Vorwärts, Genossen! Die Avantgarde ist hinter euch her!

Berlin (taz/dpa) - Das Politbüro der SED hat gestern beschlossen, nun doch einen außerordentlichen Parteitag einzuberufen. Heute abend tritt das Zentralkomitee, das erst in der vergangenen Woche getagt hatte, erneut zusammen. Es soll seinen vier Tage alten Beschluß revidieren, eine Parteikonferenz abzuhalten. Diese - vom 15. bis 17.Dezember geplante - Konferenz wird nun als Parteitag abgehalten werden: mit dem Recht, ein neues Zentralkomitee zu wählen und Änderungen an Statut und Programm vorzunehmen. Egon Krenz begründete diese Kurskorrektur damit, daß bei der Parteiführung sehr viele Briefe mit dieser Forderung eingangen wären.

Außerdem verwies er auf die Kundgebung der Berliner SED am Freitag abend. Dort hatte er bei der Ankündigung einer Parteikonferenz ein Pfeifkonzert geerntet. Auch in anderen Städten der DDR machte die SED-Basis Dampf. So versammelten sich in Dresden 50.000 Parteimitglieder, um Hans Modrow, der heute von der Volkskammer zum Vorsitzenden des Ministerrates gewählt werden wird, zu hören. Sie trugen Transparente, auf denen zu lesen war: „Keine Zeit verlieren - jetzt regieren“ und: „Dresden voller Hoffnungsglanz - Garantie ist Modrow, Hans“.

Der bisherige Dresdner Bezirksparteichef forderte in seiner Rede die Einberufung eines Sonderparteitages. Auf einer SED -Kundgebung am Samstag in Leipzig gab es dieselbe Forderung. Ähnliche Kundgebungen der Partei fanden u.a. in Gera, Suhl, Neubrandenburg und Potsdam statt.

DDR-Kulturminister Hoffmann, der Anfang der vergangenen Woche von sich reden machte, als er den Rücktritt des gesamten Politbüros forderte, hat jetzt neuerlich eine noch vor kurzem für ein SED-Mitglied undenkbare Forderung aufgestellt: Die „führende Rolle der Partei“ aus der Verfassung zu streichen. Seine Begründung: Wie jede Verfassung, so fixiere auch die Verfassung der DDR „bestimmte Zustände“. „Wenn diese Zustände nicht mehr da sind, dann muß man die Verfassung ändern.“ Die Chancen stehen nicht schlecht dafür, denn dieser Begriff findet sich in dem am Samstag veröffentlichten „Aktionsprogramm“ der SED nicht mehr.

ws