Rosa Schleifchen

■ „Überleben in New York“, ein Dokumentarfilm von Rosa von Praunheim

Alle Welt blickt dieser Tage gen Osten. Angesichts hunderttausender freiheitsdurstiger Demonstranten in Aufbruchstimmung und einer Mauer, die es schon kaum noch gibt'stellt man in der Westberliner Szene bereits Überlegungen an, wie die Kreuzberger Fabriketage gegen eine 60-Marks-Wohnung am Prenzlauer Berg eingetauscht werden kann. Denn da passiert wenigstens was.

Soweit ist das Kino noch nicht; dort wird weiterhin sehnsüchtig nach Westen über den großen Teich geschielt. New York heißt das Zauberwort: die Stadt der großen Illusionen, Meltingpot of the World, hektischer Großstadtdschungel voller Widersprüche, Grausamkeit und unbändiger Lebenslust, ein Ort der unbegrenzten Möglichkeiten eben. Dort leben die verrückten (Lebens-) Künstler und jeder, der etwas auf sein Image hält, muß zumindest einmal dagewesen sein.

Auch Rosa von Praunheims neuer Film zehrt von diesem Mythos. Drei deutsche Frauen in New York, allesamt Vertreterinnen einer neuen „Emigranten„-Generation der 80er Jahre, erzählen von ihrem Überlebenskampf in New York. „Zu Hause kam ick mir immer minderwertig vor, ick komm aus einem ganz kleenen Dorf. Amerika, das war schon als Kind mein großer Traum“, quietscht Uli in schriller Tonlage in die Kamera. Dabei hört man noch deutlich den Berliner Zungenschlag, den sie von ihrem dortigen Aufenthalt nach Amerika mitgenommen hat. Wie sie dasitzt, pinkfarbene Strumpfhosen, rosa Kleid, den klitzekleinen Hund im Arm, das reizt unwillkürlich zum Lachen. Doch hinter der offensichtlichen Naivität steckt ungeheurer Mut, der ihr bei ihrem zehnjährigen american way of life geholfen hat. Mit ihrem farbigen Freund Rocky hat sie im Schwarzenghetto Harlem gewohnt; bei ihrem Job in der Notaufnahme eines städtischen Krankenhauses begegnen ihr täglich tobsüchtige Drogenabhängige; der Mann, mit dem sie jetzt zusammenlebt, ist ein neurotischer Vietnamvereran. Die putzige Puppenstubenwelt, die sie um sich herumgebaut hat, wirkt wie ein Bollwerk gegen die Rohheiten dieser Stadt.

Ganz anders Claudia, die Intellektuelle unter den drei Damen. Sie hat ihren Freund, der ein Künstlerstipendium bekam, nach New York begleitet, war von Stadt und Leuten so fasziniert, daß sie beschloß, dort zu bleiben. Nach und nach überwand sie ihre anfängliche Schüchternheit und entdeckte zudem ein wachsendes sexuelles Interesse am eigenen Geschlecht. Heute bekennt sie sich offen zur lesbischen Liebe.

Claudia pflegt auch Kontakte zu jüdischen Emigranten. Dem Schriftsteller Hans Sahl ist sie Sekretärin, Beraterin und Freundin.

Das voyeuristische Bedürfnis der Zuschauer befriedigt schließlich Anna, die nach New York kam, um Schauspielunterricht zu nehmen. Doch schon nach sechs Wochen ging ihr das Geld aus. Nach verschiedenen Jobs landete sie schließlich als Go-Go-Tänzerin in einem Animierschuppen: „Mit dem Ausziehen hatte ich keine Probleme. Ich bin auch früher oft nackt rumgelaufen, Nacktbaden und so. Nicht ich erniedrige mich vor den Männern, sondern wenn überhaupt, dann die vor mir“. Mit den Stripnummern hat sie sich mittlerweile eine Psychotherapieausbildung finanziert und arbeitet heute als Therapeutin in einer katholischen Mädchenschule. Manchmal „tanzt“ sie noch nebenbei.

Praunheim hat die Interviews zu einem bunten Bilderbogen zusammenmontiert, der viel Raum für die individuellen Betrachtungsweisen der Stadt offenläßt. Kameramann Jeff Preiss fängt mit spielerischer Leichtigkeit Alltagsszenen ein. Ob in der U-Bahn, auf der Straße oder während einer Vernissage, die unruhigen Kamerabewegungen spiegeln die Rastlosigkeit des New Yorker Lebens wieder, manchmal mit einer gehörigen Portion Ironie. Wenn Claudia im Gepräch sagt, die Wahrheit läge auf der Staße, sehen wir eine plattgefahrene Taube im Rinnstein liegen.

Claudias Geschichte muß Praunheim am meisten interessiert haben, zumindest zeichnet er von ihr das differenzierteste, zuweilen stark inszenierte Bild. Das hängt wohl damit zusammen, daß ihre Person den Anstoß zu diesem Dokumentarfilm gab und sie an der Realisierung des Drehbuchs mitbeteiligt war.

Praunheims Frauenporträts sind sicher nicht repräsentativ für New Yorker Verhältnisse, ihre exotischen Geschichten erzählen mehr über Randgruppen in einer Metropole und den Konflikt zwischen einem Leben in der alten und der neuen Welt. Was ist besser: Sozial abgesichert mit einer (langweiligen) Assistentenstelle an der Uni Münster oder lieber zwei drei wechselnde Jobs gleichzeitig im Trubel New Yorks, ohne genau zu wissen, was morgen oder im nächsten Jahr sein wird? Keine der drei Frauen hat eine endgültige Antwort darauf parat. Vorerst haben sie sich für New York entschieden. Uli, die während der Dreharbeiten noch nicht genau wußte, ob sie dort bleiben sollte, nach San Fransisco oder zurück nach Berlin gehen sollte, ist mittlerweile in ihr Heimatdorf nach Schwäbisch-Gmünd zurückgekehrt.

Ute Thon

Rosa von Praunheim: Überleben in New York, mit Claudia, Uli, Anna, BRD 1989, 16 mm, 85 Min. Der Film startet heute in West-Berlin, im Januar in West-deutschland.