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■ Nachtrag zu einem Fernseh-Interview mit der „Aktuellen Kamera“

Endlich, nach drei Tagen und drei Nächten vergeblicher Versuche, mit wundgewählten Fingern und der Resignation darüber, daß fernamtliche Vermittlung und Telegrammaufnahme ununterbrochen besetzt sind, gelingt Sonntag nacht um 2 Uhr 10 der

Durchbruch: Die Leitung nach Leipzig ist frei: Endlich können wir uns die gemeinsame Freude, schlaftrunken, aber dennoch euphorisch mitteilen: Klar wurde auf beiden Seiten erstmal Sekt geköpft. Tränen, immer wieder Tränen: „Ich glaub es nicht. Es geht zu schnell.“ Nächste Woche soll Mossi „Paulchen“ (der alternative Trabbi) die Familie des Cousins besuchsweise nach Bremen bringen („Und was, wenn Paulchen bei Hannover schlapp macht? Ihr habt doch keene Ersatzteile“) Das Benzin wird schon „gebunkert“: „Eures schluckt er ja nicht.“

Nach dem „Wie habt Ihr's erfahren, wer war schon am Kuhdamm, wie war's?“ geht es nur noch um die Zukunft: „Euer Scherf hat ja auch schon gesagt, daß wir auf Dauer nicht gerade heiß erwünscht sind.“ So war es also angekommen, das Kurz-Interview der „Aktuellen Kamera“ mit Henning Scherf, dessen Zustandekommen ich am Freitag „live“ erlebte und dessen Ausstrahlung ein Verwandter zufällig bewußt im DDR -Fernsehen verfolgt hatte.

Lutz Renner, adn-Korrespondent, war in Hamburg von den Ereignissen auch überrascht worden. Nein, am Fernseher habe er die Nacht nicht verbracht. (Falls Emotionen den DDR -Fernsehmann jetzt bewegen, dann hat er

sich gut unter Kontrolle.) Ein Interview mit Hans-Jochen Vogel am Nachmittag sei reiner Zufall gewesen und lange verabredet, Scherf wurde auf dem Rückweg von Hamburg nach Bonn (zu Kohl) „mitgenommen“, weil er zum unterdessen wieder aufgehobenen Aufnahmestopp Bremens befragt werden sollte.

„Herr Scherf, Sie haben gesagt, daß die Probleme nur noch katastrophenmäßig zu lösen sind und daß die Situation noch bedrohlicher werden wird...“, so der DDR-Journalist. Scherf erzählt, daß „wir große Mühe gehabt haben“, dies alles zu bewältigen, daß „die Bundesrepublik an ihre Grenze gebracht“ wurde, daß „wir nur noch unzulängliche Quartiere anbieten“ können, bis hin zu den Bunkern (Scherf: „Peinlich“) und daß er sich wünsche, daß die Menschen in der DDR „eine realistische Einschätzung über alles, was hier passiert“, haben. Als nach gezielter Zwischenfrage Scherf ein paar Sätze zur Armut, zur Arbeitslosen-und Sozialhilfe sagt, was er den mit großen Hoffnungen Kommenden auch vermittelt wissen wolle („ohne natürlich Ratschläge geben zu wollen, die uns nicht zustehen“), da ist für Lutz Renners das Interview beendet.

Scherf ist verblüfft, fast verschlägt's ihm die Sprache: Was denn, kein Zusatzmaterial?

Nichts zum Rausschneiden? Der DDR-Journalist winkt energisch ab: „Nein, wir haben ein freies Fernsehen. Wir schneiden nichts.“ Obwohl die technischen Möglichkeiten selbstverständlich bestünden... Renner will das Statement ohne Schnitt. Komplett.

Schon vorher hatte der BRD-geübte Medienmann aus dem Osten dem West-Politiker die Stirn gezeigt: Sein Kameramann sei ein freier Mann, der selbst entscheiden könne, wo und wie er sein Interview inszeniere: „Laß dich nicht drangsalieren, die Zeiten sind jetzt endgültig vorbei“, hatte Renners sich souverän über Einmischungsversuche hinweggesetzt. Auch Scherfs Lob über die inzwischen so „wunderbaren Bilder“ der „Aktuellen Kamera“, die man hier allabendlich gebannt verfolge, ließ Renners ungehört im Raum verpuffen: Auf Scherfs Kompliment, er habe die Bohley noch nie so schön gesehen, berichtet der DDR-Mann: Bei diesem Gespräch mit dem neuen Forum hätte das DDR-Team dem WDR technische Hilfe geleistet, die Bohley aber weigere sich strikt, den erneuerten Medien Interviews zu geben. Die roten Nelken darf der Senator unterdessen vom Tisch ruhig wegräumen: Was für ihn ein Symbol von Geburtstagsfeiern in der DDR ist, läßt jenen kalt. Birgitt Rambalski