichen Haltung“, monierte die Ost-Berliner Frauenrechtlerin Anita Grandke 1972 in der Zeitschrift 'Neue Justiz‘. Die Wende brachten aber nicht moralischen Appelle, sondern die sozialpolitischen Maßnahmen bis Mitte der 70er Jahre: Kürzere Arbeitszeiten (40-Stunden-Woche) bei vollem Lohn und mehr Urlaub für Frauen mit mehreren Kindern, Teilzeitarbeit, ein bezahlter Haushaltstag pro Monat für verheiratete bzw. Frauen ab 40 Jahren, erweiterter Mutterschutz, ein bezahltes Babyjahr ab dem zweiten Kind (seit wenigen Jahren wird es bereits beim ersten Kind gewährt), höhere Geburtsbeihilfen und zinslose Ehekredite, die „abgekindert“ werden können, ließen die Geburtenrate zwischen 1974 und 1980 um 30 Prozent ansteigen. Sie ist inzwischen aber wieder leicht zurückgegangen. Seitdem wird die 3-Kind-Familie propagiert. Berufliche Arbeit und Aufgabe als Mutter

Ziel der neuen Sozialpolitik war es, „ständig die Bedingungen zu vervollkommnen, die es den Frauen ermöglicht, zunehmend besser berufliche und gesellschaftliche Arbeit mit den Aufgaben als Mutter und in der Familie zu vereinbaren“. Daß von der besseren Vereinbarkeit von Vaterschaft und Beruf bisher keine Rede ist, stimmt viele Frauen sauer. Aber offiziell gilt noch heute: „Der Frau obliegt auch in unserer Gesellschaft die meiste Pflege und Fürsorge für das Kind in den ersten Lebensjahren. Diese gesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen Frau und Mann erscheint uns als sinnvoll und natürlich.“ Es kommt bisher kaum vor, daß ein Vater Beruf und Karriere an den Nagel hängt, um Haus und Kind zu versorgen. Und wenn doch einmal ein Mann von seinem Recht Gebrauch machen und das Babyjahr für sich beanspruchen will, stehen ihm häufig Schwierigkeiten mit der Betriebsleitung, aber auch mit seinen KollegInnen ins Haus.

Die neue Mütterlichkeit zementiert die geschlechtlichen Arbeitsteilung. Hildegard Maria Nickel, Dozentin am Institut für Soziologie an der Humboldt-Universität, beschäftigt sich seit Jahren mit Fragen der Geschlechtersozialisation und der Arbeitsteilung in der DDR. Unter ihren Studentinnen stellt sie zunehmend ein „rückläufiges Frauenbild“ fest. Während die Frauen ihrer Generation (sie ist schätzungsweise Anfang 40) vorrangig auf Berufstätigkeit setzten, seien die jungen Frauen heute zunehmend stärker auf Ehe und Mutterschaft orientiert. Auch die 23jährige Silke, Sekretärin, stellte während ihrer Lehrzeit fest, daß unter ihren Mit-Azubis alles Frauen - Kinder Thema Nummer eins waren. Die meisten hatten im Kopf: Zuerst die Ausbildung fertig, dann Mutter werden. „Ich habe öfters mal nachgefragt, ob sie denn nichts anderes mit ihrem Leben anzufangen wüßten“, erzählt Silke, „aber ich bin da überall auf Unverständnis gestoßen.“ 70 Prozent aller Mütter bekommen ihr erstes Kind bevor sie 25 sind. 60 Prozent aller Mütter sind beim ersten Kind nicht verheiratet. Jedes zehnte Kind lebt bei einer alleinstehenden Mutter (aus: „Deine Gesundheit“ 3/89).

Die Schriftstellerin Helga Schubert verficht entschieden die volle Berufstätigkeit von Frauen. „Ich glaube, daß es einen sehr großen Einfluß auf das Bewußtsein der DDR-Frauen hat, daß sie arbeiten. Nicht so sehr, weil sie qualifiziert sind, sondern weil sie sich jeder Zeit selbst ernähren können“, stellt die Psychologin fest, die jahrelang in einer staatlichen Ehe- und Beratungsstelle in Ost-Berlin gearbeitet hat. Denn wenn eine Partnerschaft scheitere, könnten die Frauen jederzeit gehen, ohne auf einen gutverdienenden Ehemann Rücksicht nehmen zu müssen. Die DDR hat weltweit eine der höchsten Scheidungsraten. Jede dritte Ehe geht heute auseinander. Sieben von zehn Scheidungen werden von Frauen eingereicht (aus: „Deine Gesundheit“ 3/89). Die oberen Etagen:

Wo bleiben die Frauen?

Frauen in Spitzenfunktionen: „Können sie nicht? Wollen sie nicht? Sollen sie nicht?“ Mit diesen Fragen eröffnete die DDR-Frauenzeitschrift 'Für Dich‘ 1988 eine Beitragserie zu der Tatsache, daß auch in der DDR, Frauen in den obersten Etagen der Politik, Wirtschaft und Wissenschaft kaum vorkommen. So saß im bisherigen Politbüro kein weibliches Mitglied, sondern einzig zwei Kandidatinnen - und daran hat sich auch im neuen Gremium nichts geändert. Unter der bisherigen Ministerriege amtierte Margot Honnecker als einzige Frau. Unter den etwa 200 ordentlichen und korrespondierenden Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften gab es zumindest bis vor kurzem gerade sechs Frauen. An den Universitäten und Hochschulen sind 27 Prozent des wissenschaftlichen Personals Frauen, aber nur 5 Prozent Professoren, 2,6 Prozent Rektoren, Prorektoren oder Sektionsdirektoren. Als wichtigster Grund dafür wird in 'Für Dich‘ genannt, daß Frauen wegen ihrer Familienpflichten an der Karriere gehindert werden. Sie gelten als unsichere Kandidatinnen, da sie der Kinder wegen häufig ausfallen, nicht so belast- und verfügbar wie Männer sind. Ausgerechnet ein Mann der alten Generation, der Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Kuczynski, einer der Befragten, stellte dabei die radikalste Forderung auf: Er möchte den Männern per Gesetz die Hälfte des Babyjahrs „verordnen“. Aber Frauen haben noch andere Gründe für den Verzicht auf Karriere, zum Beispiel das Wohl ihrer Ehe. Denn viele Männer wollen keine Frau, die in der sozialen Hierarchie über ihnen steht, selbst wenn sie mehr Geld nach Hause bringt. Sie fürchten, wie in einer Studie ermittelt wurde, vor allem den Spott ihrer Arbeitskollegen. Helga Schubert nennt ein weiteres Motiv: „Viele Frauen sagen, sie wollen kein Alibi für die Männergesellschaft sein. Viele fürchten, in einem rigiden Apparat verheizt zu werden, ihre Lebendigkeit zu verlieren.“ Ein randständiges Problem

Die „Frauenfrage ist in den Wissenschaften, im Unterschied zu Literatur, immer noch ein mehr randständiges Thema. Es ist ein Problem für einige SpezialistInnen, das im breiten Strom philosophisch-weltanschaulicher und einzelwissenschaftlicher Denkanstrengungen zu globalen Fragen wie Frieden, Verhältnis Mensch-Natur, technische Revolution, zu Sozialismustheorie und notwendiger Umgestaltung im allgemeinen wie einzelner Bereiche der sozialistischen Gesellschaft eine marginale Rolle spielt“, schreibt Irene Dölling, Professorin an der Sektion Kulturwissenschaft und Ästhetik der Humboldt-Universität in Ost-Berlin in einem Aufsatz zum Thema „Marxismus und Frauenfrage in der DDR„1. Diese theoretische Abstinenz sei aber kein Beleg dafür, daß die „Frauenfrage“ in der DDR etwa gelöst oder etwa kein Bedarf für deren „(Neu-)Bestimmung“ im marxistischen Denken bestünde. Im Gegenteil. Und weiter: „Denkmodelle von Reformen und Umgestaltungen des Sozialismus, die stillschweigend, unreflektiert die tradierte soziale Rangfolge der Geschlechter (praktisch und ideell) perpetuieren, sind nicht auf der Höhe der Zeit.“

Anmerkung

1 Irene Dölling: Marxismus und Frauenfrage in der DDR. In: Das Argument 177/1989

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen