Gnadenorte

■ Böhmische Knödel und Sprengkopftransport

Gabriele Goettle

Fichtelgebirge, Egerland, Oberpfalz. Das klingt nach Heimatverein, Bildstöcken, Kapellen, generalstabsmäßigen Wanderwegen und deftiger Küche mit fetten Saucen. Nach Zwergen, Elfen, Eroberungskriegen, Reichtum, Kultur, Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft und früher Industrialisierung. Hier im ehemals goldenen Dreieck zwischen Hof, Bayreuth und Eger blühten bis ins späte 19. Jahrhundert hinein die Geschäfte. Eisenerzgruben, Hüttenwerke, Glasbläsereien, Steinbrüche, Spinnereien, Webereien, Knopf- und Porzellanfabriken besiedelten die Gegend. Ganze Wälder verschwanden aus der Landschaft und wanderten von den Holzkohlenmeilern in die Hochöfen. Im Weißen Main und in der Saale fischte man Perlmuscheln, es gab eine aufstrebende Baumwollindustrie, man erzeugte und handelte mit Eisen, Vitriol, Schwefel, Kupfer, Blei, Marmor, Granit, Glas, Porzellan, Holz und Stoff.

Von all dem ist heute kaum noch etwas zu sehen, außer an den Prachtbauten der Kirche, den ehemaligen Herrschaftssitzen sowie den Stadthäusern diesseits und jenseits der tschechischen Grenze und natürlich an der Porzellanfabrik in Arzberg. Ansonsten ist die Gegend, so wie alle Gegenden die an Grenzen zu sozialistischen Nachbarländern liegen, das, was man im Fachjargon strukturschwach nennt, mit anderen Worten, sie ist arm. Trotz großzügiger Konditionen wie billiger Bodenpreise und niedriger Löhne lassen sich Industriebetriebe in Grenznähe nicht nieder. Insofern zeichnen sich die strukturschwachen Landstriche meist durch landschaftliche Idylle aus. Es gibt Naturschutzgebiete, Landschaftsschutz, Gewässerschutz, viel Wild und die in dünnbesiedelten Gegenden unvermeidlich riesigen militärischen Sperrgebiete. Die Dörfer sorgen sich aus Mangel an verwaltbarem Gemeinwohl um die Wettbewerbe ums schönste Dorf, in dem es dann zwar keine Infrastruktur mehr gibt, dafür aber alte Viehtränken, aus denen sich wahre Blumenorgien ergießen, und an der Ortseinfahrt ein übermannshohes Holzschild mit hineingeschnitzten Willkommensgrüßen. Aber außer alten Leuten, einigen Gastwirten, Bauern, Pendlern und Kindern ist kaum noch eine Bevölkerung da. Die junge und mittlere Generation ist weggewandert in die Großstädte nach Nürnberg, Regensburg, Augsburg und München. (Und Berlin! d.S.)

Von daher gesehen, ist es für einen solchen Ort natürlich ein wahrer Segen, wenn er etwas mehr zu bieten hat als gut beschilderte Wanderwege zum nächsten Dorf, Blumenschmuck und einen guten Gasthof. In dieser glücklichen Lage ist Konnersreuth, in das immer noch, auch 23 Jahre nach dem Tod der Therese Neumann, die Pilger von nah und fern einkehren. Es gibt einen Verein für die Förderung der Verehrung von Therese, er will beitragen „zum tieferen Verständnis der katholischen Mystik und Frömmigkeit“ und hat natürlich nur ein großes Ziel: die längst überfällige Seligsprechung der Therese von Konnersreuth. Das wäre den Gläubigen natürlich das, was anderswo den Gourmets drei Sterne am Hotel sind, und würde den Zustrom erheblich anschwellen lassen. Aber Rom ist fern und das Konnersreuther Wunder in der katholischen Fachwelt umstritten. Ebenso uneins scheint sich die Bevölkerung der umliegenden Ortschaften über den Fall zu sein. Sie profitiert vom Wunder nur mangelhaft und hat insofern Anlaß zu gemischten Gefühlen.

Einige Kilometer von Konnersreuth entfernt auf einer Anhöhe zwischen den Feldern steht unter alten Bäumen eine Kapelle. Zwei Männer in orangefarbenen Hosen steigen aus einem orangefarbenen Pritschenwagen. Einer nimmt den Plastiksack aus dem Abfalleimer, wirft ihn auf die Ladefläche und spannt einen neuen ein, der andere fegt vor den Bänken Kippen und Kronkorken zusammen. Die Kapelle ist geschlossen, dennoch kommen vespernde Wandergruppen hier vorbei, schaun hinunter ins Land und hinterlassen ihren Abfall. Zweimal in der Woche kommen die Männer von der Straßenreinigung hier herauf während der Saison. Der Fahrer, ein großer schwerer Mann mit flammend rotem Hochdrucklergesicht, ist noch ein wenig nüchterner als sein magerer Kollege. Beide sind so Ende Fünfzig und bewegen sich gemächlich. Der Dünne hält eine Bierflasche gegen die Bank und sprengt mit einem Handkantenschlag den Kronkorken ab. Er wirkt routiniert, und bei genauerem Hinsehen ist auch die Bank schon entsprechend gezeichnet. Sie setzen sich, rauchen, die Sonne scheint, und weit entfernt zieht ein Traktor seine Schleifen übers Feld.

Gefragt, wie das denn so sei mit der Therese von Konnersreuth, sagt der Dünne: „Da fragen sie doch mal den, der weiß alles.“ Der macht eine abwehrende Handbewegung, trinkt einen Schluck und fragt: „Naja, was wollen Sie denn wissen?“ Der Dünne kichert, und wir erklären, daß uns die Geschichte der Therese interessiert, wie sie so gelebt hat, eben all das, was mit ihr zusammenhängt. Der Dicke lehnt sich zurück, faltet die Hände über dem Bauch und beginnt zu erzählen:

„Na also, wie soll ich anfangen... als Bub, im 40er Jahr, da hab ich sie zum ersten Mal gesehen unten in der Kirche. Ein kleines Weiberl war's, die Resl, und fromm. Hat gebetet und gebetet. Dann hat sie der Schlag getroffen. Das war auch im 40er Jahr. Nach dem Krieg hab ich sie noch ein paarmal gesehen, man hat kaum hinkönnen, so viel Leute waren immer da. Krank war sie halt immer. Im 62er Jahr ist sie dann gestorben, das war ein großes Leichenbegängnis, die Leut‘ haben gestanden bis runter zur Straße.

Sie hat halt ein hartes Leben gehabt, war die Älteste von zehn Kindern. Arme Leut‘. Mußt‘ sie halt schon früh aus dem Haus und arbeiten als Magd. Der Vater war beim Militär, sie hat die Familie mit durchbringen müssen, hat selber noch sparen wollen auf die Aussteuer, die sie gebraucht hätt‘ fürs Kloster. Sie hat immer ins Kloster wollen, war aber zu arm. Der Lohn hat kaum für die hungrigen Mäuler gereicht, die da warn. Und wie's dann soweit war, daß die älteren Geschwister auch in Lohn gehn mußten, da war's zu spät.

Nämlich der Brand war schuld. Unsre Mutter hat's erzählt, im 18er Jahr, da war ein großes Feuer in Konnersreuth, die Höfe warn abgebrannt wie nichts, die Knechte und Mägd‘ ham müssen Wasser herschaffen, und auch die Resl hat dem Bauern stundenlang die Eimer hochgereicht zur Leiter, und dann auf einmal war's aus. Umgefallen ist die Resl und hat nimmer hochkönnen. Von da an war sie für die Arbeit nicht mehr zu brauchen, hat Saatkartoffeln ausgelesen, Käse gemacht, sowas halt, und gleich is‘ sie immer hingefallen bei jeder Arbeit, immer auf den Kopf. Der Bauer hat das mit angesehen, aber dann mußten zwei Geschwister die Arbeit machen. Die Resl hat zu Haus‘ gelegen, Ärzt‘ ham sie untersucht, ham gesagt, Hexenschuß isses und es geht wieder weg.

Dann is‘ die Grippekrankheit gekommen. Alle haben es gehabt, überall, viele sind gestorben dran, die andern sind wieder gesund geworden, nur die Resl nicht. Die is‘ in der Dachkammer gelegen und dann auch noch blind geworden. Ja, so war das. Da is‘ sie dann gelegen, jahrelang, blind, halb gelähmt. Die Mutter hat gesagt, daß es gestunken hat wie ein Aas in der Kammer, da hat sich bald keiner mehr hochgetraut, das Fleisch ist am Körper verfault. Es hat zum Himmel gestunken. Und plötzlich, im 23er Jahr, da hat sie wieder sehen können. Es war ein Wunder. Im 24er Jahr is‘ sie aus dem Bett gefallen auf einmal, da hat man es gesehen, am Rücken waren schon die Würmer dran. Im 26er Jahr is sie wieder genesen. So gebetet hat sie. Da hat's dann angefangen mit dem Bluten. Das war am Karfreitag.

Die Leut ham gesagt, nun isse gesund, und nun das! Jetzt reicht's, die ist doch anstaltsreif, schneidet sich auf und sowas. Aber die Ärzt ham sie beobachtet, der Pfarrer auch, es hat immer ganz von selbst angefangen, das Freitagsleiden. Sie sagt, das hat ihr der Herr so versprochen. Die Leut‘ sind gekommen, auch an gewöhnlichen Feiertagen. Da hat's nur aus dem Herz und den Augen geblutet. Händ‘ und Füß‘ nur an Karfreitag. Da ist alles aufgegangen, und alle ham gesehn, daß es von selbst kommt. Da hat's dann angefangen mit der Verehrung, die Zeitungen sind gekommen, viele Fremde. Seit dem 26er Jahr hat sie nicht mehr gegessen, getrunken auch nich‘. Bis zum Tod. Nur den Leib des Herrn hat sie zu sich genommen. Von anderen Sachen ist ihr schlecht geworden, da kam gleich Blut. Das war ein Wunder. Die Ärzt‘ ham das untersucht, und es war in der Zeitung, die Resl hat gar keine Ausscheidungen mehr gehabt, 34 Jahre lang.

Ja, und im 40er Jahr, wo sie der Schlag getroffen hat wegen dem Krieg und dem Hitler, hat sie wieder ins Bett müssen. Die Leut‘ sind hoch in die Kammer mit Blumen und ham angesucht um Fürbitte, daß die Männer und Söhne nicht fallen im Feld. Die Resl hat gebetet, und wirklich sind viele dann wieder heimgekommen ohne Schaden. Sie hat geholfen, wo sie konnte. Und nach dem Krieg, da sind die Freitagsleiden dann ja seltener vorgekommen, geholfen hat's trotzdem. Da ist der Burger Karl wieder auf die Beine gekommen, wo alle gesagt haben, der macht's nich‘ mehr lange. Da hat sie gebetet und gebetet, und dann hat's geholfen. Die Leut‘ sind gekommen, sogar über den großen Ozean bis von Amerika. Und wie die Resl dann tot war, da hat sie immer noch weiter geholfen, im 60er Jahr bei der Prüfung, wegen Führerschein, dann ist alles gutgegangen. Ja, so is‘ das mit der Resl.“

Der Dünne lacht, windet sich: „Glauben Sie dem kein Wort, der fährt nämlich wie eine gesengte Sau, wirklich...“ Der Dicke versetzt ihm gutmütig einen derben Stoß, dann stehn sie auf, sammeln die Kronkorken vom Boden und verabschieden sich. „Gehn Sie nur zum Friedhof, der is‘, wenn sie ganz durchs Dorf fahren, dann am Ende, da müssen sie rechts“, ruft der Dicke uns zu, dann fahren sie leicht schlingernd davon.

Der Friedhof ist leicht zu finden, das Grab von Therese Neumann unübersehbar. Ein schwarzes Steinkreuz ragt auf, sicherlich an die drei Meter hoch, aus unerfindlichen Gründen stehen die Querbalken schräg nach oben. Darauf befestigt ein süßlich gestalteter Christus, sandsteinfarben, wohlgenährt und die Scham reichlich mit faltigem Tuch bedeckt vor der Maria, die, ebenfalls in hellem Sandstein gemetzt, unten zu seinen Füßen kauert. Daneben, auf der eigentlichen Grabstelle, drängen sich die Devotionalien gegenseitig schier vom Gnadenort. Ewige Lichter, Blumen, Laternchen und zahllose Schrifttafeln mit goldenen Buchstaben stehn durcheinander. Überall ist golden zu lesen: „Resl hat geholfen. 1977“ oder an irgendeinem anderen Datum. Manchmal steht ein Zusatz: „Nach schwerer Krankheit genesen“ usf. Die Täfelchen scheinen alle vom selben Grabsteinmetz gemacht zu sein.

Vor dem Grab sind die Bänke besetzt. Mehrere alte Frauen und ein Mann sitzen schweigend, die Augen auf den Grabstein gerichtet, auf dem die Resl als Relief im Halbprofil zu sehen ist, wie sie die Hände zum Himmel aufhebt, das Kopftuch bis tief in die Stirn gezogen. Der kleine Friedhof ist emsig gepflegt worden, nicht eines der Gräber ist vernachlässigt, überall stehen frische Blumen und Lichter, wie es sonst auf Friedhöfen nur nach Allerheiligen aussieht. Überflüssig fast zu erwähnen, daß die Friedhofstoilette blitzblank gekachelt ist, ein Stück Seife bereitliegt und ein Handtuch.

Im Gasthof werden die Bedürfnisse der Pilger vollends erfüllt. Man reicht auf riesigen Platten Knödel, groß wie Bocciakugeln, eingesunken in fette Soße, umrahmt von Schweinebraten. Das Kraut wird in extra Schüsseln serviert. Die Portionen sind auch dem Gierigsten zu üppig, so daß die Reste bald ganze Eimer füllen, die dann nach hinten getragen werden in den Saustall, wo sie schon mit kannibalischer Lust erwartet werden. Das Quieken erfüllt den ganzen Hof, und der Gast hat das Gefühl, daß nichts umgekommen ist; im Endeffekt. (Aber der Metzger wartet schon! d.S.)

Fährt man weiter in nordöstlicher Richtung, so gelangt man mit einigem Glück zur „Kappl“, die abseits der Ortschaften liegt, ganz in der Nähe der Grenze. Von weitem schon sieht man den weißen Rundbau oben auf dem Hügel liegen. Die Fenster sind ziegelrot eingefaßt, drei Zwiebeltürme und ein hütchenförmiges grünes Kupferdach lassen das Gebäude ein wenig russisch erscheinen. Tritt man in den außen herumführenden Kreuzgang ein, ist man angenehm überrascht. Gregorianischer Gesang ist zu hören, man denkt sich fromme Mönche bei der Arbeit, aber weit gefehlt. Im Kirchenraum hängen zwei Lautsprecher, und irgendwo läuft ein Tonband. Kein Schwindel hingegen ist die Deckenmalerei. Soldaten in grauer Wehrmachtsuniform, angetan mit Stahlhelm und Waffen, werden irgendwelcher Gnadenvorgänge teilhaftig, bevölkern teils knieend, teils in martialischer Pose das Gemälde. Alles in allem scheinen sie auf dem Kreuzzug für die Sache des Herrn zu sein. Feldgeistliche segnen. Ganz so, wie es im wirklichen Leben auch war. Entsprechend ist auch das Publikum. Ein älterer Mann im Loden mit Steinklopferhut und Gamsbart steht vor der Karte, die im Kirchenraum hängt, und stochert mit dem Finger jenseits der Grenze im Böhmischen herum. Die Miene ist finster. Eine Gruppe in Wanderschuhen fotografiert die Decke.

In Waldsassen haben sich die Zisterzienser im Laufe der Jahrhunderte ansehnliche Schätze erworben. Stift, Basilika und Abtei sind restauriert und von gediegenem Reichtum. In der Basilika liegen und stehen in Glasvitrinen prunkvoll bekleidete Skelette. Durch die goldbestickten Gewänder hindurch ist das Gebein zu sehen. In herrischen Posen, die Insignien der ehemaligen Macht in Händen, stehen oder lagern sie und blecken ihre vollständigen Gebisse. Etwas abseits hängt eine kleine Christusfigur ohne Arme, ein viel verehrtes Gnadenbild. Anfang der 50er Jahre fand man es an der Grenze. Kommunisten hatten es an einem Strick um den Hals am Schlagbaum aufgehängt, und man brachte es in feierlicher Prozession hierher, um die Schmach abzuwaschen.

Am Nachmittag fahren wir in Richtung Westen nach Bayreuth. Auch dort gibt es ja eine weithin berühmte Wallfahrtsstätte, zu der alljährlich die Gläubigen aus aller Herren Länder pilgern. Der Gnadenort, ebenfalls auf einem Hügel liegend, sieht aus wie ein etwas zu groß geratener Vorortbahnhof, hinter dessen Eingangstüren noch von Hand die Fahrkarten geknipst werden. Die Fenster und Türen in dem Gebäude aus Backstein und Fachwerk sind technisch gegliedert und haben grüngestrichene Rahmen. Dafür, daß dies ein Opernhaus und von 1876 ist, hat es schon sehr viel Witz. Zumal, wenn man sich die festlich mit Wertgegenständen überladenen Wallfahrer dazudenkt und den Ernst der Zeremonien.

Die Apotheken überbieten sich gegenseitig im Operntaumel mit ihren Namen. Schwanen-, Siegfried-, Meistersinger-, Parsifal-, Ring-, Tannhäuser- und Wagner-Apotheken überall, dazwischen lediglich eine Jean-Paul-Apotheke, aber dem einzigen und seinem Eigentum ist nicht mal diese Ehre zuteil geworden, es gibt nur das Stirner-Haus.

Dafür ist Sperrmüll in der Stadt. Die Straßen vor den Häusern sind gesäumt von alten Sesseln, Lampen, Teppichen, Regalen, Koffern usw. Wir mischen uns unter die Interessenten. An der Ecke Richard-Wagner-Straße, wo Villa Wahnfried und Jean-Paul-Museum sich gegenüberliegen, steht ein gigantischer Herrenschreibtisch aus der Gründerzeit, die Schubladen liegen daneben, ebenso ein geflochtener Papierkorb aus dicken Weidenruten, den wir sogleich an uns nehmen. Etwas weiter die Straße hinunter liegen ein paar Skier aus feinstem dunklem Holz, wachsgepflegt, ohne jeden Lack. Die aufgebogenen Spitzen verjüngen sich zu einem Zipfel, die Bindung ist gefettet, kein Rost an den Spannfedern. Den Messingschrauben an den hölzernen Schraubzwingen würde ein Hauch Sidol genügen, um sie zum Glänzen zu bringen. Zusammen mit den angebundenen Bambusstöcken brechen sie einem schier das Herz, man möchte sie an sich nehmen, um sich nie wieder von ihnen zu trennen, aber leider, wie so oft, siegt die Vernunft.

So gegen Mitternacht fahren wir über dunkle Landstraßen, an Dörfern vorbei und verirren uns bei der Suche nach einem Nachtplatz auf eine schmale Straße im Wald. Plötzlich kommt uns ein Auto mit gelbem Warnlicht entgegen, dahinter schiebt sich aus der Dunkelheit ein Monstrum und bleibt mit ohrenbetäubendem Rasseln und Fauchen unmittelbar vor uns stehen. Daraufhin dreht es sich mit schrillem Quietschen auf der Stelle, schwenkt zum Wald hin und schiebt sich dann rasselnd und Baumstämme unter sich zermalmend an uns vorbei. Das linke Kettenrad ist so breit wie unser Bus, ich habe das dringende Bedürfnis, auszusteigen und in den finsteren Tann zu flüchten, aber schon ist's vorbei, und im aufgeblendeten Licht der Begleitfahrzeuge zeichnet sich ein gigantisches Kettenfahrzeug ab, mit schräger Rampe, auf der ein walzenförmiger Körper aufliegt. Es war offensichtlich eine jener legendären Raketen, die unentwegt auf ihrer mobilen Abschußbasis herummanövriert werden und ab und zu in Straßengräben rutschen oder, wie hier, wenn Resl nicht geholfen hätte, womöglich einen VW-Bus samt der darin befindlichen zwei Frauen und zwei Hunde plattgewalzt hätten zu einem undefinierbaren Wellblech. Ob mit oder ohne Sprengkopf, das wäre dann wirklich ganz unerheblich gewesen.