Klartext

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(Klartext, 14. November, DDR 1) So schnell hatte ich nicht mit einer Antwort auf meine Frage vom Montag dieser Woche gerechnet - kann man vom DDR-TV oft schon investigativen Journalismus einklagen? Dientag abend kam unverhofft die zweite Folge der neuen Reportagesendung Klartext des DDR -Fernsehens. Klartext statt Schwarzer Kanal, ein würdiger Nachfolger, und sie redeten Klartext in Wort und Bild über die im September 1988 von der Ostberliner Carl-von -Ossietzky-Oberschule wegen „pazifistischer Plattformbildung“ geschaßten Schüler. Ein Stück öffentlicher Rehabilitierung.

Doch jetzt erst zum Fernsehen-West. Franz Alt präsentierte in Report Rudolph Bahro, den prominenten Rückkehrer, den es wieder in den Osten zieht, ohne Frau und Tochter allerdings. Bahro: „Die SED muß sich dem Volk anvertrauen, daher kann eine Wiedergeburt kommen.“ Er selbst setzt lieber aufs Neue Forum. Mir schwant, daß die museale DDR eher zu Walhall eines neudeutschen Purismus wird, von Bohley über die FDJ bis Bahro gegen Konsumismus und Geldwirtschaft. Aber wann gehen Trampert und Ebermann rüber? Ich bin sicher, für diesen Fall droht eine neue Ausreisewelle. Hier könnte das ja manche Probleme lösen, nur obs dem Nachbarn wohl gefällt? Franz Alt jedenfalls verschenkte das Gespräch mit Bahro.

Klartext hingegen rollte den von der Volksministerin Margot Honecker ausgelösten skandalösen Fall des „pädagogischen Vandalismus zur Schaffung des himmlichen Friedens“ (ein Russischlehrer) an der Ossietzky-Oberschule haarklein auf, ohne allerdings ihren Namen zu erwähnen. Immerhin, der zuständige Staatssekretär ist inzwischen nicht mehr im Amt. Ein deprimierend enthüllendes Bild, die Schulinspektorin Christa Heidamke, deren ätzende Verhörmethoden kurz zuvor geschildert worden waren. Sie mochte nicht die Verantwortung tragen: „Der Appell (zum Rauswurf, d.A.) wurde nicht von mir veranlaßt.“ Wie ärmlich die Entschuldigung, Mechanismen aus einer längst überwunden geglaubten Zeit; der Schuldirektor Forner: „Wenn ich es nicht gemacht hätte, hätten es andere so gemacht.“ Er wollte seine Schule nicht in den Kampf führen, so ganz allein gegen Margot Honecker im September 1988. Heute gibt er immerhin Auskunft über seine Feigheit. Schüler und Schülerinnen dagegen fühlen sich in ihrem aufrechten Gang bestätigt, auch wenn ihnen der Schmerz über die brutale Disziplinierung noch anzumerken ist. Die Geschichte hat ihnen Recht gegeben. So scheint auch das Konzept von Klartext aufzugehen. Gestern wiederholte die ARD ihre erste Reportage Ist Leipzig noch zu retten?. Für die nächste Sendung empfehle ich gleich auf Eurovision zu schalten.

Benedict M. Mülder