Helmut Kohl im Sauseschritt

Der Besuch in Auschwitz-Birkenau geriet dem Kanzler zur Pflichtübung „In deutschem Namen unsagbares Leid“ / Abschlußerklärung unterzeichnet  ■  Aus Warschau Ch.Wiedemann

Das war nun der lang erwartete und lang umstrittene Akt: Im Eiltempo besuchte Helmut Kohl als erster konservativer Kanzler gestern an seinem letzten Tag in Polen das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Die Delegation, darunter auch Ministerin Lehr, und der Journalistentroß bewegten sich teilweise im Laufschritt durch das Gelände der größten NS-Vernichtungsstätte. Vor der Gaskammer warteten bereits die Busse mit laufendem Motor. Angeblich drängten die Protokollbeamten so zur Eile, weil der polnische Ministerpräsident Mazowiecki sein anschließendes Gespräch mit Kohl verlängern wollte. Eine Gruppe ehemaliger KZ -Häftlinge und Zwangsarbeiter protestierte gegen den Abschluß deutsch-polnischer Vereinbarungen, weil sie die Entschädigungsfrage aussparen. Die Demonstranten wurden aber nicht in die Nähe Kohls gelassen.

Begleitet von Heinz Galinski, dem auf dieser Reise oft angefeindeten Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, sowie dem polnischen Rabbiner Menachem Joskowicz legte Kohl an der Todesmauer von Auschwitz einen Kranz nieder; in das Gedenkbuch des Lagers trug er sich mit der typisch Kohlschen Wendung ein, „in deutschem Namen“ sei insbesondere den europäischen Juden an diesem Ort „unsagbares Leid“ zugefügt worden. Heinz Galinski legte in Birkenau vor dem Mahnmal der Nationen den Schwur ab, „im Namen derer, die hier ihr Leben lassen mußten“, eine „Wiederbelebung alter Ideologien nicht mehr zuzulassen“. Die gestern in Warschau unterzeichnete gemeinsame Erklärung beider Regierungen bot erwartungsgemäß keine Überraschungen. Das Papier nimmt nur in allgemeiner Form Bezug auf den Warschauer Vertrag. Kohl hatte sich bis zuletzt geweigert, eine explizite Garantie für die polnische Westgrenze in die Erklärung aufzunehmen. „Die Achtung der Oder-Neiße-Grenze durch die Bundesrepublik ist an zwei Stellen enthalten“, meldete 'dpa‘. Die Deutschen in Polen erhalten praktisch Minderheitsrechte. Wirtschaftlich stehen neben dem Erlaß der rückständigen Zahlungsverpflichtungen Hermesbürgschaften „für gemeinsam ausgewählte Projekte und Ausfuhrgeschäfte“ im Vordergrund. Bericht zum Kohl-Besuch Seite 7