Die Südtribüne schwieg

■ Borussia Dortmund - Bayern München 2:2 / Abbitte bei den bösen, reichen Fußball-Finsterlingen aus Bayern

Ich gestehe: Auch ich habe Bayern München für eine Mannschaft von seelenlosen Zweckfußballern gehalten, angetreten, die Politik der Bundesregierung auf dem Rasen abzubilden, möglichst gar in der CSU-Variante. Immer am falschen Pol, wenn Arm gegen Reich und Gut gegen Böse streiten. Die Armee des Bösen in der Zauberwelt des Fußballs, von Luzifer Uli Hoeneß angeführt, die letzten romantischen Verzuckerungen dieser Unterhaltungsbranche zu verzehren, zugunsten von sich selbst erfüllendem und tumbem Gewinnstreben.

Rekapitulieren wir gar nicht alle Sündenfälle, nennen wir nur ihren schlimmsten: die Art zu siegen. Diese impertinente Sicherheit, mit der sie 1:0-Vorsprünge nach Hause schaukelten, während eifrig rackernde Heimmannschaften hilflos zerschellten. Wie gerne kamen sie am Wochenende mal in Dortmund, Bochum oder Schalke vorbei, kassierten leicht angewidert zwei Punkte und kehrten dann in ihre Welt zurück, auf die große Bühne, mit Real Madrid oder Inter Mailand. Hier ist aber jetzt Abbitte zu leisten, vielleicht generell, vielleicht auch nur für das Spiel im Westfalenstadion.

Wie kamen sie schon daher: gebeutelt von Niederlagen, schlechten Spielen, dem Ausscheiden im Pokal, verfolgt von Verletzungspech, ohne Klaus Augenthaler, Olaf Thon, Wiggerl Kögl, Roland Wohlfarth; mit einem Jürgen Kohler, der noch an den Folgen einer langwierigen Verletzung laboriert, den Stürmerstars McInally und Mihaijlovic, die noch ihrer Form hinterherbomben. Ein Bild des Jammers. Die Borussen sollten nur noch die Beerdigung vollziehen. Doch es kam ganz anders.

Merken konnte man es an der Stille, die von der Südtribüne herüberwehte. Auch das Aufflackern auf der Anzeigentafel, das die Fans zu einem „Let's go, Dortmund“ aufforderte, änderte nichts. Die „Schlagt die Bayern tot„-Sprechchöre waren verebbt. Die Südtribüne schwieg. Zum ersten Mal seit ja, seit wann eigentlich? Andächtiges Staunen bei den frenetischsten Jublern der Liga. Auch hier wurde wohl stille Abbitte geleistet.

Die Bayern spielten schlichtweg sensationell gut. Zwar brauchten sie zehn Minuten Anlauf, dann hatten sie aber ihr Staunen über sich abgelegt. Allen voran Dorfner, den wir hier freundlicherweise auch einmal „Hansi“ nennen wollen. Wer sich angelegentlich gefragt hat, wie sich dieser Mann in die Nationalmannschaft verirrt hat, der fand hier Erklärung. Trotz einer Körperhaltung, die eher das Attribut „bienenfleißig“ nahelegt, war er es, der sortierte, führte, ordnete und immer mal wieder brillierte.

Auch Thomas Strunz, dem ehemaligen Duisburger, tat die Ruhrgebietsluft sichtlich gut. Fast schwerelos taumelte er solierend durch die BVB-Abwehr, schob Helmer den Ball durch die Beine und verlud auch noch Teddy de Beer. Da stand es nach 28 Minuten 0:2, und Borussia war mausetot. Die Bayern wirbelten, zauberten und tricksten außer sich vor Spielfreude und vergaßen nur, noch ein paar Tore mehr zu erzielen. Ein sympathischer Zug!

Das Tollste kam aber noch. In der 73. Minute flog ein Freistoß von links hoch in den Strafraum der Bayern, und dann stand da Günter Breitzke, einfach so, ganz frei, völlig ungedeckt, und konnte einköpfen. Eine Minute später semmelte der BVB eine 60-Meter-Vorlage (!) in den Strafraum der Bayern, kurzes Gewühl, und Möller erzielte das 2:2. Die Bayern hatten nicht aufgepaßt, sie hatten bemerkenswert grobe Fehler gemacht und vor allem hatten sie Pech.

Aber das konnte an diesem Tag ihren Ruhm nur vermehren. Wer kann sich schon daran erinnern, daß die Bayern einmal auf diese Weise einen Punkt verloren haben. So gingen sie als moralische Sieger vom Platz, die ersten Schritte hinter sich, von einer bewunderten zu einer beliebten Mannschaft zu werden.

Christoph Biermann, Dortmund

DORTMUND: De Beer - Kroth - MacLeod (73. Wegmann), Helmer, Schulz - Lusch (46. Breitzke), Möller, Zorc, Rummenigge Dickel, Mill

MÜNCHEN: Aumann - Reuter - Grahammer, Kohler, Pflügler Flick, Dorfner, Strunz, Schwabl (78. Johnsen) - Bender, Mihajlovic (77. McInally)

ZUSCHAUER: 53.800

TORE: 0:1 0:1 Flick (26.), 0:2 Strunz (28.), 1:2 Breitzke (73.), 2:2 Möller (74.)