Auf leisen Sohlen zum Systemwandel

■ Biedenkopf wirbt für soften Weg zur DDR-Marktwirtschaft

Bonn (taz) - Der CDU-Politiker Kurt Biedenkopf, immer etwas schlauer als der Rest seiner Partei, hält es für falsch, sich jetzt gegenüber der DDR an einer „Systemdebatte festzubeißen“ und für Wirtschaftshilfe unrealistische Vorbedingungen zu stellen. „Es ist ganz offensichtlich, daß wir nicht warten können, bis es in der DDR Marktwirtschaft gibt.“ Marktwirtschaft lasse sich jedoch nur „induktiv“, „von unten nach oben“ einführen, und dazu müßte zunächst „das Vorurteil“, Marktwirtschaft sei unsozial, bei den Bürgern der DDR überwunden werden: „Wenn wir darauf keine Rücksicht nehmen, wird der ganze Versuch scheitern“, sagte Biedenkopf gestern bei einem Pressegespräch in Bonn.

Zu diesem Zweck müsse nun, so der frühere Generalsekretär, „die gesellschaftliche Durchdringung beider Teile Deutschlands organisiert“ werden. Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland müßten vor allem zur Dezentralisierung des polilitischen Systems in der DDR beitragen; die rund 30 Städtepartnerschaften könnten zum Beispiel auch als Grundlage für ökonomischen Transfer dienen. Biedenkopf: „Man muß dabei in gewissem Umfang auf die Eigendynamik des Prozesses vertrauen“ - die Erörterung von Sachfragen werde ohnehin zu marktwirtschaftlichen Lösungen führen.

Bei der Beeinflussung dieses „Evolutionsprozesses“ könne die Europäische Gemeinschaft als „ein Instrument“ betrachtet werden, denn Vorgaben der Europäischen Gemeinschaft seien in der DDR „innenpolitisch leichter zu verkraften“ als Vorgaben seitens der Bundesrepublik Deutschland. Auch bei der Veränderung des Eigentumsrechts in zweiten deutschen Staat DDR müsse auf Evolution statt auf abrupte Änderungen gesetzt werden; entscheidend sei zunächst die Verbindlichkeit von Verträgen.

Biedenkopf bedauerte gestern, daß sein Vorschlag, am 17. Juni für einen DDR-Notopferfond zu arbeiten, wohl keine Aussicht auf Verwirklichung habe. Denn dieser eine Tag „erlebter Solidarität“ im Jahr wäre doch die „Nagelprobe“ gewesen, ob „die Einheit des Volkes“ von den Bundesbürgern wirklich gewollt werde.

Ch. Wiedemann