Die Mauer: Ein Denkmal

Interview mit Rainer Hildebrandt, dem Chef des Mauer-Museums am Checkpoint Charlie  ■ I N T E R V I E W

Seit Dezember 1961 gibt es das Mauer-Museum, ein Museum über die Flucht als Sensation. Rainer Hildebrandt ist langjähriger Leiter und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft 13.August, die gelegentlich durch erfundene Fluchtstories unangenehm auffiel.

taz: „Die Mauer ist weg.“ Wie geht es Ihnen als d e m Mauerexperten angesichts dieser Sensation?

Rainer Hildebrandt: Ich habe gestern Nacht nur eine Stunde geschlafen. Ich war auf den Straßen, habe geguckt, gefeiert und geweint. Ich stehe unter dem Eindruck der deutsch -deutschen Umarmung. Vieles, was wir immer glaubten - Zwei -Staaten-Theorie, schrittweiser Abbau usw. - ist durch die Ereignisse jetzt überholt. Ich denke jetzt natürlich auch daran, wie problematisch es für uns schon in den ganzen Jahren zuvor war, zu sagen: die Deutschen gehören zusammen. Da wurde man immer gleich in die rechte Ecke abgeschoben. In unserm Museum haben wir schon lange eine Ausstellung über gewaltfreien Kampf - von Gandhi bis Walesa - und was Donnerstag nacht geschehen ist, ist ein Sieg für den gewaltfreien Kampf. Wenn man an den 4. November denkt, wo die Demo-Ordner mit der Volkspolizei zusammen die Gewaltfreiheit garantiert haben, dann ist das jetzt nur die letzte Phase einer Entwicklung, die schon in Jena mit dem „Weißen Kreis“ begonnen hat und sich hinzog bis zu den Aktivitäten der unabhängigen Gruppen, die klug genug waren, nicht zu sagen, wir wollen freie Wahlen, sondern wir wollen den Dialog. Und dem konnte sich einfach keiner entziehen.

Sie betonen die Gewaltfreiheit. Ihr Museum steht aber doch im Ruf, ein Produkt des kalten Kriegs zu sein.

Dieser Eindruck entstand immer sofort, wenn man sich überhaupt mit der Mauer und mit der „deutschen Frage“ beschäftigt hat. Aber die ganzen Jahre über haben wir eigentlich immer nur dokumentiert. Im Gegensatz zu vielen anderen Institutionen haben wir auch umgekehrt die Grenzpolizisten genannt, die von Fluchthelfern und Flüchtlingen erschossen wurden.

Wird Ihr Museum denn jetzt geschlossen?

Wir haben bereits Plakate ins Fenster gehängt. Auf denen steht: „Hier wurde gegen die Mauer gekämpft. Jetzt ist es ein Mauer-MUSEUM.“ Museum ist groß geschrieben. Und weiter: „Hier wird die Nachkriegsgeschichte Berlins gezeigt. Jetzt wird ergänzt: jeder Schritt auf dem Weg zur Einheit Europas. Hier werden Prinzipien und Methoden des gewaltfreien Kampfes gezeigt. Jetzt wird ergänzt: die friedliche Revolution vom November 1989.“

Wir werden außerdem sofort einen Film zusammenstellen, der die Entwicklung seit dem Abtritt von Honecker zeigt, bis heute. Und einen ganzen Raum unserer Ausstellung werden wir für die friedliche Revolution dieses Novembers freiräumen.

Also keine Schließung, sondern Umbau. Ihre Prognose: Wie lange steht die Mauer noch?

Die Mauer ist jetzt nicht mehr das Problem. Wir werden uns jedenfalls dafür einsetzen, daß die Mauer von der Friedrichstraße bis zur Charlottenstraße (das sind vom Checkpoint Charlie aus zirka 200 Meter Schutzwall/d. Red.) unter Denkmalschutz gestellt wird und der Fries dort von dem amerikanischen Künstler Keith Haring restauriert wird. Der Inalt des Fries‘ paßt auch gut: er ist schwarzrotgelb statt schwarzrotgold, und auf dem gelben Untergrund sind schwarze und rote Kinder, die sich an Händen und Füßen fassen, eine Menschenkette also.

Habe ich richtig verstanden: Sie gehen davon aus, daß die Mauer in absehbarer Zeit wirklich fällt?

Ja. Ja. Die Mauer wird abgebaut, die hat ja jetzt sowieso ihre Funktion verloren. Nur dieses Stück sollte unter Denkmalschutz gestellt werden. Wir vom Museum würden es dann betreuen.

Interview: Christiane Peitz