Verkehrte Welt in Brasilien

Porto Alegre (taz) - Wo Deutschland liegt, weiß hier unten, im brasilianischen Süden, kaum einer. Doch daß es davon zwei gibt, weiß jeder. Schließlich berichten Fernsehen und Presse täglich über Krenz, die Mauer und den Kommunismus. Es gibt hier ein Dorf, Saude, wo fast ausschließlich deutsch gesprochen wird. Ob Hunsrück, ihre Heimat, aber im Osten oder Westen Deutschlands liegt, wissen die Dörfler nicht. Ihre Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern haben sich hier zu einer Zeit angesiedelt, als es nur ein Deutschland gab. Zudem ist Deutschland fern und Brasilien groß, und keiner der germanisch blonden und blauäugigen Bauern war je im Ausland, höchstens mal in Argentinien, das gerade 50 Kilometer entfernt liegt.

70.000 Menschen warteten in der Povinzhauptstadt Porto Alegre auf Lula, den ehemaligen Metallarbeiter, der nun für die linkssozialistische Arbeiterpartei bei den Präsidentschaftswahlen kandidiert. Wo immer er auftritt, umgibt ihn ein Meer von roten Fahnen. Es ist deshalb nicht einfach, in Brasilien zu erklären, weshalb die Ostdeutschen in Scharen nach Westdeutschland fliehen. Kommunismus bedeutet für viele hier Brot und Land, Bildung und Zukunft. 21 Jahre lang hat die Militärdiktatur schließlich gegen den Kommunismus gewettert, also kann er so schlimm nicht sein. „Und überhaupt, warum mußte der Westen in Berlin denn eine Mauer errichten, he? Doch um zu verhindern, daß zu viele rübergehen.“ Daß der Kommunismus im kleineren Teil Deutschlands nicht auch noch die Probleme im größeren kapitalistischen Teil Deutschlands mitlösen kann, scheint dem jungen Mann bei einer linken Wahlveranstaltung mehr als selbstverständlich.

thos